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Beitrag vom 02.06.2025

NZZ

Hier ist Trump der Messias

Christliche Fundamentalisten aus den USA und Europa beeinflussen die Politik afrikanischer Länder seit langem

Samuel Misteli, Nairobi

Der Teufel hat hier viele Gestalten: Die Gender-Ideologie. Die Transgender-Bewegung. Feministinnen. Sexualaufklärung. Und natürlich: LGBTQ. Die Redner im Hotel Boma Inn spucken die Buchstaben eher aus, als dass sie sie aussprächen. Und man ist sich einig: Der Teufel kommt aus dem Westen.

Dieser Meinung sind nicht nur die Afrikaner. Gerade steht Ricky Chelette auf der Bühne, ein Baptistenpfarrer aus Texas. Er ist eine Grösse bei der Behandlung von, wie er es nennt, «sexueller Verwirrung». Chelette versucht Homosexuelle zu heilen. Von der Bühne herab ruft er: «Wir im Westen sind hervorragend darin, unsere Sünden zu exportieren.» Er meint das sarkastisch. «Ich bitte euch um Vergebung.»

Chelette ist Anfang 60 und zum ersten Mal in Afrika. Er hat eine volle Pastorenstimme, die Säle füllt. Er erzählt von Adam und Eva im Paradies. Wie Eva den Apfel ass und die Sünde in die Welt brachte. «Bis heute versucht der Teufel unsere Leben zu zerstören», sagt der Pfarrer. Indem er Männer in Frauenkleider steckt oder Verhütungsmittel verteilt. «Er kommt auch hierher zu euch.» Hierher nach Kenya, Afrika, dem letzten verbliebenen Paradies der traditionellen Werte. Wo Männer noch Männer sind, Frauen Frauen und die Familie intakt.

Globaler Kulturkampf

Der Anlass von Mitte Mai in Nairobi nennt sich die Panafrikanische Konferenz für Familienwerte. Die Gäste kommen aus zwei Dutzend Ländern. Am Bühnenrand vor Ricky Chelette stecken die Flaggen der Teilnehmerländer: Tansania, Malawi, Kongo-Kinshasa, Nigeria und weitere afrikanische Länder, die USA, Grossbritannien, Frankreich, Polen, die Schweiz.

Es ist keine riesige Konferenz, weniger als 200 Personen sitzen im Saal. Doch sie steht für etwas Grösseres: für den globalen Kulturkampf, der sich auch in Afrika abspielt. Deshalb schlug die Konferenz schon im Vorfeld Wellen. Kritiker sagten, hier planten religiöse Extremisten, wie sie sexuelle Minderheiten in Afrika weiter marginalisieren könnten. Sie würden angeleitet von Fundamentalisten aus den USA und Europa, die ihre Ideen und Millionen nach Afrika brächten. Gestärkt würden an der Konferenz für Familienwerte nicht Werte, sondern Hass.

An der Konferenz selbst klingt es anders. Nicht nach Offensive, sondern nach einer Abwehrschlacht biblischen Ausmasses. Da redet sich zum Beispiel eine kenyanische Aktivistin in Rage. «Ich dachte, nur weisse Leute tun diese seltsamen Dinge, aber neulich rief mich der Rektor einer Mädchenschule zu Hilfe, weil die Mädchen übereinander herfielen. Schulen müssen geschlossen werden wegen Lesbentums. Es ist eine wahre Krise, meine Brüder und Schwestern!» Schockiertes Aufstöhnen im Publikum. «Oh, mein Gott», sagen mehrere. Im Saal sitzen Leute in traditionellen afrikanischen Gewändern, in Anzügen und in Alltagskleidern, viele sind jünger als 30 Jahre. Zwischen ihnen sitzen grauhaarige weisse Männer und ein paar weisse Frauen.

Die Konferenz dauert eine Woche. Die Vorträge und Panels haben Titel wie «Die Familie und die Gefahr des Globalismus», «LGBT enttarnen», «Stärkere Männer, stärkere Familien», «Bedrohung des Lebens: Wie umgehen mit Abtreibung». Und immer geht es um den verdorbenen Westen, der seine Lasterhaftigkeit nach Afrika exportiert, so wie er einst den Kolonialismus brachte. In einer Pause sagt ein kenyanischer Teilnehmer: «Die Sünde ist wie ein Feuer. Es muss sich immer weiter ausbreiten. In Europa hat es bereits alle Büsche verbrannt. Nun kommt es hierher.»

Die Sünde kommt angeblich in Form westlicher Hilfsorganisationen und Regierungen, die in Afrika HIV-Medikamente, Sexualaufklärung und Toleranz für Homosexuelle verbreiten. Einer der Redner – ein Brite von Christian Voice UK – zählt minutenlang westliche Institutionen auf, die mit ihren Projekten in Afrika einen spirituellen Krieg angezettelt hätten: die Ford Foundation, die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung, den American Jewish World Service, den «Globalisten George Soros».

