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Beitrag vom 01.11.2021

FAZ

Südafrika

„Bringt die Weißen wieder an die Regierung“

Die katastrophale Versorgung schürt die Wut in Südafrika. Die Kommunalwahlen könnten zur Abrechnung mit der Regierungspartei ANC werden.

Von Claudia Bröll, Vanderbijlpark

Irgendwann hat sich Fanie Barkhuizen so sehr über die drei riesigen Löcher in der Straße vor seinem Haus geärgert, dass er kleine Palmen davor pflanzte. Zur Verschönerung. In jedem von ihnen könnte locker ein Auto verschwinden – oder bei Regen ein Nilpferd, wie die Bewohner dieses Viertels in Emfuleni südlich von Johannesburg gerne spotten. Die Löcher klaffen schon seit drei Jahren im Boden. Gekümmert hat sich die Gemeindeverwaltung bisher nicht. Nun aber hängen an allen Laternenpfosten entlang der Straße Wahlkampfplakate mit Kandidaten verschiedener Parteien. Sie lächeln scheinbar zuversichtlich auf die drei tiefen Löcher herab.

Südafrika ist im Wahlkampffieber. An diesem Montag finden die Kommunalwahlen statt. Für die Regierungspartei Afrikanischer Nationalkongress (ANC) sind sie die erste große Bewährungsprobe seit Beginn der Corona-Pandemie und nach den Ausschreitungen im Juli, als Tausende in zwei Provinzen Einkaufszentren und Supermärkte plünderten. Auslöser der Unruhen war angeblich der Gang des früheren Präsidenten Jacob Zuma ins Gefängnis. Mittlerweile ist er nach offiziellen Angaben aus „gesundheitlichen Gründen“ wieder entlassen worden.

Umfragen zufolge könnte der ANC herbe Stimmenverluste verzeichnen. Schon 2016 hatte er die Mehrheit in großen Metropolen wie Johannesburg verloren und das schlechteste Ergebnis seit dem Ende der Apartheid eingefahren. Damals profitierten die großen Oppositionsparteien Democratic Alliance (DA) und die Economic Freedom Fighters (EFF) von den Verlusten des ANC. Jetzt könnte es anders sein. Nie zuvor traten so viele kleine Parteien und unabhängige Kandidaten an. Den „Independents“ werden gute Chancen attestiert. Daraus könnten vielerorts völlig neue Koalitionen entstehen.

Die Nachbarschaft hilft sich selbst

Fanie Barkhuizen gestikuliert wild, als er mit seinen drei Nachbarn vor seinem Haus steht. Schon wieder kein Strom, schimpft er, schon seit einer Woche. Er hat einen Dieselgenerator. Wenigstens das, aber das Ungetüm sei laut und sehr teuer. 500 Rand am Tag, umgerechnet 30 Euro. Immerhin gehe sein Alltag irgendwie weiter, und die Nachbarn könnten auch Strom abzapfen. Die Straßenlaterne, an der die Wahlplakate hängen, habe übrigens zuletzt 2001 funktioniert, schiebt er hinterher.

Für Südafrika ist das Nachbarschaftstreffen fast drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid immer noch ungewöhnlich. Barkhuizen ist ein weißer Afrikaner, ein Mann, der bei jedem Wetter kurze beige Hosen und ein über den Bauch gespanntes kurzärmeliges Hemd trägt. Die drei Nachbarn sind schwarze Südafrikaner. Sie zogen nach dem Ende der Apartheid nach und nach in diese zuvor „weiße“ Wohngegend mit den einstöckigen Backsteinhäusern und großen Gärten. „Wir halten hier alle zusammen“, sagt einer von ihnen. Die anderen nicken. Ärger und Nöte schweißen zusammen.

In Südafrikas Armenvierteln sind Proteste gegen die schlechte Versorgungslage schon lange alltäglich. Bewohner besserer Gegenden nehmen meist keine Notiz mehr davon. Doch bei diesen Wahlen ist „Service Delivery“ das große Thema. „Wir versprechen dem südafrikanischen Volk, dass wir es besser machen werden, viel besser, als wir es in der Vergangenheit getan haben“, sagte Präsident Cyril Ramaphosa, als er das ANC-Wahlmanifest vorstellte, und gestand ein: „Wir haben nicht immer das Beste getan.“

