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Beitrag vom 21.01.2025

Finanz und Wirtschaft FuW

Was der Fall Nigerias über den Zustand Afrikas verrät

Die zweitgrösste Volkswirtschaft südlich der Sahara galt als grosser Hoffnungsträger. Heute steht das Land exemplarisch für die Stagnation eines ganzen Kontinents.

Wolfgang Drechsler

Nirgendwo in Afrika klaffen Anspruch und Realität weiter auseinander als in Nigeria, dem mit inzwischen 230 Mio. Menschen bevölkerungsreichsten Staat des Kontinents. Als der Ölstaat im Westen Afrikas vor zehn Jahren eine Zeit lang Südafrika als grösste Volkswirtschaft in Afrika ablöste, avancierte er sogar zum Liebling vieler Analysten.

Doch mit dem Rückgang seiner Ölförderung und der Zunahme interner Unruhen wurde abermals deutlich, dass der Vielvölkerstaat es seit Jahrzehnten sträflich versäumt hat, seine vom Öl abhängige Wirtschaft zu diversifizieren – und darüber stabilere politische Verhältnisse zu schaffen. Noch immer hängen Nigerias Staatseinnahmen zu 75% am Öl. Was schon deshalb fatal ist, weil seine Ölproduktion auf nur noch 1,4 Mio. Barrel am Tag gefallen ist und damit um fast ein Drittel unter seinem einstigen Höchststand liegt.

Investoren flüchten

Daneben demoralisieren die vielen islamistischen Attacken das Land und seine Menschen. Vollmundige Ankündigungen der Regierung zur Beendigung der Gewalt gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Tatsächlich passiert ist jedoch wenig. Erst in der vergangenen Woche wurden bei einem weiteren Massaker in dem zum Teil von Islamisten kontrollierten Unruhegebiet Borno mindestens vierzig Kleinbauern ermordet – Nachrichten, die weltweit trotz hoher Opferzahlen kaum noch Beachtung finden. Der Grund für das Massaker war diesmal offenbar die Missachtung eines Ernteverbots, das die islamistische Terrorbande Boko Haram den Bauern in Borno verordnet hatte.

Islamistische Banden wie Boko Haram haben seit 2010 rund 350’000 Menschen ermordet und etwa 2 Mio. weitere vertrieben. Immerhin sollen seit Mitte letzten Jahres Tausende Mitglieder der Terrorgruppe ihre Waffen niedergelegt und staatliche Rehabilitationsprogramme angetreten haben. Noch deutet angesichts der bitteren Armut im muslimischen Norden und des damit verbundenen hohen Rekrutierungspotenzials der Islamisten allerdings wenig auf eine echte Trendwende hin.

Die anhaltende Gewalt vertreibt nicht nur die Menschen aus ihrer Heimatregion, sondern auch internationale Investoren. Die Folgen sind landesweit spürbar: Während die Bevölkerung rapide wächst, lahmt die Wirtschaft; die Staatsverschuldung erreicht immer neue Höhen. Inzwischen ist das Verhältnis der Gesamtschulden zu den Regierungseinnahmen laut dem Wirtschaftsmagazin «The Economist» in Nigeria höher als in jedem anderen Land der Welt – mit Ausnahme des kriegszerstörten Sudans und Jemens.

Genau deshalb hat es dem Land bislang auch nur wenig geholfen, dass der Mitte 2023 ins Amt gekommene Staatschef Bola Tinubu die zuvor jahrelang künstlich gestützte und dadurch überbewertete Landeswährung Naira seit seinem Machtantritt gleich zwei Mal abgewertet hat. Ziel war es, die hoch defizitäre Handelsbilanz durch die das Anschieben von Exporten und die zeitgleiche Verteuerung von Importen zu verringern. Zusätzlich versuchte Tinubu dann auch noch, die für den Staat enorm kostspieligen (aber für den gesellschaftlichen Frieden wichtigen) Subventionen für Benzin abzuschaffen.