Doch vielleicht ist die Sache komplizierter. Die Kritiker der Konferenz sagen, die Westler brächten nicht die Sünde nach Afrika. Sondern eher die Homophobie und den religiösen Extremismus, der eine Konferenz wie die in Nairobi überhaupt möglich macht. So lief das in der Kolonialzeit, als Missionare gegen alles hetzten, was angeblich wild und unzivilisiert war. So setzt es sich heute fort, wo westliche Fundamentalisten den Takt trommeln an einer panafrikanisch genannten Konferenz.

Gesetze aus der Kolonialzeit

Die gegenwärtige Welle von Homophobie und ultrakonservativem Furor in Afrika rollte Mitte der nuller Jahre los. Damals kamen vermehrt amerikanische Evangelikale auf den Kontinent. Sie fanden fruchtbaren Boden. Religiöse, konservative Gesellschaften, in denen Familie und Kinder einen Stellenwert haben, den sie im Westen verloren hatten. Dazu in mehr als der Hälfte aller afrikanischen Staaten Gesetze, die homosexuelle Handlungen verboten. Sie waren in der Kolonialzeit von Europäern eingeführt worden. Umgesetzt wurden sie längst nicht mehr; Homosexualität war damals kein Thema, das die Länder gross bewegte.

Das änderte sich. «Der Kampf gegen Homosexualität wurde zu einer Art Massenpsychose», sagt der belgische Politikwissenschafter Kristof Titeca. Er lehrt an der Universität Antwerpen, wo er die Aktivitäten der religiösen Rechten in Afrika untersucht. Titeca sagt, die amerikanischen Evangelikalen seien so erfolgreich gewesen, weil sich Homophobie mit einer antiwestlichen Pose verbinden lasse: Wehret den dekadenten Einflüssen der früheren Kolonialmächte.

In mehreren Ländern schlugen Parlamentarier Gesetze vor, die lange Gefängnisstrafen für Homosexualität vorsahen. 2012 klagten ugandische Menschenrechtler in den USA gegen den evangelikalen Pastor Scott Lively. Er hatte eng mit ugandischen Politikern zusammengearbeitet, die versuchten, die Todesstrafe für Homosexuelle einzuführen.

Neben Beratung gab es auch westliches Geld. Die Plattform Open Democracy errechnete 2020, dass fundamentalistische christliche Organisationen von 2007 bis 2018 mehr als 50 Millionen Dollar in Afrika ausgaben.

Zwei Jahrzehnte nachdem westliche Pastoren und Aktivisten die homophobe Welle lostraten, hat sich diese längst verselbständigt. Das heisst nicht, dass die Fundamentalisten aus den USA und Europa keine Rolle mehr spielen. «Sie stellen Kontakte her, schaffen Netzwerke, bieten nach wie vor Hilfe an bei der Erarbeitung von Gesetzen», sagt der Entwicklungsforscher Titeca. Sie hälfen auch mit, Konferenzen zu organisieren wie jene in Nairobi. Diese haben sich in den vergangenen Jahren gehäuft, sie seien zu einer Art Wanderzirkus geworden.

Die Redner und die Sponsoren sind oft dieselben. So ist vor dem Konferenzsaal in Nairobi eine Plakatwand mit den Logos von einem Dutzend Organisationen aufgestellt. Zu sehen ist etwa das Logo von C-Fam, einer 1997 in Washington gegründeten amerikanischen Organisation, die Abtreibung und Transgenderrechte bekämpft. Oder von Ordo Iuris, einer katholischen Organisation, die in Polen an der Verschärfung des Abtreibungsgesetzes mitgearbeitet hat und sich für «LGBT-freie Zonen» einsetzt.

Die vielleicht umtriebigste Organisation heisst Family Watch International. Ihre Gründerin, die Mormonin Sharon Slater, hat homo- und transsexuelle Personen als krankheitsanfällig und zur Pädophilie neigend beschrieben. Slater ist seit über zwei Jahrzehnten in Afrika tätig, sie unterhält gute Beziehungen zu Politikern, etwa zur ugandischen First Lady, die auch Bildungsministerin ist. Slater führt Anti-LGBT-Schulungen für afrikanische Politiker durch, in denen diese üben, in internationalen Organisationen zu verhandeln. Die Amerikanerin soll laut Recherchen auch massgeblich bei Anti-LGBT-Gesetzen mitgewirkt haben – zum Beispiel bei einem 2023 in Uganda verabschiedeten, das für bestimmte homosexuelle Handlungen die Todesstrafe vorsieht.

