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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 30.03.2012

Die Weltwoche

Entwicklungshilfe

Leiden an der eigenen Gier

Die Milliarden aus dem Norden verpuffen in der Dritten Welt oft wirkungslos oder hemmen sogar das Wirtschaftswachstum. Dafür blüht die Korruption.

Von Daniel Ammann

«Entwicklungshilfe ist nicht die Lösung», kritisierte Andrew Mwenda vor zwei Wochen im Weltwoche-Interview, «sie ist das Problem.» Nur dank ihr könnten sich inkompetente und korrupte Regime in Afrika an der Macht halten. Diese nutzten das Geld aus dem Ausland nicht, um die Entwicklung ihres Landes voranzutreiben, «sondern um sich zu bereichern und politisch zu überleben». Die Armen in Afrika sähen davon bestenfalls «die Krümel, die vom Tisch fallen», sagte der ugandische Journalist und ehemalige Weltbank-Berater, dem man schlecht «rassistische Thesen» vorwerfen kann. Was einige Tage später Bundesrat Christoph Blocher passierte, als er den Nutzen der Entwicklungshilfe für Afrika in Frage stellte. Seither wird in der Schweiz so intensiv über Sinn und Unsinn der Hilfsmilliarden diskutiert wie selten zuvor.

Die ökonomische Forschung hat einige nüchterne Erkenntnisse zu dieser hitzig geführten Debatte beizutragen: «Gesamthaft gesehen, war die Entwicklungshilfe erfolglos.» Dieser Satz, der weder für Schlagzeilen noch für aufgeregte Proteste sorgte, stammt von Beatrice Weder di Mauro, einer der herausragenden Ökonominnen der Schweiz. Die Volkswirtschaftsprofessorin, die heute in Mainz lehrt, zog in einem Forschungspapier eine empirische Bilanz über vierzig Jahre Entwicklungshilfe: «Es lässt sich nicht nachweisen, dass sie die wirtschaftliche Entwicklung gefördert oder die Lebensqualität signifikant verbessert hätte», schrieb Weder di Mauro im September 2000 in der Aussenwirtschaft, der schweizerischen Zeitschrift für internationale Wirtschaftsbeziehungen. Sie wertete die statistischen Daten für 100 Länder über einen Zeitraum von 35 Jahren aus und kam zum Schluss, dass Länder mit höherer Entwicklungshilfe tendenziell sogar ein schlechteres Wirtschaftswachstum hatten.

Kampf um die Honigtöpfe

Ihre Resultate decken sich mit der Arbeit von William Easterly, der lange Jahre einer der führenden Weltbank-Ökonomen war und heute als Wirtschaftsprofessor an der New York University lehrt. In seinem eben erschienenen Buch, für das er die verfügbaren Daten seit 1950 analysierte, zeigt er gleichfalls, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass sich die Entwicklungshilfe positiv auf das Wirtschaftswachstum eines Landes auswirkte. Und im speziellen Fall von Afrika belegt auch Easterly, dass die Wachstumsraten mit steigender Hilfe sogar sanken (siehe Grafik Seite 14). Offen bleibt, ob die Entwicklungsgelder das schlechtere Wachstum verursachten oder ob der Wirtschaftseinbruch zu mehr Hilfe führte. Unbestritten ist, dass die Hunderte von Milliarden Dollar aus dem Ausland die desolate Situation des afrikanischen Kontinents und seiner Bevölkerung nicht verbessern konnten.

Die Ökonomin Weder di Mauro, die dem Sachverständigenrat der deutschen Regierung angehört und derzeit als aussichtsreiche Kandidatin für das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank gehandelt wird, ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe. Ihre Arbeiten fanden internationale Beachtung und werden in der einschlägigen Literatur regelmässig zitiert. So wies sie zusammen mit dem Harvard-Ökonomen Alberto Alesina nach, dass «mehr Entwicklungshilfe zu mehr Korruption führt». In ihrer Arbeit, die sie vor vier Jahren in der weltweit führenden Zeitschrift für Wirtschaftswissenschaft veröffentlichten, der American Economic Review, sprechen sie von einem Gier- Effekt («voracity effect»), den die Entwicklungshilfe oft auslöst: Je mehr Geld in ein Land fliesst, desto härter wird mit korrupten Mitteln um Zugang zu den Honigtöpfen gekämpft. Und die beiden zeigten auf, dass gerade die Korruption eines der grössten Hindernisse für die Entwicklung der Länder der Dritten Welt ist.

Das bestätigten auch die beiden Weltbank-Experten David Dollar und Lant Pritchett in ihrer bahnbrechenden Studie «Assessing Aid: What Works, What Doesn't, and Why». Sie belegten, dass in schlechtregierten Staaten selbst grosszügige Hilfe oft wirkungslos verpufft und diese Länder trotz des Geldsegens aus dem Ausland wirtschaftlich stagnieren oder sogar noch ärmer werden.

Ein weitere Kritik, die Beatrice Weder di Mauro immer wieder anbringt: Die Entwicklungshilfe sei weitgehend «fungibel», also austauschbar. Die Ökonomin zeigte, dass zusätzliche Mittel, die Drittweltländer zum Beispiel für die Bildung oder das Gesundheitswesen erhielten, oft nicht dazu führten, dass mehr Geld in diesen Bereichen investiert worden wäre. Die Regierungen passten vielmehr ihre Budgets an, reduzierten ihre eigenen Ausgaben für Bildung und Gesundheit und gaben das so eingesparte Geld für anderes aus, etwa für das Militär.

Forschungsarbeiten der Schweizer Ökonomin belegen aber auch, dass unter bestimmten Bedingungen Entwicklungshilfe von Nutzen sein kann: Sie habe Erfolg in gutregierten Ländern mit soliden Institutionen. Entscheidend seien eine offene Marktwirtschaft, Rechtssicherheit (garantierte Vertrags- und Eigentumsrechte), eine stabile makroökonomische Politik (tiefe Inflation, fiskalische Disziplin) sowie eine effiziente Verwaltung. «In solchen Ländern hatte Entwicklungshilfe eine grosse Wirkung auf das Wirtschaftswachstum und die Armutsreduktion», schreibt Weder di Mauro. Und: Wenn die Hilfe erfolgreicher sein soll als bisher, müsse sie künftig auf reformwillige Länder konzentriert werden.

Eigennutz der Geberländer

Bloss: In Afrika, das derzeit die entwicklungspolitischen Diskussionen beherrscht, sind solche reformwilligen, gutregierten Länder an wenigen Fingern abzuzählen. Andrew Mwenda nennt nur drei: Botswana, Mauritius und, mit Abstrichen, Ruanda. Beatrice Weder di Mauro und Alberto Alesina belegten in ihrer empirischen Studie zudem, dass korrupte Regierungen bislang nicht weniger Hilfsgelder und Schuldenerlasse erhielten als weniger korrupte. Im Gegenteil: Korrupte Regime bekamen oft sogar mehr Geld. Das hänge vor allem damit zusammen, dass die Geberländer die finanziellen Mittel nach ihren eigenen politischen Interessen verteilten, etwa an ehemalige Kolonien oder strategisch wichtige Länder. Vor allem die USA, so Weder di Mauro und Alesina, unterstützten aus diesen Gründen auch korrupte Regime, während die Hilfe der skandinavischen Länder und auch der Schweiz weniger politisch motiviert sei.