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Beitrag vom 26.10.2021

faz.net

Sudan

Eine gewagte Konstruktion wird weggeputscht

Mit der Machtübernahme durch das Militär endet in Sudan die gemeinsame Regierung von Militär und Zivilisten

Von Christian Meier, Tel Aviv

Seit den dramatischen Tagen des Frühjahrs 2019, als die Sudanesen Omar al-Baschir von der Macht vertrieben, war ungewiss, ob die gewagte Konstruktion halten würde, die danach entstand: Gemeinsam wollten Militärs und Zivilisten das Land in eine demokratische Zukunft führen. Zuvor hatte die Armee den seit 1989 regierenden Präsidenten und Oberbefehlshaber al-Baschir widerstrebend fallen gelassen, unter dem Druck monatelanger Massenproteste, die von einer Allianz oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Gruppen getragen wurden. Seit dem Putsch am Montag ist klar: Das Experiment ist gescheitert, die Geschichte des gebeutelten nordostafrikanischen Landes ist um einen Umsturz reicher. Es droht neues Blutvergießen, denn es ist unwahrscheinlich, dass die zivilen Kräfte die Machtübernahme akzeptieren werden.

Ministerpräsident verschleppt

Diese hatte am frühen Montagmorgen in der Hauptstadt Khartum begonnen. Soldaten umstellten die Residenz von Abdalla Hamdok. Der Ökonom stand an der Spitze der im Sommer 2019 eingesetzten Übergangsregierung. Nachdem der Ministerpräsident sich geweigert hatte, von sich aus die Übergabe der Macht zu verkünden, wurde er an einen unbekannten Ort gebracht. Auch die weiteren zivilen Mitglieder der Regierung wurden von Bewaffneten festgenommen. Währenddessen besetzten Soldaten den staatlichen Rundfunksender. In Khartum sperrte die Armee mehrere Hauptstraßen und Brücken über den Nil. Das Internet wurde laut Angaben des Informationsministeriums im ganzen Land abgeschaltet.

„Korrektur des Kurses der Revolution“

Die Rechtfertigung für die Maßnahmen gab etwas später Armeeführer Abd al-Fattah al-Burhan im Staatsfernsehen bekannt. Er verkündete den Ausnahmezustand und erklärte sowohl die Übergangsregierung für aufgelöst als auch den „Souveränitätsrat“ – ein als kollektives Staatsoberhaupt fungierendes Gremium, dem er selbst vorstand. Es handele sich allerdings nicht um einen Putsch, hob al-Burhan hervor, sondern um eine „Korrektur des Kurses der Revolution“. Der Armeechef griff auf eine Formulierung zurück, die schon früher Militärregimes etwa in Ägypten gewählt hatten, um ihre Machtübernahme zu verbrämen. Al-Burhan versprach, das Ziel seien weiter freie Wahlen. Es werde wieder eine zivil geführte Übergangsregierung geben, kündigte er an, und auch an der Spitze des „Souveränitätsrats“ werde künftig ein Zivilist stehen. Er selbst werde ein neues Komitee für Sicherheit und Verteidigung leiten.

Aufruf zu friedlichen Protesten

Die Unterstützer der „zivilen Kräfte“ in Sudans Übergangsregime zeigten sich von der Verlautbarung unbeeindruckt. Zivilgesellschaftliche Gruppen riefen zum Widerstand auf. Vom Büro des verschleppten Ministerpräsidenten Hamdok erging ein Aufruf, die Sudanesen sollten mit „allen friedlichen Mitteln“ demonstrieren, um „ihre Revolution von den Dieben zurückzuholen“. Schon am Morgen hatte es Berichte gegeben, wonach Demonstranten auf den Straßen Khartums waren und Barrikaden mit brennenden Reifen errichteten. Die Nachrichtenagentur AP berichtete später unter Berufung auf eine Ärztegewerkschaft, mindestens zwölf Demonstranten seien verwundet worden, als Soldaten vor dem Armeehauptquartier in die Menge geschossen hätten.

Aus dem Ausland kamen Aufrufe zu Deeskalation und Dialog, zudem gab es Forderungen an das Militär, Hamdok und die übrigen Festgenommenen freizulassen. „Gewalt und Blutvergießen müssen um jeden Preis vermieden werden“, sagte eine Sprecherin des Außenbeauftragten der Europäischen Union, Josep Borrell. Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach von „bestürzenden“ Meldungen aus Sudan. Die internationale Gemeinschaft hatte große Hoffnungen in den Übergangsprozess in dem Land gesetzt. Zugleich gibt es dunkle Erinnerungen an dessen blutigen Beginn: Nur wenige Wochen nach der Entmachtung al-Baschirs, inmitten schwieriger Diskussionen über die künftige politische Ordnung, kam es am 3. Juni 2019 in Khartum zu einem Massaker an Demonstranten. Wohl weit mehr als 100 Menschen wurden getötet und zahlreiche weitere verwundet, als Spezialtruppen der Rapid Support Forces sowie weitere Militärkräfte am frühen Morgen in eine sitzende Menschenmenge feuerten. Es gab Festnahmen und Vergewaltigungen, die Leichen von Getöteten wurden in den Nil geworfen. Der gesamte Übergangsprozess stand auf der Kippe. Erst einen Monat später einigten sich der seinerzeit regierende Militärrat sowie die Zivilallianz „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ auf einen Fahrplan und eine Übergangsregierung.

„Die Armee fühlt sich in die Ecke gedrängt“

Ein Teil der Vereinbarung war eine unabhängige Untersuchung des Massakers. Dass die zivilen Kräfte auf dieser Aufarbeitung beharrten, dürfte einer von mehreren Gründen für die zunehmenden Spannungen zwischen dem militärischen und dem zivilen Teil der Übergangsinstitutionen gewesen sein, die schon vor fünf Wochen zu einem gescheiterten Putschversuch führten. Offenbar gab es im Militär die Befürchtung, Abd al-Fattah al-Burhan könnte für das Massaker von 2019 zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Armeeführung befürchtete aber generell, im Übergangsprozess zu viel Macht zu verlieren. Theodore Murphy von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) glaubt, das Militär habe aus diesem Grund ein „Spiel“ inszeniert, freilich ein eher plumpes. Die Demonstrationen der vergangenen Woche, als Menschenmengen in Khartum eine Machtübernahme durch das Militär forderten, seien Teil davon gewesen. Die Reaktion darauf – die Massendemonstrationen gegen das Militär im ganzen Land am vergangenen Donnerstag – hätte die Generäle noch nervöser gemacht: „Die Armee fühlte sich in die Ecke gedrängt“, glaubt Sudan-Fachmann Murphy. Er habe „keine Zweifel“, dass sie aber auch von ausländischen Akteuren zu dem Schritt vom Montag ermutigt worden sei. Namentlich Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate – die beiden Länder hatten die Militärführung von Beginn an unterstützt.