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Beitrag vom 28.05.2025

NZZ

Deutsche Atomenergie aus Rwanda

Zwei Kernphysiker glauben, mit ihren Kleinreaktoren die Energieprobleme der Welt lösen zu können – wäre da nicht die Überregulierung

Jannik Belser, Berlin

Zwischen einem Kunst-Café und einer Kebab-Bude wollen zwei Männer die Welt verändern. Armin Huke und Götz Ruprecht, die Gründer eines Unternehmens namens Dual Fluid, arbeiten in einem alten Postbüro im Berliner Ortsteil Wedding an einer neuen Generation der Kernkraft.

Ihr Reaktor soll kleiner, leistungsfähiger, zuverlässiger, sicherer und günstiger sein als alle anderen Technologien, die heute Strom produzieren. Die beiden studierten Kernphysiker sind überzeugt, dass sie damit alle globalen Energieprobleme lösen – auch wenn der grosse Erfolg hier in Wedding noch ziemlich weit entfernt scheint. «Google, Amazon, Intel – alle haben mal klein angefangen», sagt Huke.

Doch vorerst bleibt ihre Vision eine Theorie. Seit Jahren wollen Huke und Ruprecht einen experimentellen Reaktor bauen, damit sie ihre Berechnungen in die Praxis umsetzen können. Nur: Wer bezahlt? Und wer erteilt ihnen die Zulassung dafür?

Bei Kaffee und Keksen lassen Huke und Ruprecht ihrem Frust über Deutschland und den Westen freien Lauf. Die Energiewende? Zum Scheitern verurteilt. Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA)? Ein Regulierungsmonster, das jegliche Innovation verhindere. Deutsche Spitzenpolitiker? Ideologen, die die heimische Industrie vernichten würden. Was hier folgt, ist die Geschichte von zwei deutschen Ingenieuren, die sich von ihrer Heimat entfremdet haben, die sich als Visionäre sehen, aber glauben, dass man sie dieser Chance beraubt. Und die nun ihr Glück in Rwanda finden wollen.

Kleiner als eine Waschmaschine

Huke und Ruprecht, beide Mitte 50, kennen sich schon lange. Sie studierten beide Nuklearphysik an der Technischen Universität Berlin – ein Studiengang, den es heute dort nicht mehr gibt. Beim Thema Kernkraft sprudelt es aus den Ingenieuren heraus. Kaum hat der eine seinen Gedanken ausgeführt, setzt der andere bereits zum nächsten an. Sie reden von Kühlungsmitteln und Beschichtungsmetallen, Solitonen und Plutonium. Und von einer Entdeckung, die alles verändern soll.

Vor fast fünfzehn Jahren entwickelte Huke ein Konzept. Er wollte einen Kernreaktor bauen, der flüssigen Kernbrennstoff nutzt statt der Uran-Brennstäbe, die in bestehenden Kernkraftwerken in fester Form eingebaut sind. Dadurch entstehe fast kein radioaktiver Abfall, und die Leistungseffizienz sei zehnmal so hoch wie bei wassergekühlten Reaktoren, erklärt Huke. Schon Alvin Weinberg, der amerikanische Erfinder des Druckwasserreaktors, habe an flüssige Brennstoffe zur Weiterentwicklung der Atomenergie gedacht, das Projekt aber nie zu Ende geführt.

Ein Reaktor von Dual Fluid soll kaum grösser als eine Waschmaschine sein und genug Strom für eine halbe Million Haushalte liefern. So zumindest die Theorie. Hukes Studienkollege Ruprecht war begeistert, die beiden gründeten ein Unternehmen und liessen ihre Methode patentieren. Mittlerweile beschäftigen sie ein kleines Team.

Verkrustete Behörden

Der Nachweis für das Konzept steht noch aus. Doch die Gründer wissen genau, wie ihr Unternehmen durchstarten wird. Gerade suchen sie nach Investoren, die den Bau eines experimentellen Reaktors finanzieren sollen. Sobald die Finanzierung sichergestellt ist, will Dual Fluid den Reaktor bauen, betreiben und nach zwei Jahren wieder abbauen. Das Experiment soll beweisen, dass die deutschen Ingenieure richtigliegen. «Dann werden Investoren für die nächste Runde der Entwicklung Schlange stehen», sagt Ruprecht. Ab den frühen 2030er Jahren soll es die Reaktoren am Markt geben.