Warner aus dem Westen

Auch an der Konferenz in Nairobi ist Slater an vorderster Front dabei. Im Vorfeld gaben die vielen Amerikaner und Europäer, die an der Konferenz auftreten, zu reden. Ein Journalist postete ein Konferenzplakat auf X, das ausschliesslich weisse Redner zeigte. Ein Shitstorm folgte, Nutzer kommentierten: «Kolonisatoren benutzten einst die Bibel, nun sind es Konferenzen.» Die Organisatoren setzten daraufhin auch dunkelhäutige Köpfe auf das Plakat. An der Konferenz selber stört sich niemand an den Rednern aus dem Westen. «Sie sind von Gott gesandt, um uns zu warnen», sagt der Kenyaner, der die westlichen Sünden mit einem Feuer verglichen hat, das sich auch in Afrika ausbreite. Einer der Konferenzorganisatoren, Charles Kanjama, ein Anwalt aus Nairobi, sagt: «Das ist keine Einbahnstrasse, sie sagen uns nicht, was wir tun sollen. Wir stärken einander gegenseitig.» Laut Kristof Titeca, dem belgischen Entwicklungsforscher, gestalten die westlichen Aktivisten die Konferenz aktiv mit. «Sie entwerfen die Agenda», sagt er, sie hülfen mit Geld. Der Organisator Kanjama kontert: «Warum sollten wir kein Geld bekommen? Unsere Gegner bekommen aus dem Westen zehnmal so viel wie wir.»

Auch die First Lady spricht

Unter den Logos der vielen radikalkonservativen Organisationen vor dem Saal fällt eines aus der Reihe: das des kenyanischen Arbeitsministeriums. Es ist Ausdruck davon, wie eng die Beziehungen der religiösen Rechten zur afrikanischen Politik sind, in Kenya noch stärker als anderswo. Präsident William Ruto ist ein Evangelikaler, er lässt in der Präsidentenresidenz Messen lesen und vergiesst dabei gerne Tränen, um seine Frömmigkeit auszudrücken. Seine Gattin Rachel Ruto hält an der Konferenz ein Grundsatzreferat. Die First Lady ist längst nicht die einzige Regierungsvertreterin an der Konferenz – mehrere Minister treten auf.

Auch der feurigste Vertreter der Anti-LGBT-Agenda in Kenyas Politik ist da. Peter Kaluma tritt an einem Morgen ans Rednerpult, kurz nach dem texanischen Konversionstherapeuten Chelette. Kaluma ist Parlamentarier, er hat 2023 eine Vorlage eingebracht, die dem ugandischen Gesetz stark ähnelt.

Nach der Übermittlung eines offiziellen Grussworts des Vorsitzenden des kenyanischen Parlaments spricht Kaluma über die Themen, die ihm am Herzen liegen: über Intersex-Personen («Wenn man genau hinschaut, kann man sehen, dass auch sie entweder Mann oder Frau und nicht beides gleichzeitig sind»), über HIV («Der Westen will, dass ihr euch ansteckt, damit er euch seine Medikamente verabreichen kann»). Am Ende spricht der Parlamentarier über sein Gesetzesprojekt, die «Vorlage zum Schutz der Familie». «Es geht voran», sagt er und verspricht den Anwesenden einen Besuch im Parlament, damit sie den Parlamentariern ins Gewissen reden können.

Es gibt einen Namen, der an der Konferenz fast so oft fällt wie der von Gott oder dem Teufel: jener des amerikanischen Präsidenten. «Ich war der glücklichste Mensch, als Donald Trump gewählt wurde», sagt Peter Kaluma. «Trump verschafft uns Luft zum Atmen», sagt Charles Kanjama, der Organisator. «Wir müssen das Momentum nutzen», sagt ein südafrikanischer Konferenzredner.

Die Konferenzteilnehmer mögen so tun, als führten sie hier eine Abwehrschlacht gegen die westliche LGBT- und Abtreibungsagenda. Tatsächlich sind sie in der Offensive. Ihr mächtiger Verbündeter im Weissen Haus hat die amerikanische Entwicklungshilfebehörde USAID eingestampft – und damit viele Millionen gestrichen, mit denen die amerikanische Regierung in Afrika über Verhütung aufklärte oder HIV-infizierten Homosexuellen half. Vor der Konferenz in Nairobi machte das Gerücht die Runde, der amerikanische Aussenminister Marco Rubio könnte teilnehmen. Er kommt nicht, stattdessen werden im Saal Videobotschaften von amerikanischen Republikanern verbreitet. Das Programm listet auch eine ehemalige Trump-Mitarbeiterin und Anti-Abtreibungs-Aktivistin auf.

Doch niemand sorgt für so viel Euphorie wie Donald Trump selber. Immer wieder erwähnen Redner, dass der amerikanische Präsident in einer seiner ersten Amtshandlungen ein Dekret unterzeichnete, das festhält, dass es nur zwei Geschlechter gebe. Mann und Frau. Die Redner zitieren das, als handle es sich um eine Tat aus der Bibel. Offenbar kommt nicht nur der Teufel aus dem Westen. Sondern auch der Messias.