«65 Jahre nach der Unabhängigkeit ist das politische System von Korruption zerfressen.»

Gleichwohl fehlt der Regierung ein Plan für die Teile der Bevölkerung, die am stärksten unter dem Subventionsabbau leiden: die inzwischen rund 100 Mio. Nigerianer, die unter der Armutsgrenze leben. Kein Wunder, dass es mit dem Anstieg der Inflation auf nun rund 30% Mitte 2024 zu Unruhen kam. Auch fällt es ausländischen Unternehmen immer schwerer, ihren oft nur noch geringen Gewinn zu repatriieren. In der Folge entschieden sich deshalb einige Konzerne wie der Pharmakonzern GSK, Nigeria zu verlassen, was sich wiederum auf die Verfügbarkeit von Medikamenten auswirkte.

Aber auch Konsumgüterhersteller wie etwa Unilever haben längst erkannt, wie schnell der vermeintlich stark wachsende Mittelstand in Afrika selbst bei kleineren wirtschaftlichen Schocks schrumpft – und dass der Markt südlich der Sahara keineswegs so viele neue potenzielle Kunden birgt, wie die Bevölkerungsstatistiken oft glauben machen.

Kein Wunder auch, dass die zunächst abgeschafften Benzinsubventionen durch die Hintertür verdeckt wieder eingeführt wurden. So tauscht der staatliche Ölkonzern NNPC sein lokal gefördertes Rohöl nun gegen im Ausland verarbeitetes Öl – und verkauft dieses zu einem subventionierten Preis unterhalb des Marktniveaus an Nigerias Autofahrer.

Das geht wiederum auf Kosten der eigentlich für Gesundheit oder Bildung notwendigen Ausgaben, die für ein Land wie Nigeria viel zu niedrig sind. Selbst die (Teil-)Eröffnung einer gigantischen neuen Raffinerie im September letzten Jahres durch Aliko Dangote, Afrikas reichsten Geschäftsmann aus Nordnigeria, hat daran schon deshalb bislang wenig geändert, weil es im Markt viele Akteure gibt, die sich dort mit Macht gegen alle Reformen im Ölsektor stemmen.

Die Politik muss handeln

65 Jahre nach der Unabhängigkeit ist das politische System deshalb von Korruption zerfressen – ein System, in dem einige wenige sehr schnell reich werden, während die allermeisten bitterarm bleiben. Gerade in Nigeria zeigen sich die Probleme des afrikanischen Kontinents wie unter einem Brennglas: Die gesellschaftlich verankerte Korruption, gepaart mit dem Vorrücken des Dschihadismus, hat viele Investoren aus fast allen Staaten am Südrand der Sahara (Sahel) vertrieben.

Noch immer entfallen grade auch deshalb lediglich 3,5% der globalen ausländischen Direktinvestitionen und weniger als 3% des gesamten Welthandels auf Afrika mit seinen bald 1,5 Mrd. Menschen.

Um in diesem Umfeld eine weitere Zunahme der Armut zu verhindern, müsste die Wirtschaftsleistung Nigerias mindestens so stark wachsen wie seine Bevölkerung, also um 3,2% pro Jahr. Mit durchschnittlich 5,3 Kindern pro Frau und 7,5 Mio. Geburten im Jahr werden hier nämlich inzwischen mehr Babys geboren als in der gesamten Europäischen Union.

Obwohl Tinubu wiederholt versprochen hat, weniger interventionistisch als seine Vorgänger zu agieren, ist davon in der Politik des Landes und seinen aktuellen Wirtschaftsdaten wenig zu sehen. Allerdings ist es grade in Nigeria auch extrem schwierig, die alten und oft hoch korrupten Kartelle zu zerschlagen. Doch ohne ein entschlosseneres Vorgehen, wie Javier Milei es in Argentinien gerade vorexerziert, sind weitere schmerzhafte Anpassungsmassnahmen unvermeidlich. Nach Jahren der Stagnation und leerer Versprechungen droht Nigeria nun die Zeit davonzulaufen.