Doch wo soll dieser Testreaktor stehen? Es ist eine Frage, an der die Gründer von Dual Fluid fast verzweifelten. Methoden, die über den herkömmlichen Technologiestandard von wassergekühlten Reaktoren hinausgehen, würden in den meisten Ländern nicht zugelassen. Die Regulierungsbehörden hätten verlernt, mit experimenteller Kerntechnik-Entwicklung umzugehen, sagt Huke: «In allen westlichen Ländern verunmöglicht Überregulierung die Entwicklung neuartiger Kernkrafttechnik.» Den Behörden würde nur schon das Personal fehlen, das kompetent genug sei, sich mit neuen Methoden auseinandersetzen zu können.

Wut auf Deutschland

In Kanada, wo Ruprecht lange an einem Kernforschungszentrum arbeitete und wo die beiden Deutschen die Firma Dual Fluid gegründet haben, wären die Anforderungen für ein Gesuch horrend gewesen, sagt Ruprecht – zu lange Wartezeiten, zu hohe Kosten. Und auch in Argentinien, Südafrika und Ägypten seien die Behörden «ziemlich verkrustet» gewesen. Und in Deutschland? Da haben es Huke und Ruprecht gar nicht erst versucht. Schon beim Gedanken daran lachen sie.

Deutschland hat ein kompliziertes Verhältnis zur Kernkraft. 1938 spaltete der deutsche Physiker Otto Hahn erstmals einen Atomkern, er schaffte damit die Vorbedingung für die Kernenergie. In den 1950er und 1960er Jahren wurden in Deutschland zahlreiche Atomkraftwerke gebaut, die zu den fortschrittlichsten der Welt zählten.

Doch dann kam die politische Kehrtwende. 2002 entschied die Regierung um Gerhard Schröder, dass Deutschland schrittweise aus der Kernenergie aussteigen werde. Die CDU-Kanzlerin Angela Merkel wollte diesen Entscheid erst kippen, machte den Atomausstieg drei Tage nach der Katastrophe in Fukushima aber endgültig. Das hatte Auswirkungen auf den Forschungsstandort: Viele deutsche Lehrstühle schlossen, zahlreiche Kernphysiker wanderten aus.

Die letzten deutschen Atomkraftwerke gingen 2023 vom Netz. Politisch bleibt der Ausstieg umstritten. Friedrich Merz nannte ihn einmal einen «Irrsinn», die CDU forderte im Wahlkampf in ihrem Parteiprogramm, dass die stillgelegten Reaktoren wieder hochgefahren werden.

Trotzdem deutet wenig darauf hin, dass das Land bald zur Atomkraft zurückkehren wird. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung steht nichts zur Reaktivierung von Kernkraftwerken. Die Wirtschaftsministerin Katherina Reiche sagte jüngst an einer Veranstaltung, ein Wiedereinstieg sei angesichts des fehlenden Vertrauens und der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz nicht realistisch.

Armin Huke und Götz Ruprecht reden sich in Rage, wenn sie nach ihrer Meinung zur deutschen Politik gefragt werden. Sie sprechen dann von der «verspäteten Nation», den «Kulturmarxisten der Frankfurter Schule», dem «Durchmarsch der 68er», der «Öko-Religion» und der «Unterdrückung der freien Forschung». Der Sozialismus müsse abgebaut werden, sagt Huke. Ruprecht schmunzelt.

Alle scheinen begeistert

Anderswo sei vieles besser, finden beide. Sie denken dabei vor allem an ein Land: Rwanda. Vor anderthalb Jahren hat Dual Fluid von der Regierung in dem ostafrikanischen Land eine Zulassung für ihren experimentellen Reaktor erhalten. Huke und Ruprecht kommen ins Schwärmen: Sehr effizient sei das mit den rwandischen Behörden bei der Zulassung gelaufen. Die Beamten dort seien kompetent, viele von ihnen hätten an einer angesehenen Universität in Moskau studiert. Und sie würden mit den Richtlinien der IAEA anders umgehen als die Regulierer im Westen. «Die rwandischen Behörden sind ergebnisorientiert. Und sie wollen technische Entwicklung voranbringen», sagt Huke.

Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte niemand gedacht, dass Rwanda als Standort für Kernforschung infrage käme. 1994 verübten Angehörige der Hutu, einer ethnischen Volksgruppe, einen Völkermord an den Tutsi. Sie töteten in hundert Tagen fast eine Million Menschen. Rwanda war damals eines der ärmsten Länder der Welt.

Doch seither ist das Land wirtschaftlich rasant gewachsen. Es ist eine Entwicklung, die Präsident Paul Kagame sich selbst zuschreibt. Er regiert das Land seit dem Jahr 2000, Menschenrechtsorganisationen sprechen von einer autoritären Machtausübung. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit schreibt über Rwanda: «Neben beachtlichen wirtschaftlichen und sozialen Erfolgen sind jedoch ausgeprägte Defizite in den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verzeichnen.» Möglichkeiten der Einsprache gegen ein Projekt, das von der Regierung einmal zugelassen wird, sind beschränkt. Ruprecht sagt dazu: «Als wir letztes Mal dort waren, haben wir mit vielen Leuten über das Projekt gesprochen. Alle waren davon begeistert.» Und damit ist das Thema für ihn abgeschlossen.

Schwierige Geldsuche

Bevor Dual Fluid in Rwanda loslegen kann, muss das Unternehmen allerdings noch Geldgeber finden. 100 Millionen Euro koste der experimentelle Reaktor, rechnen die Physiker. Doch die Suche nach Investoren verlaufe schleppend, sagt Ruprecht. Dual Fluid habe zwar schon einige Millionen zusammen, viele der bisherigen Geldgeber seien deutsche Kleinunternehmer. Es fehle allerdings noch ein Grossinvestor, der das Projekt stützen würde – und dessen Strahlkraft dafür sorgen würde, dass auch kleinere Geldgeber zahlreicher einstiegen.

Manchen anderen Startups gelingt das besser. Beispielsweise ist Bill Gates bei Terra Power beteiligt, Sam Altman war bis April Verwaltungsrat von Oklo, Google finanziert Kairos Power. Die Tech-Unternehmer hoffen, mit neuen Atomkraftwerken sauberen Strom für ihre energieintensiven Rechenzentren zu bekommen. Von der Konkurrenz halten Huke und Ruprecht jedoch wenig. Technologisch seien die anderen Kleinreaktoren genauso altmodisch und ineffizient wie die alten Druckwasserreaktoren, sagt Huke. Die Konzepte seien jenem von Dual Fluid unterlegen.

«Bin ich blöd?»
Wieso schaffen es die deutschen Ingenieure denn nicht, andere von ihrem Reaktor zu überzeugen? Huke führt die Schwierigkeiten auf seinen beruflichen Hintergrund zurück: «Wir sind nun halt mal Ingenieure und haben keine Verbindungen in die Finanzwirtschaft.» Ruprecht denkt an die deutsche Politik. Er sagt, diese schrecke mögliche Investoren ab: «Die Politiker müssen uns keine Milliarden an Subventionen bezahlen. Es würde uns schon helfen, wenn die Politik dauerhaft und klar nuklearfreundlich wäre.»

Für Huke und Ruprecht ist die Sache eindeutig: Ihr Projekt ist revolutionär, die Rahmenbedingungen sind katastrophal. Die beiden fühlen sich von ihrem Land im Stich gelassen. Doch liegt es wirklich am Umfeld? Oder ist das Geschäftsmodell von Dual Fluid doch nicht so gut, wie die Gründer glauben?

Diese reagieren emotional auf die Frage, ob sie sich mit ihrer Erfindung geirrt haben könnten. Sie widersprechen vehement, reden plötzlich ein bisschen lauter. Ruprecht sagt: «Manchmal frage ich mich schon: Bin ich blöd, oder sind es die anderen?» Aber dann denke er sich: Alles richtig berechnet, ist doch Physik. Und auf die könne man sich verlassen.