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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 13.08.2011

HANDELSBLATT

RUANDA

Machtvolle Modernisierung

Die Führung Ruandas hält an ihrer "Vision 2020" fest: Der Agrar-Staat soll zur High-Tech-Region werden. Politische Stabilität ist Bedingung.
von Wolfgang Drechsler und Matthias von Arnim

Kapstadt, Frankfurt Auch 17 Jahre nach dem grauenvollen Völkermord, an dem in 100 Tagen rund 800000 Menschen ermordet wurden, wird Ruanda von Menschen in der restlichen Welt vor allem mit den blutigen Ereignissen von damals assoziiert. Dabei wird gerne übersehen, dass das afrikanische Land sich derzeit völlig neu erfindet.
Unerbittlich verfolgen Ruandas Machthaber ihre "Vision 2020": Bis dahin will der Staat im Herzen Afrikas den Sprung vom Agrar- zum High-Tech-Land schaffen und zum Zentrum der Informationstechnologie in Afrika aufsteigen. In der Hauptstadt Kigali werden heute überall neue Funkmasten errichtet und Glasfaserkabel verlegt. Aber auch die ländlichen Gebiete, so lautet der Plan, sollen bis in den letzten Winkel mit dem Rest der Welt verbunden werden.
Ruandas Stärken und Schwächen

• Umfeld
Die Weltbank erklärte Ruanda 2009 zum weltweit "besten Reformstaat". Die Regierung forciert unter anderem den Ausbau von Technologie und Bankenwesen.
• Korruptionsbekämpfung
Polizisten und Verwaltungsbeamte sind für gewöhnlich nicht bestechlich.
• Starker Agrarsektor
Afrikas am dichtesten besiedeltes Land kann sich dank der Förderung des Agrarsektors selbst ernähren.
• Regierungsstil
Die Regierung untergräbt viele demokratische Freiheiten. Als Folge des Völkermordes gibt es keine Opposition.
• Binnenstaat
Die Lage im Innern Afrikas und das fehlende Bahnnetz sorgen für teure Transportkosten.
• Rohstoffabhängigkeit
Ruanda ist sehr abhängig von den Exportgütern Kaffee und Tee. Ausländische Hilfsgelder finanzieren fast die Hälfte des Staatshaushalts.

Firmengründung in einem Tag
Auf großen Postern offeriert Ruanda gleich 18 Investitionsanreize, darunter das Versprechen, in nur einem Tag die Gründung eines Unternehmens zu ermöglichen. Und ausgerechnet seine Steuerbehörde, die von Großbritannien finanziert und personell ausgestattet wurde, drängt die Bürger des Landes, ihre Abgaben zu entrichten, um dadurch die Abhängigkeit Ruandas vom Ausland zu mindern. Wie groß diese noch immer ist, wird daran deutlich, dass die Geberländer rund die Hälfte zum Staatshaushalt beisteuern.

Seit dem Völkermord 1994 hat Ruanda eine beispiellose Metamorphose vollzogen: Inzwischen ist das Land nicht nur sicher, sondern wegen des Verbots von Plastiktüten auch ausgesprochen sauber. Seine Polizisten und Beamten sind für gewöhnlich nicht bestechlich.

Wirtschaftlich ist Ruanda mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 8,5 Prozent in den vergangenen fünf Jahren erheblich besser vorangekommen als fast alle anderen Länder in Afrika. Unter der Führung von Paul Kagame hat sich das Sozialprodukt seit 2005 von niedriger Basis verdoppelt, auch wenn es mit rund fünf Milliarden Dollar noch immer sehr gering ausfällt.

Die meisten Ruander haben heute zudem eine Krankenversicherung. Und selbst die Steuereinnahmen steigen Jahr für Jahr um mehr als zehn Prozent. Während Afrika insgesamt stagniert, hat Ruanda die Armutsrate von einst 70 Prozent auf nun 50 Prozent der Bevölkerung verringern können.

Hohe Investitionen laufen an
Einfach dürfte der erzwungene Sprung in die Moderne dennoch nicht werden: Drei Viertel seiner Deviseneinkünfte bezieht das Land aus dem Export von Kaffee und Tee. Auch birgt seine Lage als Binnenstaat viele Nachteile: Die Kosten für einen Containertransport von der kenianischen Küste nach Kigali sind enorm. Verantwortlich dafür sind vor allem die hohen Benzinkosten und das fehlende Schienennetz, das die Regierung von Kagame nun für mehrere Milliarden Dollar aus dem Boden stampfen will.

