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Beitrag vom 19.01.2013

FAZ

Mali

Peitschenhiebe von den Bärtigen

Die Franzosen wollen Malis Islamisten schlagen. Das Volk leidet unter deren Gewalt. Im Norden des Landes ist es ihnen dennoch gelungen, Hunderte von Jugendlichen zu rekrutieren, die sie jetzt als Kanonenfutter missbrauchen.

Von Thomas Scheen, Bamako

Die Narben auf seinem Rücken sind so breit wie Finger, an den Rändern ist Schorf. Bubayo Sagara verzieht vor Schmerz sein Gesicht, als er das Hemd lupft. Die Narben stammen von 50 Hieben mit einer kurzen, dicken Lederpeitsche, mit der sonst störrische Kamele zur Räson gebracht werden. Das war Bubayos Strafe, weil er mit einer Zigarette im Mundwinkel auf seinem Mofa durch Gao geknattert war. Rauchen in der Öffentlichkeit ist verboten im Reich der malischen Islamisten. "Die haben mich vom Mofa gezerrt, und schon hagelte es Schläge", erinnert sich Bubayo. Verabreicht hat sie ihm ein "Polizeikommissar", von dem Bubayo behauptet, er habe bis vor kurzem noch Ziegen gehütet. "Diese Radikalen sind Fanatiker und Analphabeten zugleich, das macht sie so unglaublich gefährlich", sagt der 22 Jahre alte Student. Fast die Hälfte der auf 1,3 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung der drei Verwaltungsdistrikte Gao, Timbuktu und Kidal sind inzwischen vor den Terroristen geflohen.

Bubayo hatte Glück. Einen Monat nach den Peitschenhieben fand er einen Weg aus der abgeriegelten Stadt Gao, auf der Ladefläche eines Pick-ups, auf der sich zwölf Leute zwischen zwei große Fässer Diesel drängten. Sie waren nur nachts gefahren, ohne Licht, und hatten lange Umwege über üble Pisten genommen, um nicht einer Patrouille der Radikalen zu begegnen. Sobald es dämmerte, hatten sie eine große Kuhle in den Sand gegraben, das Fahrzeug darin versteckt und gebetet, dass niemand die Reifenspuren sieht. Drei Tage und Nächte ging das so, bis die Flüchtlinge endlich Mopti erreichten, die von Regierungstruppen gehaltene Stadt im Zentrum von Mali.

Hilfe von der tschadischen Armee
Das war am 9. Januar, am Tag, als die Radikalen zum Sturm auf Mopti ansetzten. Also sind Bubayo und die anderen weitergeflohen, in Richtung Bamako, und dieses Mal waren schon 25 Leute auf der Ladefläche. "Wir haben uns gefragt, wo wir eigentlich noch sicher sind, und waren drauf und dran, bis Burkina Faso durchzufahren", sagt Bubayo. Zwei Tage später bebte in Konna in der Nähe von Mopti die Erde, als französische Kampfhubschrauber und Jagdflugzeuge das Feuer auf die Radikalen eröffneten. Bubayo zündet sich eine Zigarette an, trinkt einen Schluck des süßen Tees, den sie in der kleinen Kneipe im "Quartier du fleuve" in Bamako servieren, und genießt die Aussicht auf den Niger-Fluss. "Glaub mir, das war wirklich knapp", sagt er, "zwei Tage mehr, und die Bärtigen hätten sich Bamako und damit das ganze Land geschnappt." Hat er jetzt keine Angst mehr? Bubayo lächelt. "Ich gönne diesen Typen jede französische Granate, die trifft."

Seit rund zehn Tagen läuft in Mali die französische "Opération Serval" gegen die Radikalen von "Ansar al Dine", "Al Qaida im islamischen Maghreb" (Aqim) und der "Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika" (Mujao). Die französische Luftwaffe hat deren Stützpunkte in Konna, Kidal, Gao, Douentza und Léré bombardiert, ohne die Radikalen sichtbar zu schwächen. Im Gegenteil. In der Ortschaft Diabali rund 400 Kilometer nördlich von Bamako eröffnete Aqim eine neue Front. Die französische Armee setzt dort Panzer und Infanterie ein. Die Rede ist von mehr als 1000 Dschihadisten, darunter sollen viele Ausländer sein. 2000 Mann stark ist das französische Kontingent inzwischen. In den nächsten Tagen sollen es 4000 Mann werden. Ob das reichen wird, die hochmobilen Islamisten zu schlagen? Die im April vergangenen Jahres zugesagte Entsendung einer 3300 Mann starken westafrikanischen Eingreiftruppe lässt weiter auf sich warten. Dass die angesichts lausiger Ausbildung und fehlender Waffen etwas bewirken kann, darüber macht sich in Mali ohnehin niemand Illusionen.

