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Für eine andere Entwicklungspolitik!

Beitrag vom 07.03.2019

FAZ
Unterwegs

Und immer salutiert irgendwo ein Chinese

Die Globalisierung rollt auf Schienen durch die kenianische Savanne.

Von Katharina Wilhelm

Dreimal verpasst unser Taxifahrer die Ausfahrt zum neuen Bahnhof in Syokimau südlich von Nairobi, auch wenn der in Wahrheit nicht neu und schon gar nicht leicht zu übersehen ist. Nach drei waghalsigen Wendemanövern auf dem vierspurigen Highway stehen wir endlich vor einem riesigen, futuristischen Gebäude inmitten des flachen, weiten Hochplateaus, das die kenianische Hauptstadt umgibt. In einem weißen Zelt schnüffeln vom Militär geführte Hunde an unserem Gepäck, das im Innern des Bahnhofs nochmals durch einen Scanner fährt, während wir selbst uns einer flughafenreifen Sicherheitsprüfung unterziehen müssen. Unser Ticket haben wir im Voraus mit dem Mobiltelefon über das elektronische Bezahlsystem M-Pesa gebucht, der Lieblingsreferenz aller Mahner, wenn es wieder einmal an der Zeit ist, das Tempo des deutschen Digitaliserungsfortschritts zu bemängeln. Den Code, den wir von M-Pesa per SMS bekamen, tippen wir in einen Automaten, und schon halten wir ein kleines blaues Kärtchen in der Hand.

Mit der Rolltreppe geht es nach oben, wobei man den Gesichtern einiger Passagiere ansieht, dass sie noch nie auf einer solchen gestanden haben. Die Gäste der ersten Klasse biegen links ab in ihre Lounge. Deren Ticket bis Mombasa hat umgerechnet dreißig Euro gekostet. Wir haben zwanzig Euro weniger gezahlt und dürfen trotzdem bis ganz nach oben fahren. Dort gibt es ein asiatisches Restaurant, einen Kiosk und einen Coffee Shop, der zu einer lokalen Kette gehört. Dann stehen wir eine Weile in der perfekt klimatisierten Halle und fragen uns bange, ob es am Berliner Hauptbahnhof mittlerweile auch so reibungslos zugeht wie hier.

Das würde es vielleicht sogar, wenn dort auch nur zwei Züge täglich nach, sagen wir, München verkehrten, so wie hier zwischen den beiden größten kenianischen Städten Nairobi und Mombasa. Früher brauchte die kenianische Bahn für die fünfhundertdreißig Kilometer lange Strecke achtzehn Stunden und erinnerte an die alten Zeiten des europäischen Kolonial-Jetsets, dessen Hab und Gut in diesem Zug in der einen Richtung vom Hafen in Mombasa auf die Farmen im Rift Valley transportiert wurde, während die schon etablierten Farmer in südöstlicher Gegenrichtung ihre Frauen oder die Frauen ihrer Nachbarn mit viel Champagner für zwei Wochen an den Indischen Ozean entführten. Heute brauchen die Züge mit einer Höchstgeschwindigkeit von hundertzwanzig Kilometern pro Stunde noch gut fünf Stunden für die Strecke. Und schon beklagen Slow Traveller, reisende Selbstfinder und sonstige zarte, wandernde Seelen aus den letzten Winkeln des Internets heraus den Verlust eines weiteren klassisch-romantischen Reiseerlebnisses an die moderne Technik.

Die Kenianer zelebrieren hier hingegen die Globalisierung. Denn die Baukosten der Strecke, die im Mai 2017 eröffnet wurde, hat nur zu zehn Prozent der kenianische Staat und zu neunzig Prozent die chinesische Import- und Export-Bank getragen. Gebaut wurde das Projekt von einem Unternehmen namens China Road and Bridge Corporation, alle Waggons werden aus China bezogen. Die neue Trasse ersetzt den östlichen Abschnitt der alten Uganda-Bahn und ist nun die erste Eisenbahnstrecke auf Normalspur in Kenia. Diese Spurweite heißt auf Englisch „Standard Gauge Railway“, so dass die Kenianer ihren neuen Zugverkehr ausschließlich als „SGR“ bezeichnen – weil sie Abkürzungen lieben und weil das viel eher nach futuristischem Bahnerlebnis klingt als „Kenya Railways“.

