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Beitrag vom 08.12.2020

SZ

Äthiopien

Der Lauf der Dinge

VON BERND DÖRRIES

„Krieg ist die Hölle“, sagte Abiy Ahmed, als er 2019 den Friedensnobelpreis bekam. Jetzt führt der äthiopische Präsident selber Krieg. Von einem Land, das sich fand, um sich gleich wieder zu verlieren

Was bedeutet es, wenn die Regierung Teilen des eigenen Volkes den Krieg erklärt? Äthiopische Streitkräfte im November nahe der Stadt Humera.

Sie haben ihr den Stuhl vor die Tür gestellt, in ein dunkles Treppenhaus, ganz unten ins Erdgeschoss, wo die schmierigen Stufen in die Tiefgarage übergehen.

Da sitzt Habosa Gebrezgiher jetzt, mit einem Telefon auf dem Schoß, alle paar Minuten ruft jemand an, sie nimmt den Hörer ab und sagt: „Momentan ist die Firma geschlossen, bitte rufen sie später wieder an.“ So geht das seit Wochen, es läutet, sie hebt ab, sagt ihren Satz und wartet auf das nächste Klingeln. Dazwischen verschränkt Habosa Gebrezgiher die Arme, manchmal schaut sie der Festnetzleitung nach, die zurück in die Vergangenheit führt, in ihr altes Büro die Treppe hinauf, in ihr altes Leben.

Dort saß sie viele Jahre lang an der Rezeption eines großen Busunternehmens, die Kunden kamen, sie stellte die Tickets aus, abends fuhr sie selber mit dem Bus in die Peripherie der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba hinaus, in eines der großen Wohnsilos, die die Regierung gebaut hatte. Aber jetzt ist die Regierung eine andere – und ihr Leben ist auch ein anderes. Früher arbeitete Habosa Gebrezgiher als Rezeptionistin, heute ist sie eine Art Terroristin. So sieht es die Regierung. Sie ist dieselbe geblieben. Die Umstände nicht.

„Ein paar Tage nachdem der Krieg begann, kamen Sicherheitsleute in unsere Firma, die Konten wurden geschlossen, alle 200 Mitarbeiter entlassen, wir mussten die Büros verlassen, wurden gekündigt, ich komme trotzdem jeden Tag, was soll ich sonst machen“, sagt Habosa, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Nach dem Willen der Regierung soll kein Journalist mit einer wie ihr sprechen.

Man trifft sie also heimlich. Das Gespräch ist eine Qual, manchmal weint sie fast, dann lässt sie sich nochmal den Presseausweis zeigen, um sicherzugehen, dass der Reporter kein Spion der Regierung ist, von denen es überall wimmelt. Die Regierung will nicht, dass Menschen wie sie reden, eine vom Volk der Tigray, die sagt, was es bedeutet, wenn eine Regierung dem eigenen Volk den Krieg erklärt.

Der Krieg war erst ein paar Tage alt, da erklärte er ihn schon für gewonnen. Aber ist er das?
Vor einem Monat begann die äthiopische Regierung damit, die Region Tigray im Norden des Landes einzunehmen, mit Kampfflugzeugen, Bombern und Geschützen, mit Raketen und Granaten. Es ist ein Konflikt, der im Ausland vor allem deshalb Aufmerksamkeit bekommt, weil Abiy Ahmed, oberster Befehlshaber der äthiopischen Armee, im vergangenen Jahr noch den Friedensnobelpreis bekommen hat. Wie kann das sein? Hat man sich im Ministerpräsidenten getäuscht, hat man ihm zu Unrecht den Preis gegeben?

Ministerpräsident Abiy Ahmed sagte: Es ist nur eine sehr begrenzte Militäraktion gegen eine kleine Clique der Führer der Tigray, die uns durch ihren Terror keine andere Wahl gelassen hat, als Recht und Ordnung wiederherzustellen.