Investiert wird auch in den Agrarsektor. Obwohl Ruanda mit 325 Menschen pro Quadratkilometer das am dichtesten besiedelte Land des Kontinents ist, kann es sich selbst ernähren. Seine Regierung stellt den Menschen auf dem Land Dünger und besseres Saatgut zur Verfügung. So wurde das Land zum Selbstversorger.

Das alles klingt vielversprechend. Investoren wie der Bierbrauer Heineken, der Tabakproduzent BAT, Südafrikas Mobilfunker MTN oder Kenias Serena-Hotelgruppe glauben an den Fortschritt des Landes.

Die Schattenseiten
Doch die von Präsident Kagame mit Macht vorangetriebene Modernisierung hat auch manche Schattenseite. Nicht wenigen Ruandern widerstrebt es, grundlegende politische Freiheiten den großen Zukunftsplänen der Machthaber unterzuordnen. Einige der Verbote scheinen absurd: So ist das Tragen von Waren auf dem Kopf, aber auch Barfußlaufen untersagt, weil es als rückständig gilt. In vieler Hinsicht hat Kagame Ruanda in einen Überwachungsstaat verwandelt. Es gibt weder eine Presse- noch eine Versammlungsfreiheit. Auch lässt das Regime es nicht zu, dass sich eine offizielle Opposition bildet, und rechtfertigt das mit der notwendigen Versöhnung des ethnisch noch immer tief gespaltenen Landes. Zwar wurde der Unterschied zwischen Hutus und Tutsis per Dekret offiziell abgeschafft. Doch in der Praxis schwelen die Animositäten weiter.

Viel wird nun davon abhängen, ob Ruandas Staatschef sein Versprechen einhält und im Einklang mit der Verfassung nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit im Jahre 2017 mit nur 59 Jahren wirklich abtritt. Vor dem Hintergrund des Genozids mag die Kompromisslosigkeit Kagames verständlich sein. Ob sie zukunftstauglich ist und wirklich Modellcharakter für Afrika hat, werden die nächsten fünf Jahre zeigen.

Börse Kigali: Der erste Gang aufs Parket war dreifach überzeichnet
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, schrieb einst Hermann Hesse. Und wer die Geschehnisse in Ruandas Hauptstadt Kigali im Februar diesen Jahres nicht ganz so poetisch beschreiben wollte, der musste zumindest einräumen, dass es ein historisch bedeutsames Ereignis war: Das Land erlebte den ersten Börsengang eines ruandischen Unternehmens.

Emittiert wurden 25 Prozent der Anteile an der Brauereigruppe Bralirwa (Brasseries et Limonaderies du Rwanda), die bei diesem denkwürdigen Gang an die Börse umgerechnet 21,5 Millionen Euro einnahm. Die Bierbrauer wären durchaus auch noch mehr Unternehmensanteile losgeworden. Der Gang auf das Parkett war Angaben der Börse zufolge dreifach überzeichnet gewesen, die Tranche für ausländische Investoren sogar fünffach. Kein Wunder: Bralirwa ist in Ruanda bekannt wie sonst kaum ein anderes Unternehmen. Der Bierbrauer kontrolliert mit seinen Marken Primus und Mutzig Schätzungen zufolge 94 Prozent des ruandischen Biermarktes. Der Konzern produziert darüber hinaus Limonaden, ist Abfüller von Coca-Cola und darf unter Lizenz das irische Bier Guiness brauen.

Bralirwa war das dritte Unternehmen, das nun an der Börse in Kigali notiert ist. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Neben der ruandischen Brauerei können Anleger an der Rwanda Stock Exchange noch Aktien der Kenya Commercial Bank und der Nation Media Group handeln, die nicht nur in Ruanda, sondern auch in Kenia, Tansania und Uganda gelistet sind.

Ein Wermutstropfen für ruandische Börsenpatrioten: Die restlichen nicht an der Börse notierten 75 Prozent von Bralirwa gehören dem Brauereikonzern Heineken. Auf den ersten hundertprozentig ruandischen Börsengang müssen Anleger daher noch warten. Bis deutsche Investoren in Ruanda-ETFs (börsennotierte Indexfonds) oder ein passendes Zertifikat investieren können, wird es aber vermutlich nicht mehr so lange dauern. Die Erfahrung zeigt, dass die Emittenten von Finanzprodukten manchmal schneller sind als die Märkte, um die es geht.