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Beitrag vom 06.08.2021

FAZ

LAGOS ÜBERFLUTET: In den Fluten versinken

VON CLAUDIA BRÖLL, KAPSTADT

Wer in Lagos lebt, ist an die regelmäßigen Überschwemmungen gewöhnt. Ein Anstieg des Meeresspiegels würde die größte Stadt Afrikas hart treffen.

In Lagos ist es schon unter normalen Umständen ein schwieriges Unterfangen, von einem Teil der Stadt in den nächsten zu gelangen. Geschätzt zwischen neun und 20 Millionen Menschen leben in der Wirtschaftsmetropole Nigerias, der größten Stadt auf dem Kontinent vor Kinshasa in Kongo und Kairo in Ägypten. Der Verkehr ist chaotisch, die Straßen sind ständig verstopft. Doch während der Regenzeit wird der tägliche Weg zur Arbeit und nach Hause zu einer echten Herausforderung.

Im Juli war es besonders heftig. Solche Wassermassen habe er selten zuvor gesehen, sagt Sebastian Barroso, ein nach Lagos entsandter Bankmitarbeiter aus München, der F.A.Z. „Wenn es hier regnet, dann wirklich wie aus Kübeln.“ In weniger als einer Stunde sei das Wasser in einigen Straßen auf Hüfthöhe gestiegen. Von Autos waren nur noch die Dächer zu sehen, einige trieben in den Fluten.

An Überflutungen gewöhnt

Wer in Lagos lebt, ist an Überflutungen gewöhnt. Kinder, die im Regen von der Schule nach Hause laufen müssen, nehmen routiniert die Schuhe in die Hand, halten sich eine Plastiktüte über den Kopf und rennen los. Pitschnass werden sie trotzdem. Doch die Ereignisse vor wenigen Wochen haben selbst fluterprobte Anwohner sprachlos gemacht. Unzählige Videos von den Wassermassen machten in den sozialen Medien die Runde. Personen kamen nach offiziellen Angaben nicht ums Leben, doch es entstand großer Schaden an Fahrzeugen und Gebäuden.

Die Überflutungen sind nicht Naturkatastrophen, sondern dem Mensch geschuldet. Vor allem das Abwassersystem ist für die rasant wachsende Stadt völlig unzureichend. Große Mengen Müll, die in Kanälen landen, verstopfen regelmäßig die Abflüsse. Die Folgen sind beträchtlich: Nach Angaben der nationalen Behörde für Notfallmanagement waren im vergangenen Jahr mehr als zwei Millionen Menschen in Lagos davon betroffen, 69 Personen kamen ums Leben, 2019 waren es sogar mehr als doppelt so viele. Die Behörde fordert daher Schutzdämme. Die Bürger sollten zudem frühzeitig über Fluten gewarnt werden. Alle Beteiligten seien aufgerufen, sich verstärkt um eine Säuberung der Kanäle und eine „ordnungsgemäße Wasserentsorgung“ zu kümmern.

Die Zeit drängt, durch den Klimawandel könnten sich die wolkenbruchartigen Regengüsse verstärken. Wie die Fachleute des Amts für hydrologische Dienste in Nigeria prophezeien, führen die Klimaveränderungen zu einem späteren Beginn und früheren Ende der Regenzeit. „Daher werden sich die Niederschläge, die sich eigentlich auf etwa sechs Monate verteilen, nun auf eine geringere Anzahl von Monaten konzentrieren“, sagt der Behördenchef und Ingenieur für Wasserwirtschaft Clement Nze. Wenn das passiere, werde das zu schweren Überschwemmungen führen.

Die Hauptleidtragenden sind die Bewohner der eng besiedelten Armenviertel, die sich nah an Kanälen, Flüssen und an der Lagune befinden. Auch bei der jüngsten Flut wurden zahlreiche Hütten und Häuser beschädigt. Aufbauhilfen vom Staat oder Versicherungen gibt es nicht. Die Reichen in Lagos wiederum trotzen den Wassermassen mit dem Geländewagen und residieren komfortabel in Wolkenkratzern – hoch über den überschwemmten Straßen und den verstopften Abwasserkanälen.

Anstieg des Meeresspiegels bedroht die Stadt im Sumpfgebiet an der Küste

In Zukunft könnten Hochwasser aber nicht nur durch Regenfälle ausgelöst werden. Auch ein Anstieg des Meeresspiegels würde die Bewohner von Lagos in ernste Bedrängnis bringen. Viele leben buchstäblich an und auf dem Wasser. Die Stadt befindet sich auf einem Sumpfgebiet an der Atlantikküste, sie besteht aus vier großen Inseln. Auch das Festland wird von zahlreichen Wasseradern durchzogen. In Makoko, einem riesigen Slum, leben Hunderttausende Einwohner in Holzhütten, die im brackigen und stark verschmutzten Wasser der Lagune auf Stelzen stehen.

Lagos sei nicht nur eine der am schnellsten wachsenden Städte der Welt. Sie sei auch eine derjenigen, die am schnellsten im Wasser versinken könnte, warnt Ingenieur Nze. Manchen Prognosen zufolge könnte es schon 2050 kritisch werden. Teile der Stadt liegen nur knapp über dem Meeresspiegel. Solche Aussichten bremsen jedoch weder den Zuzug noch den Bauboom. Ganze Landstriche werden mit gigantischen Sandmengen aus dem Ozean aufgeschüttet, die großen Inseln sind dadurch kaum noch zu erkennen. Außerdem entstanden kleinere künstliche Inseln mit wohlklingenden Namen wie „Banana Island“. Einige Projektentwickler sagen, sie wollten Flächen, die durch Erosion über mehr als 100 Jahre hinweg verloren gegangen sind, zurückgewinnen. Vor allem aber geht es darum, mehr Platz für die immer größer werdende Bevölkerung zu schaffen, besonders neue Wohn- und Geschäftsviertel für eine zahlungskräftige Klientel.

So wird derzeit auf der Victoria-Insel, einer der besten Adressen in Lagos, auf neu aufgeschüttetem Land ein kompletter Stadtteil, „Eko Atlantic City“ genannt, gebaut. Von einem neuen Finanzzentrum in Westafrika ist die Rede, manche nennen es ein „Dubai für Afrika“. Mehrere Hochhäuser und eine moderne Infrastruktur sind geplant. Zum Schutz gegen Stürme, Wellen und einen steigenden Meeresspiegel wird mit Hilfe von niederländischen Ingenieuren ein 8,5 Kilometer langer Schutzwall aus Stahlbetonblöcken errichtet. Rund 100.000 dieser jeweils fünf Tonnen schweren Blöcke werden in einem vorgegebenen Raster plaziert, wobei ein GPS-System die exakte Positionierung vorgibt. Die „Great Wall of Lagos“, wie sie nach dem Vorbild der Chinesischen Mauer heißt, soll selbst den schlimmsten Stürmen standhalten.

Umweltfachleute jedoch sehen solche Projekte mit Grauen. Das Pumpen riesiger Sandmengen aus dem Meer sei ein massiver Eingriff in das natürliche Ökosystem, warnen sie. Schon jetzt wurden bei Untersuchungen tiefe Krater im Meeresboden festgestellt. Durch das Baggern und Pumpen könnten sich Meeresströmungen verändern. Das Aufschütten von Sand an einigen Stellen führe wiederum zu verstärkter Erosion anderswo. Kritiker geben außerdem zu bedenken, dass ein hoher Schutzwall die Flutwellen nur umlenkt. Das Nachsehen haben die Bewohner, die sich nicht hinter der Mauer verschanzen können.