Beitrag vom 09.11.2021
welt.de
Klimagipfel COP 26
Plötzlich fordern die Entwicklungsländer Billionen statt Milliarden – pro Jahr
Von Daniel Wetzel
Mit der zweiten Woche beginnt die heiße Phase des Mammuttreffens. Eine Woche nach Joe Biden spricht nun auch Barack Obama auf dem Klimagipfel der UN. Sehen Sie hier die Rede des früheren US-Präsidenten.
Die Industrieländer sollten den armen Staaten jährlich 100 Milliarden Dollar als Klima-Hilfe zur Verfügung stellen. Ein Ziel, an dem sie scheiterten. Jetzt legen die Afrikaner ihre Forderungen für nach 2025 vor. Es geht um das 13-fache.
Die gute Stimmung auf dem Weltklimagipfel in Glasgow war zu Beginn der zweiten Verhandlungswoche dahin, daran konnte auch der mitreißende Auftritt des früheren US-Präsidenten Barack Obama nichts mehr ändern. Denn jetzt ging es nicht mehr um gute Worte, es ging ums Geld.
Auf der Weltklimakonferenz von Kopenhagen im Jahre 2015 hatten die Industrieländer zugesagt, den Entwicklungsländern ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar Finanzhilfen für Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Doch mit dieser Zusage hatte sich die westliche Welt überhoben. Bis Ende des Corona-Jahres 2020 kamen kaum 80 Milliarden Dollar aus privaten und öffentlichen Quellen zusammen.
Der Bruch des Versprechens von Kopenhagen lastet nun schwer auf den Verhandlungen der 26. Conference of the Parties der Klimarahmenkonvention (COP26). Sprecher der Gruppe der afrikanischen Staaten und der in der Gruppe der 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer äußerten sich im Plenum „enttäuscht“ über das Unvermögen der Industrieländer, langfristige Finanzzusagen im Bereich Klimaschutz einzuhalten, beziehungsweise neue zu machen.
Ahmadou Sebory Toure, Chefverhandler des westafrikanischen Guinea und Sprecher der „Gruppe der 77“, erklärte: „Eine COP kann niemals erfolgreich sein, wenn sie keine finanzielle Klarheit schafft oder am Ende nur leere und ungenügende Ankündigungen enthält.“
Deutschland und Kanada hatten im Auftrag des britischen COP-Präsidenten Alok Sharma noch in letzter Minute versucht, die fehlenden Mittel zum 100-Milliarden-Ziel aufzutreiben – vergeblich. Am Ende kam nur ein „Fahrplan“ dabei heraus, nach dem das Geld in vollem Umfang schließlich 2023 verfügbar sein könnte – drei Jahre zu spät.
Die Schwierigkeiten, privates und öffentliches Geld in dieser Höhe zu beschaffen, stieß bei den Entwicklungsländern auf wenig Verständnis. Da in Kopenhagen vereinbart worden war, die 100 Milliarden Dollar ab Mitte des Jahrzehnts noch einmal aufzustocken, begann in Glasgow bereits der Poker um die Finanzhilfen für die nächste Periode 2025 bis 2030.
Dabei legte die Gruppe der afrikanischen Staaten erstmals eine konkrete Forderung auf den Tisch: Transfers über 1,3 Billionen Dollar pro Jahr seien nötig, um in den Entwicklungsländern Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren und ihnen die Anpassung an die Erderwärmung zu ermöglichen. Diese 1300 Milliarden Dollar pro Jahr wären eine Verdreizehnfachung der in Kopenhagen zugesagten, privaten und staatlichen Transferzahlungen.
Der Sprung aus dem Milliarden- in den Billionen-Bereich der Klimafinanzierung erscheint extrem. Allerdings verorten verschiedene Studien den Investitionsbedarf für die klimaneutrale Transformation der globalen Wirtschaft bis 2050 im dreistelligen Billionen-Dollar-Bereich, was die Bedeutung der bisherigen 100-Milliarden-Dollar-Zusage entsprechend relativiert.