Für ihn reicht das erst mal. Soll die Welt rätseln, wie aus einem mutigen Reformer, der innerhalbweniger Monate das autoritäre Äthiopien auf den Kopf stellte, der Oppositionelle freiließ, wieder eine freie Presse erlaubte und den Frieden mit dem Erzfeind Eritrea einfädelte, wie also aus dem mutigen Reformer jemand wurde, der alleswieder zurückzudrehen scheint. „Krieg ist die Hölle“, sagte er bei der Verleihung des Friedensnobelpreises. Und jetzt?

Ein paar Tage später, mit Einnahme der Provinzhauptstadt Mek’ele, erklärte er die Schlacht für gewonnen. Doch der Krieg tobt an mehreren Fronten weiter, Tausende sollen ums Leben gekommen sein, Zehntausende flüchteten ins Nachbarland Sudan. Was laut Abiy eine präzise Aktion sein sollte, droht ein Flächenbrand zuwerden für die ganze Region. Es geht letztlich um die Zukunft Äthiopiens, darum, ob das Riesenreich mit mehr als 80 Ethnien und 115 Millionen Einwohnern eine Zukunft hat, oder ob es zerfallen wird in einem Blutrausch, wie das ehemalige Jugoslawien.

Die Tigray, die Oromo, der Sudan und Eritrea: Alle wollen jetzt alte Rechnungen begleichen
Das passiert in einem Umfeld, in dem offenbar alle darauf warten, alte Rechnungen zu begleichen. Eritreas Truppen sollen auf äthiopischem Territorium aktiv sein, der Sudan soll sich umstrittene Gebiete an der Grenze zurückholen. Die Zukunft ist so unklar wie die Gegenwart. „Ich habe seit vielen Wochen nichtmehr mit meiner Familie gesprochen“, sagt Habosa.

Die Telefonleitungen nach Tigray sind genauso gekappt wie das Internet und die Busverbindungen. Manchmal sieht sie Bilder aus dem Norden, Rauchsäulen, Flüchtlinge. Mehr kommt nicht durch. „Ich traue mich gar nicht mehr Tigray zu sprechen, die Leute schauen sich sofort nach mir um, sehen mich mit grimmigen Augen an.“ Manchmal habe sie Angst, dass es gewalttätig werde. Überall im ganzen Land erzählen nun Tigray ihre Geschichten. Wie Geheimdienstler in die Firmen kamen und sich die Listen der Mitarbeiter geben ließen und sie nach Namen aus Tigray durchscannten. Sie suchen nach ihnen in den kleinen Firmen, in Hotels und Fabriken, sogar bei internationalen Organisationen.

Sie suchen nach Menschen, die nichts getan haben, außer Tigray zusein. „Siewollen sich an uns rächen, weil wir es angeblich so viele Jahre besser gehabt haben“, sagt Habosa. Die Regierung sagt, es gehe darum, Eigentum zu beschlagnahmen, das sich eine korrupte Clique ergaunert habe in den vergangenen Jahrzehnten.

42 Jahre sei sie alt, sagt Habosa, vielleicht auch 43.Wie sie da sitzt, in ihrem Kittel, die Augen müde, würde man sie für sehr viel älter halten. Als sie geboren wurde, war aus dem stolzen Kaiserreich Äthiopien eine der übelsten kommunistischen Diktaturen geworden, die Hunderttausende Menschen das Leben kostete. Der Anführer Mengistu hatte sich seine Toilette über dem Sarg des Kaisers erbauen lassen.

In den Bergen von Tigray machten sich damals die Jungen auf den Weg in die Höhlen und Schluchten, siewarfen sich eine Kalaschnikow über die Schulter und schworen sich, dem Wahnsinn ein Ende zu machen.

„Es war die beste Zeit meines Lebens“, sagt Habosa. Zwölf oder dreizehn sei sie gewesen, als sie sich der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) angeschlossen habe. Sie mochte die Kameradschaft, das klare Ziel, ein paar Jahre später fuhren sie auf Panzern in Addis Abeba ein.Die Rebellen kamen plötzlich an die Regierung, in den Bergen hatten sie sich ihre eigene Ideologie zusammengebaut. Es lief letztlich auf das Versprechen hinaus: Ihr verzichtet auf Mitsprache, dafür holen wir euch aus der Armut.