Die Partei versinkt im Chaos

Für die einstige Partei von Nelson Mandela verliefen auch die Vorbereitungen auf diese Wahlen holprig. Beinahe wäre der ANC gar nicht überall angetreten. Erst musste er Häme einstecken, weil er die Gehälter der eigenen Mitarbeiter nicht mehr bezahlen konnte. Dann hatte er die Kandidatenlisten für zahlreiche Bezirke nicht rechtzeitig parat, weil er auf eine Verschiebung der Wahl wegen der Corona-Pandemie gesetzt hatte. Das Verfassungsgericht aber lehnte einen entsprechenden Antrag der Wahlkommission ab. Nach einigem Ringen gewährte sie dem ANC eine Gnadenfrist. Als die Listen eilig fertiggestellt waren, eskalierte in einigen Orten die Gewalt. Einige Namen waren wohl auf verschlungenen Wegen auf die Listen gelangt, von Manipulation war die Rede.

Emfuleni hat 800?000 Einwohner und ist vor allem wirtschaftlich eine bedeutende Gemeinde. Die Städte Vereeniging, Vanderbijlpark und das in die Geschichte eingegangene Township Sharpeville gehören zu ihr. Unternehmen wie der Stahlkonzern Arcelor-Mittal haben hier ihre Werke. Für Schlagzeilen sorgt die Riesengemeinde aber aus anderen Gründen. Medien nennen sie die Kommune mit der schlechtesten Verwaltung in der Provinz Gauteng: hoch verschuldet, insolvent, gescheitert. Anfang dieses Jahres schaltete sich die südafrikanische Kommission für Menschenrechte ein. Wegen der zusammengebrochenen Infrastruktur fließt täglich eine Million Liter unbehandeltes Abwasser auf Straßen, in Häuser und in den Vaal River, den drittgrößten Fluss im Land und die Wasserquelle für Millionen von Menschen. Verzweifelte Bürger hatten schon zuvor mit dem Slogan #EmfuleniMustFall gegen die vielen Missstände protestiert. Geändert hat sich nichts. Da die Kommune zahlungsunfähig ist, wird sie seit Mitte 2018 von einem Verwalter aus der Provinzregierung geführt. Obwohl er laut Verfassung längst hätte aufgelöst werden müssen, ist der vom ANC dominierte Gemeinderat noch im Amt. Genau das scheint das Problem zu sein.

Auf den ersten Blick ist in Emfuleni an einem sonnigen Nachmittag alles in bester Ordnung. Die Gästehäuser dort heißen „Little Eden“ oder „Sunflower“, ein Viertel trägt den Namen „Peacehaven“. Doch Gerhard Janse van Rensburg kennt die Ecken, die Besucher normalerweise nicht sehen sollten. Er ist Rentner, kehrte nach dem Berufsleben in seine Heimatstadt zurück und hat jetzt eine Mission: Emfuleni wieder zu einem lebenswerten Ort machen.

Auf einer Rundfahrt durch Vanderbijlpark zeigt er in einem Wäldchen einen Bach am Straßenrand. Gemächlich fließt das Wasser dahin, doch ein beißender Geruch dringt selbst durch das geschlossene Autofenster. Das Wasser strömt aus einem nahe gelegenen undichten Betondeckel am Boden an die Oberfläche. „Keine Abwasserpumpe und Aufbereitungsanlage funktioniert hier“, sagt Janse van Rensburg wütend. Neben dem Betondeckel steht ein abgestorbener Baum, ein paar Vögel picken in der Kloake.

Der nächste Stopp auf dieser Besichtigungstour ist ein Umspannwerk. Die Metalltür hängt schief in den Angeln, vermoderte Matratzen von Obdachlosen liegen drinnen, draußen ist die Wiese von Hausmüll übersät. Immerhin gibt der Metallkasten im Inneren ein surrendes Geräusch von sich. In einem anderen Umspannwerk sei vor einigen Jahren das Dach eingestürzt, berichtet der Rentner. Auch das habe niemanden in der Verwaltung interessiert. Letztlich hätten Bürger das Werk selbst wieder aufgebaut, ohne Erlaubnis, mit eigenem Geld.