Die Vereinten Nationen verweisen zudem darauf, dass allein die globalen Militärausgaben bei jährlich zwei Billionen Dollar liegen. Schon Deutschland benötigt bis 2030 pro Jahr Mehrinvestitionen von 860 Milliarden Euro, um die Zwischenziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, wie jüngst eine Studie der Boston Consulting Group im Auftrag des Industrieverbands BDI ergeben hatte.
Die Industrieländer sollen bereits in Glasgow den Anpassungsfonds verdoppeln
Die Entscheidung über die neuen Klimahilfen für die Entwicklungsländer steht zwar erst für die UN-Verhandlungsrunde im Jahr 2024 an. Doch die Forderung spiegelte bereits die grundsätzliche Erwartungshaltung der Entwicklungsländer auch für die aktuelle Weltklimakonferenz wider.
Demnach sollen die Industrieländer bereits in Glasgow den sogenannten Anpassungsfonds verdoppeln und überdies einen weiteren Fonds auflegen, aus dem die heute bereits auftretenden „Verluste und Schäden“ – im Konferenzjargon „losses and damages“ – des Klimawandels kompensiert werden.
Die Forderung, einen institutionellen Rahmen zur Finanzierung von Klimaschäden zu schaffen, stieß in Glasgow erneut auf den Widerstand zahlreicher Industrieländer, darunter auch Deutschland.
Der Chefverhandler des Bundesentwicklungshilfe-Ministeriums (BMZ), Jürgen Zattler, verwies auf die Schwierigkeiten, Finanzhilfen zur Deckung von Klimaschäden systematisch abzugrenzen von den bereits existierenden Anpassungshilfen, für die schon ein milliardenschwerer Fonds existiert. „Wir wissen nicht so richtig, was ‚loss and damage‘ eigentlich ist“, sagte Zattler in Glasgow: „Wir tappen da noch ganz im Dunkeln.“
Wohl aus Sorge vor der Aussicht, dass künftig jedes Extremwetterereignis als „Klimaschaden“ finanziell geltend gemacht werden könnte, gebe es für einige Industrieländer hier „eine rote Linie“, sagte Zattler.
„Wir sollten jetzt nicht vorschnell zu irgendwelchen Lösungen springen“
Um die Forderung der Entwicklungsländer nach Kompensation für „losses and damages“ systematisch abgrenzen und einordnen zu können, habe sein Ministerium eine Grundlagen-Studie bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, in Auftrag gegeben.
Es sei „ja immer das erste, neue Fonds zu fordern“, so der BMZ-Verhandler: „Aber wir sollten jetzt nicht vorschnell zu irgendwelchen Lösungen springen.“ COP-Präsident Alok Sharma erkannte gleichwohl Bewegung: „Die Finanzierung von Verlusten und Schäden war immer eine polarisierende Streitfrage auf Klimakonferenzen“, sagte Sharma, „doch die Tonlage hat sich verändert.“
Deutschland ist mit 390 Millionen Euro bislang größter Geber des sogenannten Anpassungsfonds bei den Vereinten Nationen. Der Fonds, einer von mehreren zugunsten der Entwicklungsländer, finanziert unter anderem Frühwarnsysteme gegen Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen oder Waldbrände, effiziente Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft und grenzübergreifendes Küsten- und Wassermanagement.
In Glasgow kündigte der deutsche Delegationsleiter, Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth, an, die deutschen Finanzhilfen für Klimaanpassungen um weitere 150 Millionen Euro aufzustocken. Insgesamt habe Deutschland Haushaltsmittel über 7,8 Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung vorgesehen. Kritik an der Höhe der Ausgaben sei unverhältnismäßig, sagte Flasbarth und verwies zum Vergleich auf die 30 Milliarden Euro, die Deutschland kurzfristig zur Beseitigung der Überflutungsschäden im Ahrtal mobilisieren konnte: „Wir reden also über ganz andere Größenordnungen.“
„Andere müssen jetzt nachziehen“, forderte Entwicklungsminister Gerd Müller: „Die Menschen in den ärmsten Ländern dürfen nicht die Verlierer des Klimawandels sein. Denn sie haben am wenigsten zum Klimawandel beigetragen und leiden am meisten unter den Folgen.“ Vor allem die Europäische Union, so Müller „sollte noch viel stärker über ihre Grenzen hinausdenken und etwa ihren Green Deal auf Afrika ausweiten.“