Schaut an, eine afrikanische Regierung mit einem Plan, sagten sie im Westen. Und tatsächlich zählte Äthiopien mit Wachstumsraten von etwa zehn Prozent jährlich lange Zeit zu den Ländern mit der am schnellsten wachsenden Wirtschaft der Welt. Straßen wurden gebaut, Gewerbeparks gegründet, in denen Kleider für die Discounter in Europa genäht wurden. Staudämme wurden aufgestaut, Ethiopian Airlines wurde zu einer der großen Fluglinien.

An der Spitze fast aller Projekte und Unternehmen standen Leute aus Tigray. Das kleine Volk hatte sich überall eingenistet, wo es Macht und Geld zu verteilen gab. Nur sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung sind Tigray, aber sie dominierten das Land 27 Jahre lang. Es war die Zeit, in der Menschen noch zusammenzuckten, wenn sie jemanden Tigray sprechen hörten. Es war die Zeit, als Habosa schneller als andere eine Wohnung bekam in der staatlichen Siedlung. Aber letztlich blieb sie nur eine Rezeptionistin. „Ich hatte doch auch nicht mehr als andere, konnte kaum meine zwei Kinder durchbringen mit dem kleinen Gehalt“, sagt sie jetzt und starrt hinein in das trostlose Treppenhaus. Das große Geld machte eine Elite innerhalb der Elite, die Spitze der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die immer gefräßiger wurde, die Geld abzweigte von öffentlichen Aufträgen.

Auf dem Papier war Äthiopien eine föderale Republik, in der die größten Volksgruppen und ihre Regionen große Autonomie genossen. In der Realität aber dominierten die Tigray alles.

Wieder machten sich junge Leute auf den Weg in die Berge, um das Land von den Befreiern zu befreien. Am Anfang kämpften auch sie mit Kalaschnikows – dann kam das Internet. „Uns ging es um unsere Kultur als Oromo. Aber natürlich auch darum, einen größeren Teil vom Brotlaib abzubekommen“, sagt Tolosa Balcha. Auch er heißt eigentlich anders, auch ihn würde die Regierung wohl als Terroristen bezeichnen, auch ihn darf man eigentlich nicht treffen. Er hat kahl geschorene Haare, Grübchen, einen silbernen Ohrring. Er sitzt in einem kleinen Raum der Schule, an derer als Lehrer arbeitet. In einer Stadt mitten in der Region Oromia, in der das Ende der TPLF seinen Anfang nahm, in der vor Jahren die Massenproteste gegen das alte Regime begannen. Zu Hunderttausenden sind Leute wie er wieder auf die Straße gegangen, manchmal wurden sie niedergeknüppelt, manchmal erschossen.

Als Abiy Ahmed2018 ins Amt des Ministerpräsidenten kam, sah es so aus, als sei ihr Kampf erfolgreich gewesen, als habe es sich gelohnt. Der erste Oromo. Es war eine Revolution, die auf der ganzen Welt gefeiert wurde, die ihm und irgendwie ganz Äthiopien den Friedensnobelpreis brachte.

Heute sagt Tolosa Balcha: „Es hat sich nichts verändert. Die meisten haben keinen Job, das Regime ist dasselbe geblieben, die Unterdrückung, nur hat es jetzt einen anderen Namen. Wer widerspricht, gilt wie früher als Terrorist.“

Oromia war lange die Machtbasis des jungen Reformers Abiy Ahmed. Heute sitzen hier seine schärfsten Kritiker. Etwa ein Drittel aller Äthiopier sind Oromo, sie sind Teil einer Volksgruppe, die sich schon seit Jahrhunderten benachteiligt fühlt, die die Geschichten der Demütigungen von Generation zu Generation weiterreicht. „Unser Großvater hat schon erzählt, wie ihm der Kaiser das Land weggenommen hat“, sagt Tolosa Balcha.

