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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 03.01.2009

Berliner Zeitung

Entwicklungshilfe für uns
Rupert Neudeck

In fast allen Ländern der Dritten Welt sind Politiker an der Macht, die mit dem Wohl ihrer eigenen Bevölkerung relativ wenig im Sinn haben." Das sagte vor 23 Jahren die SPD-Politikerin Brigitte Erler. Diese Erkenntnis hatte sie nicht zuletzt bei praktischer Arbeit in Bangladesch gewonnen. Sie kam ferner zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit mit diesen Regimen "tödliche Entwicklungshilfe" sei. Das gilt auch heute noch. Man muss nur das Wort "Dritte Welt" gegen Afrika austauschen, weil die Beschreibung für Asien und Lateinamerika nicht mehr zutrifft.

Die Entwicklungspolitik hat darunter gelitten, dass wir in der westlichen Welt im Kopf und in unseren Taten immer weiter Bestimmer waren, man kann auch sagen, verkappte Kolonialisten. Wir meinten, diese Völker hätten weder Geschichte noch Kultur; ihnen müsse gezeigt werden, wo es lang geht. Das war unser erster großer Fehler - und er wird immer noch oft genug gemacht in der Entwicklungshilfeindustrie.

Hinzu kommt: Was Max Weber für die Politiker verlangt hat, dass sie nicht von der Politik leben sollen, gilt im übertragenen Sinn erst recht für die Entwicklungshelfer: Niemand sollte von der Hilfe leben. Aber in Deutschland tun dies wenigstens 100 000 Berater, Beobachter oder Koordinatoren.

Der nächste Riesenfehler war: Wir glaubten, dass eine Verzehnfachung der Gelder die Armut verschwinden ließe und Arbeitsplätze, Mittelstand und blühende Landschaften entstehen würden. Pustekuchen. Letztlich ist nur das Geld verschwunden, nicht die Armut. Dabei wissen wir ja, mit wie wenig Geld man Gutes tun kann. Es darf also nicht mehr gelten, dass mehr Geld mehr Entwicklung bringt. Die Pleite der gegenwärtigen Entwicklungshilfe darf aber auch nicht bedeuten: Hören wir mit ihr auf.

Es ist richtig, wenn Elementar-, Berufs- und Sekundar-Schulen in Afrika gefördert werden. Das hat schon Asien nach vorn gebracht. Doch viele afrikanische Führer leben lieber in schönen Villen im komfortablen Europa als auf dem eigenen Kontinent. Sie interessieren sich für ihre Konten in der Schweiz, aber nicht dafür, dass Ihre Bevölkerung vorankommt.

Es sollte daher das Mikrokreditsystem des Mohammed Yunus in Afrikas Ländern aufgebaut werden. Sieben Millionen Bangladescher - davon 85 Prozent Frauen - haben sich selbst mit Stolz aus ihrer eigenen Armut befreit. Zudem müssten Straßen, Brücken, Häfen, Eisenbahnen mit Tausenden junger Leute, die dabei ihre Berufsausbildung bekommen, gebaut werden. Europas Staaten sollten sich auf Projekte in ausgewählten Ländern einlassen. Sie sollten sich auch auf wenige Länder spezialisieren. Dann würden wir die Konkurrenz der Chinesen auf Dauer aus dem Feld schlagen.

Wir müssen schmerzlich Abschied nehmen von der Vorstellung, wir allein könnten diese Länder von Marokko bis Madagaskar voran bringen. Nein, es gibt, wenn man es mit gesellschaftlichen Organisationen macht, viele Potenziale.

Der Äthiopier Abdulkarim Guleid hatte im Sommer 2008 in Berlin einen Termin bei der Bundesregierung. Guleid hat mit eigenen Experten einen Teil der Ogaden-Wüste zum Blühen gebracht. Er hat 13 "watercatchments" gebaut, dank derer während des Monsums Regenwasser für das Vieh, die Nomaden und die Landwirtschaft für zwölf Monate gesammelt werden kann. Interessant daran ist: ein integrer einheimischer Experte schafft das. Für ein Folgeprojekt hat er nun ein Budget gemacht für die nächsten zehn Jahre. Dann wäre die Provinz, die größer als die Bundesrepublik ist, ganz begrünt. Dazu bräuchte er 90 Millionen Euro - ein Sechstel dessen, was wir in einem Jahr für die Bundeswehr in Afghanistan ausgeben. Guleids Projekt kann deshalb ein Erfolg werden, weil es schon läuft.

Er hat vom Kanzleramt bis zu den Ministerien viele Zuständige gesprochen, die ihm das alles nicht zutrauten. Schade. Nun werden uns die Äthiopier zeigen, wie man Entwicklungspolitik so macht, dass 90 Prozent der Bevölkerung des Landes etwas davon haben.