Hilfe können die Franzosen höchstens von der tschadischen Armee erwarten, die 2000 Mann auf den Weg gebracht hat. Die Tschader haben in den achtziger Jahren zweimal die libysche Armee in der Wüste vernichtend geschlagen. Sie gelten als die Erfinder eines Waffensystems namens "Technical": ein schneller, wendiger Pick-up mit montierter Maschinenkanone und einem Dutzend Panzerfäusten, die in Säcken an beiden Seiten des Führerhauses stecken. Doch was sich gegen libysche Panzer als Wunderwaffe erwies, muss gegen Islamisten noch lange nicht wirksam sein. Denn die nutzen die gleichen Waffen und Fahrzeuge. Zudem hat der Krieg in Mali mit der blutigen Geiselnahme auf einem Gasfeld im algerischen Tiguentorine eine dramatische Wende genommen. Am Mittwoch hatte ein Terroristenkommando fast 700 Geiseln genommen, darunter mehr als 130 Ausländer. Die algerische Armee hatte versucht, den Komplex zu stürmen, wobei eine unbekannte Zahl von Geiseln und Terroristen ums Leben kam. Erst am Samstag beendete ein Sturmangriff die Geiselnahme, elf Terroristen und sieben ausländische Geiseln starben.

Manchem geht es weniger um Religion als um Geschäfte
Das Kommando, das sich "Al Mouthalimin" ("Die mit dem Blut unterzeichnen") nennt, hatte das Ende der französischen Militäraktion in Mali gefordert. Der mutmaßliche Anführer, ein 40 Jahre alter Algerier namens Mokhtar Belmokhtar, kämpfte einst in Afghanistan, wo er ein Auge verlor. Später schloss er sich "Al Qaida im islamischen Maghreb" an. Vor einem Jahr wurde er Anführer einer eigenen Gruppe namens "Brigade der Vermummten", die mutmaßlich von Libyen aus operiert.

Bubayo Sagara ist diesem Mann einmal begegnet. Das war im August vergangenen Jahres, als die Islamisten ihre Herrschaft über den Norden Malis gefestigt hatten. Belmokhtar war damals mit seiner Eskorte, von Timbuktu kommend, in Gao aufgetaucht, um mit den Führern von Mujao zu verhandeln, die die Stadt kontrollieren. Belmokhtar war zum Freitagsgebet in die Moschee gekommen, um mit den Imamen zu reden. "Der hat irgendetwas von Dschihad und Scharia gebrabbelt, und der vor Angst schlotternde Imam hat zu allem genickt, um den Kerl schnell wieder loszuwerden", erinnert sich Bubayo. Damals schon war den Menschen in Gao klar, dass es zumindest Teilen von Aqim und erst recht Mujao weniger um Religion als um Geschäfte geht. Belmokhtar trägt den Spitznamen "Mr. Marlboro", weil er ein großes Schmugglernetz unterhält, das sich quer durch die Sahara zieht. Mujao wiederum, deren "Kämpfer" überwiegend malische Araber sind, ist in erster Linie ein Dienstleister für südamerikanische Drogenkartelle, in deren Auftrag die Bärtigen Kokain durch die Sahara an die Mittelmeerküste transportieren. Bubayo schnauft verächtlich: "Stell dir vor: Mr. Marlboro macht enorm viel Geld mit dem Schmuggel von Zigaretten, aber mich peitschen sie aus, weil ich die Dinger rauche."

Doch nicht alle im Norden wollen die Geschäftemacher mit den Bärten so sehen wie Bubayo. Den drei Islamistengruppen ist es gelungen, Hunderte von Jugendlichen zu rekrutieren, die sie jetzt als Kanonenfutter in ihrem Kampf gegen die Franzosen missbrauchen. Mujao etwa zahlt jedem Kämpfer umgerechnet rund 90 Euro im Monat. Das ist viel Geld in einer Gegend, in der mehr als 90 Prozent der Jugendlichen arbeitslos sind. Bubayos jüngerer Bruder Alhousseyni hat sich der Truppe deshalb schon vor Monaten angeschlossen. "Ich weiß nicht, wo er ist, und ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt", sagt Bubayo. Als die französische Luftwaffe in der vergangenen Woche Stützpunkte der Islamisten in Gao angriff, sollen 60 Dschihadisten ums Leben gekommen sein. Unter den Toten war ein bekannter Mujao-Anführer aus Benin. Die anderen waren Jugendliche aus der Stadt.