Abiy Ahmed fing gleich mal an, die Hauptstadt aufzumotzen. Purer Firlefanz, sagen die Kritiker
Irgendwann stand das Regime vor der Entscheidung, wieder den brutalen Weg zu gehen, also die Proteste niederzuschießen. Oder sich zu verändern. Sie hoben den jungen Abiy Ahmed aufs Schild, den kaum einer kannte. Er war 42 Jahre alt und übertraf alle Erwartungen mit seinen radikalen Reformen. Manchmalging es selbst Tolosa Balcha zu schnell. Er und die anderen Führer der Oromo ermahnten Abiy, vorsichtig zu sein, auch Historikerwarnten, es sei immer dann amgefährlichsten, wenn ein Regime zerfällt, ein Riesenreich, das vor allem durch Gewaltzusammengehalten wurde, und: Wenn die neue Zeit auch Verlierer haben würde. Abiy kündigte ein goldenes Zeitalter an, versprach wirtschaftliche Öffnung und Demokratie, er entschuldigte sich für die Grausamkeiten und die Korruption des alten Regimes, dessen Teil er war. Und predigte Vergebung, Toleranz und Liebe.
Äthiopien hatte lange keinen friedlichen Machtwechsel erlebt, das Land sehnte sich danach. Auf Skeptiker wie Tolosa Balcha wollte niemand hören. Abiys Botschaftwar zu verführerisch, er lud alle ein, amneuen Projekt teilzuhaben, die dickköpfigen Rebellen, die seit Jahrzehnten im Exilwaren, sogar den blutrünstigen Diktator Mengistu. Viele folgten seiner Einladung, nicht immer mit den besten Absichten.

Und gleichzeitig fing es überall im Land an zu brodeln, regte sich Protest, wollte jener dies, andere das. Jeder etwas anderes. Nur in einem waren sich alle einig: Jetzt sind endlich wir dran.
„Ihm muss der Kopf explodiert sein“, sagt Tolosa Balcha über den Premier, der Liebe säen wollte, aber Zorn erntete.

Abiy Ahmedschien lange keinen Plan zu haben, wie er auf die vielen aufflammenden Konflikte reagieren sollte. Er widmete sich dann erst mal der städtebaulichen Umgestaltung der Hauptstadt, sagen seine Kritiker spöttisch. Viele hübsche Parkanlagen ließ er bauen, aufdem Gelände desehemaligen Kaiserpalastes, in dem die Kommunisten später ihre Folterkammern einrichteten, eröffnete er den „Unity-Park“, eine Art Disney-Version Äthiopiens, mit Löwengehege und einem Pavillon für jede der großen Volksgruppen, in denen ein paar Musikinstrumente herumstehen und ein paar Trachten. Für seine Kritiker ist das Firlefanz, bedeutungslose Folklore. Für Abiy Ahmedist es Teil der Frage, wie schaffe ich eine neue Nation, neue Symbole?

Und er hat ein Buch geschrieben:„Medemer“, was in etwa heißt „Wieder zusammenkommen“. Darin wirbt er dafür, keine Ideologien aus dem Westen mehr zu importieren, sondern ein neues Äthiopien zu schaffen, etwas eigenes, ein Land, in dem die Volksgruppen nicht mehr so wichtig sind, in dem jeder gleich viel zählt.

Es klingt nachdem Abiy Ahmed, den die Welt so gerne sah, nach einem jungen Mann, der wie geschaffen war für die gewaltige Aufgabe. Seine Mutter ist Amhara, der Vater Oromo, er trägt die beiden größten Volksgruppen also in sich. Und in England promovierte er mit einer Arbeit über Friedensschaffung. Man hätte ihn nicht besser erfinden könnten.

Wie kann so jemand jetzt in den Krieg ziehen? Abiy Ahmed war und ist so vieles in einer Person, obwohl er erst 44 Jahre alt ist, er war Soldat und Friedensforscher, Geheimdienstler und junger Reformer, Erweckungsprediger mit Liebesbotschaft und jetzt Ministerpräsident. Aber er ist eben auch ein Mann, der sich gerade in die Macht zu verlieben scheint. Und ein Friedensnobelpreisträger, der einen Krieg beginnt.

Vielleicht weiß er selbst nicht mehr, wie das alles zusammenpassen soll.