So viel Mühe müssten sie sich gar nicht machen, denn der Zug erinnert von ganz allein an die Schnellbahnen jeder größeren europäischen Stadt. Wir verstauen unser Gepäck in den Gepäckfächern über uns, wobei die Zugbegleiterinnen penibel darauf achten, dass kein Gurt oder Band von der Ablage baumelt, und nehmen auf den harten Plastiksitzen Platz, von denen je sechs auf jeder Seite des Ganges um einen kleinen Tisch gruppiert sind. Sobald sich in dieser ohnehin etwas beengten Sitzsituation die ersten afrikanischen Mamas neben uns gezwängt haben, die ihre kleinen Handtaschen an ihre riesigen, bunt umhüllten Bäuche drücken, dämmert es uns langsam doch wieder, dass wir nicht zwischen Köln und Frankfurt unterwegs sind.

Der Lärmpegel erreicht schon kurz nach Nairobi eine Lautstärke, die sämtliche Macbook-Pendler in deutschen ICEs in einen Nervenzusammenbruch treiben würde. Nach einer halben Stunde packen die Mamas gerösteten Mais aus den kleinen Handtaschen und bieten uns ebenfalls welchen an. Die Kinder der englischen Familie in Safaristiefeln und Funktionskleidung haben sich mit dem Nachwuchs der jungen kenianischen Familie zur Linken verbündet und erkunden das Abteil auf allen Vieren. Die junge Deutsche in unserer Sitzgruppe erzählt mit Tränen in den Augen und reichlich Sonnenbrand unter dem zu Zöpfchen geflochtenen blonden Haar, dass sie nach Mombasa fährt, um sich von ihrem kenianischen Freund zu verabschieden, da ihr Freiwilliges Soziales Jahr nun zu Ende geht. Dazwischen schiebt das gutgelaunte Personal Trolleys mit süßem Tee und Mandazi, einer Art frittiertem Brot, hin und her. Ein großes Hallo bei allen weißen Reisenden lösen die Elefanten und Zebras aus, die bald in regelmäßigen Abständen links und rechts der Gleise auftauchen, da ein Großteil der Strecke durch den Tsavo-Nationalpark führt. Ein deutlich größeres Hallo bei den Einheimischen löst der andere Zug aus, der uns aus der Gegenrichtung entgegenkommt und dessen Passieren auf Kurzfilmen und Fotos festgehalten wird.

Wir lehnen uns entspannt zurück und schütteln den Kopf über die Globalisierungsphobiker des Internets. Die Chinesen mögen diese Bahn gebaut haben, doch drinnen und draußen ist immer noch Afrika, laut und bunt und fröhlich. Keine Spur von China, außer vielleicht beim Blick auf die Uhr, der verrät, dass der Zug immer noch pünktlich ist. Dann aber hält er an seiner ersten Zwischenstation, und wir sehen einen Chinesen in Uniform. Er steht stramm und beobachtet stumm den Zug. Als sich dieser langsam wieder in Bewegung setzt, salutiert der Chinese und steht mit der Hand an der Mütze da, bis er aus unserem Blickfeld verschwunden sind. An jedem Zwischenhalt wird nun wie aus dem Nichts ein chinesischer Bahnmitarbeiter am Gleis auftauchen und genau das Gleiche tun. Keiner lächelt dabei, alle behalten eine regungslose Miene.

Nach dem dritten Mal fragen wir uns, wem diese geisterhaften Erscheinungen eigentlich salutieren. Uns, den Reisenden? Den Bahnmitarbeitern? Dem potentiell chinesischen Lokführer, den wir nicht zu Gesicht bekommen? Oder vielleicht dem Zug an sich, als stummer Gruß an die eigene Kompetenz, ebenso still wie das stete Anschwellen des chinesischen Einflusses auf der ganzen Welt?