Den schlechten Ruf ihrer Gemeinde machen die Bewohner von Emfuleni mit Freundlichkeit wett. Jeder hat Zeit und vor den Wahlen viel zu sagen. Angie Saohatse ist Hausangestellte in einem Gästehaus neben dem Golfplatz. Die Wirtin müsse wegen des Abwassergeruchs immer wieder Gästen absagen, erzählt sie. Jetzt macht sie sich um ihren Arbeitsplatz Sorgen. Als sie von ihrem arbeitslosen Mann und den acht Kindern berichtet, bricht es plötzlich aus ihr heraus: „Bringt die Weißen wieder an die Regierung.“ Zur Erklärung setzt sie schnell hinzu: „Glaub mir, hier muss jemand etwas tun, mir ist ganz egal, wer.“

Viele Wähler hoffen jetzt auf die „Independents“. In Emfuleni treten mehr als 30 unabhängige Kandidaten zur Wahl an. Bischof Vincent Jones ist im Pfarrhaus einer nicht mehr genutzten Kirche anzutreffen. Ein hoher Stapel mit Wahlplakaten steht am Eingang. „Citizens take over“ und „Save Emfuleni“ ist auf ihnen zu lesen. Anfang dieses Jahres gründete er die Bewegung „New Horizon“. Es sei keine Partei, sagt er in bedächtigen Worten. „Nein, nein. Wir sind eine nicht auf Gewinn ausgerichtete Organisation, wir sind unpolitisch, wir wollen keine politische Macht, wir wollen nicht auf nationaler oder Provinzebene kandidieren, wir wollen nur eines: eine unpolitische, professionelle und saubere Kommunalverwaltung.“

Zu der noch jungen Bewegung gehören Bürgergruppen, Wirtschaftsvertreter und freiwillige Helfer wie Janse van Rensburg. Politiker sind nicht dabei. „Völlig fehl am Platz auf kommunaler Ebene“, sagt Bischof Jones über sie. Vor Ort gehe es um eine funktionierende Infrastruktur, um Basis-Dienstleistungen und ordentliche Finanzen. „Dafür braucht man keine Politiker, dafür braucht man professionelle Leute, Ingenieure, Finanzfachleute, Manager. Das ist eher ein Job für ein Unternehmen als für eine Partei.“ Er hält die Kandidaturen der vielen „Independents“ für den Beginn eines Paradigmenwechsels nicht nur in Emfuleni. „Meine Hoffnung ist, dass im Jahr 2024 die Hälfte der Gemeinden in Südafrika unpolitisch ist.“

Abkehr vom ANC

Die Geduld der Bürger sei zu Ende, vor allem in solchen völlig vernachlässigten Ortschaften. „Diese Gemeinde ist insolvent, überall fließt dreckiges Abwasser, es ist ein völliger Zusammenbruch. Im Grunde gibt es keine Regierung.“ Normalerweise würden verärgerte Menschen gar nicht zur Wahl gehen, sagt der Bischof. „Wir bieten ihnen eine Alternative.“ Je nach Ergebnis will seine Bewegung nach der Wahl mit anderen unabhängigen Organisationen zusammenarbeiten, um die Mehrheit der Sitze im Gemeinderat zu stellen.

Einen grundlegenden Gesinnungswandel hat Bischof Jones auch selbst hinter sich. Früher war er Mitglied im ANC, involviert in den Widerstandskampf gegen die Apartheid. Seine Kirche in Soweto diente Mitte der achtziger Jahre als Treffpunkt für ANC-Genossen. „Wir wurden von der Polizei schikaniert“, erinnert er sich, „sie warf Tränengaskanister durch das Fenster der Kirche, sie kam nachts und durchsuchte das Missionshaus nach Waffen. Wir schliefen immer halb wach, weil wir wussten, dass sie jederzeit kommen und die Tür eintreten konnten.“ Er selbst wurde nie verhaftet, aber er wusste stets, dass er beobachtet wurde, auch im Ausland. Auf einer Konferenz in Amsterdam 1986 sprach ihn ein Mann an, der sich als amerikanischer Journalist ausgab. „Ich sah ihn mir an und dachte, er sieht aus wie ein weißer Südafrikaner, er spricht auch so. Er war ein Spion.“

Auch nach den ersten demokratischen Wahlen 1994 blieb der Bischof überzeugter ANC-Anhänger. Der Bruch kam, als sich die Korruptionsskandale häuften, vor allem während der Präsidentschaft von Jacob Zuma. Heute sieht er Parallelen zu anderen afrikanischen Ländern. „Leider gibt es in ganz Afrika schlechte Beispiele, wie eine Befreiungsbewegung in eine Diktatur umschlägt und durch und durch korrupt wird. Das ist überall passiert. Wir befinden uns auf dem gleichen Weg. Wir haben keine Lehren gezogen.“ Sich einer Oppositionspartei anzuschließen kommt für ihn nicht infrage. Daher entschied er sich für eine eigene Bewegung. Er nennt sich bewusst nicht „Vorsitzender“, sondern „CEO“, spricht im Manager-Jargon vom „Bottom-up-Ansatz“: Unten, auf der lokalen Ebene müsse man anfangen, Missstände zu beseitigen.