Seine Anhänger sagen, Abiy Ahmed musste sich ändern, weil es nicht anders ging, weil er vielleicht zu naiv war, die Zügel zu lange schleifen ließ, weil jetzt endlich durchgegriffen werden muss gegen die Tigray im Norden, die Wahlen abhalten ließen, obwohl es verboten war, die den Machtverlust nie verwunden haben, die Stützpunkte der Armee überfielen. Weil es Anschläge auf Abiy selbst gab. Wie anders soll man darauf reagieren, als mit der Armee, mit Recht und Ordnung?
„Er hat sich nie geändert, er ist Teil des alten Regimes, nur heißt es heute anders, der Terror ist der Gleiche geblieben. Er hätte mit den Tigray verhandeln müssen, eine Lösung finden. Aber Kompromisse hat er nie gelernt“, sagt Tolosa Balcha. Die Führung der Tigray allerdings auch nicht.

Abiy warf die Minister der Tigray aus der Regierung, deren TPLF sabotiert ihn seitdem, wo sie nur kann. In Oromia haben sie sein Buch verbrannt und sind dafür von der Polizei verprügelt worden. Sie sehen dort die Einheit Äthiopiens nicht als große Chance, sondern als Gefahr für ihre Unabhängigkeit, ihre Identität. Was, wenn wir wieder von außen dominiert werden?

Wenn wieder andere über uns bestimmen? Als vorwenigen Monaten der berühmteste Sänger der Oromo ermordet wurde, Hachalu Hundessa, der den Soundtrack zur Revolution geliefert hatte, standen Balcha und seine Freunde am Sarg, als die lokale regierungstreue Miliz das Feuer auf sie eröffnete. Viele seiner Freunde starben.

Der Kampf zwischen den vielen Volksgruppen ist das eine. Das andere ist die Armut
Die jungen Oromo wüteten, zerstörten Gebäude und Hotels. „Der Hass und das Misstrauen sind zurück“, sagt Tolosa Balcha. Er kann lange davon erzählen, welche Volksgruppe der anderen warum misstraut, wie die lokale Regierung in Oromia selbst die eigenen Leute gegeneinander ausspiele. Niemand könne mehr niemandem trauen, nicht mal Freunden. „Wir Äthiopier verstehen uns, es sind unsere Politiker, die uns gegeneinander ausspielen.“ Aber letztlich sei etwas anderes entscheidend, sagt er. Nicht nur die Geschichte, nicht allein, wer zu welcher Volksgruppe gehöre.
Er ist als eines von sechs Kindern auf dem Landaufgewachsen, der Vater hatte einen kleinen Acker, der nun unter den Kindern aufgeteilt wird, sie bewirtschaften das wenige Land wie vor hundert Jahren.

So richtig leben kann davon keiner. Das ist die Lebensrealität der allermeisten Menschen hier. Jeder Fortschritt, den Äthiopien gemacht hat, wird vom enormen Bevölkerungswachstum aufgefressen. „Wir sind ein armes Land, und so lange das so ist, streitenwir unsumdaswenige, das da ist“, sagt Tolosa Balcha.

Für ihn ist das der Grund für fast alles: die Armut. Wieder mal hat die Umverteilung begonnen, Tausende Tigray verlieren gerade ihre Jobs. Neue Wunden werden geschlagen, die in den Erzählungen über Generationen weitergegeben werden. Tolosa Balcha sagt: „Wenn wir so weitermachen, wird der Hass nie aufhören.“

Einige Hundert Kilometer entfernt sitzt Habosa Gebrezgiher im Keller eines großen Gebäudes in Addis Abeba und sagt, sie werde auch morgen wieder kommen, das Telefon abnehmen und sagen, dass sie gerade keine Tickets verkaufen könne für den Bus nach Tigray. Aber wenn er wieder fahre, dann sei sie unter den ersten Passagieren. Dann wird sie zurückfahren, um wieder gegen dieses Regime zu kämpfen. So sagt es Habosa Gebrezgiher, die Äthiopierin ist, aber jetzt vor allem eine Tigray.