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Beitrag vom 20.10.2019

FAS

Afrikas größtes Hochhaus

Der neue Leonardo-Turm im südafrikanischen Johannesburg zeigt den Wandel der „Stadt des Goldes“. Aber auch das Verlangen seiner Bewohner nach Sicherheit. Von Claudia Bröll

Eine genaue Adresse braucht Buyiselo, Uber-Fahrer in Johannesburg, nicht. „Dieser neue Wolkenkratzer“ reicht ihm als Angabe. Der sei ohnehin von überall zu sehen, meint er, bei guter Sicht sogar aus dem 55 Kilometer entfernten Pretoria. Ob er ihm gefalle? Keine Ahnung. Aber hoch sei er auf jeden Fall. „Eish, ist das ein großes Gebäude!“

In Afrika gibt es einen neuen Spitzenreiter unter den Hochhäusern, zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren. „Leonardo“ heißt der 234 Meter hohe Turm, er steht im Vorort Sandton – dem Finanzzentrum Südafrikas – und ist elf Meter höher als der bisherige Rekordhalter, das aus den siebziger Jahren stammende Carlton Centre in der Innenstadt.

Im Wettrennen um die höchsten Hochhäuser der Welt liegen afrikanische Länder zwar nicht auf den vordersten Plätzen. Der Burj Khalifa in Dubai, das höchste Gebäude der Welt, ist dreieinhalbmal so hoch wie der südafrikanische Neuzugang, der Commerzbank-Turm in Frankfurt ist 25 Meter höher. Die Faszination für Wolkenkratzer besteht aber auch in Afrika. Er würde gerne wissen, wie lange die Liftfahrt bis ganz oben dauere, sagt Buyiselo bei der Ankunft. Ob man den Lift auf dem Weg wechseln müsse? Und ob der Ausblick von da oben wirklich so spektakulär sei?

Der Leonardo-Turm liegt in einer für einen Finanzdistrikt ruhigen und mit Bäumen gesäumten Straße. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bauen Straßenhändler ihre Stände mit traditionellen afrikanischen Holzfiguren auf. Ein paar Meter entfernt befinden sich die Johannesburger Börse und die Niederlassungen der Deutschen Bank und der HSBC-Bank. Noch ist „75 on Maude“, so lautet die korrekte Adresse, eine Großbaustelle. Mehrere tausend Arbeiter sind rund um die Uhr im Einsatz. Im November soll der Turm feierlich eröffnet werden.

Sandton, zehn Kilometer nördlich von Johannesburgs Innenstadt, wird auch als die „reichste Quadratmeile“ in Afrika bezeichnet. Viele, die in Südafrikas Wirtschaftsleben Rang und Namen haben, wohnen dort, insbesondere die neue schwarze Mittel- und Oberschicht des Landes. Es gibt schicke Bars, edle Restaurants und teure Geschäfte. Das Einkaufszentrum Sandton City, in dessen Mitte eine übermannsgroße Bronze-Statue von Nelson Mandela steht, ist so bekannt, dass Kinder im Kindergarten ein Lied über „Shopping in Sandton City“ trällern.

Noch vor 50 Jahren zogen weiße Johannesburger in die Gegend, um dem Stadttrubel zu entkommen. Spötter sprachen von einem „Mink and Manure“-Gürtel (Nerz und Mist), denn die Bewohner hatten Geld und Pferde. Erst in den siebziger und achtziger Jahren wandelte sich Sandton zum Finanzzentrum. Die Pferdekoppeln verschwanden. An ihrer Stelle tauchten Hochhäuser mit glänzenden Fassaden und teils verwegener Architektur auf.

Das bisher größte Hochhaus auf dem Kontinent hingegen befindet sich im alten Wirtschafts- und Finanzzentrum des Landes, in Johannesburgs Central Business District (CBD). Dort begann vor etwa 130 Jahren die Geschichte der „Stadt des Goldes“. Glücksritter und reiche „Rand Lords“ trafen sich dereinst in britischen Clubs und verteilten die Bodenschätze des Landes untereinander. Das Carlton Centre, fast eine Kopie des zur gleichen Zeit fertiggestellten One Seneca Tower in Buffalo im Staat New York, wurde Anfang der siebziger Jahre gebaut. Wie der Leonardo befand es sich in der Nähe des damaligen Sitzes der Börse. Es hat 50 Stockwerke, ist 223 Meter hoch und beherbergte eine Zeitlang ein Luxushotel, in dem Prominente wie Whitney Houston abstiegen.
Doch diese Zeiten liegen lange zurück. Große Teile der Johannesburger Innenstadt sind

mittlerweile heruntergekommen, frühere Büro- und Wohngebäude stehen leer oder sind illegal besetzt. Der Bürgermeister Herman Mashaba kämpft gegen Kriminalität, Gewalt und Unruhen. Auch das Carlton Centre trotzte dem Niedergang nicht. Es ist zwar immer noch als Touristenattraktion auf Stadtplänen vermerkt, doch Besucher zieht es vor allem auf die Aussichtsplattform auf dem Dach. Der Bau gehört heute dem Staatsbetrieb Transnet, der ihn vor einigen Jahren verkaufen wollte, aber keinen Käufer fand.

So ist es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen, bis das Carlton Centre von einem Turm in Sandton übertrumpft wurde. Kritische Stimmen gibt es an dem 3 Milliarden Rand (180 Millionen Euro) teuren Leonardo-Projekt trotzdem, denn Südafrikas Wirtschaft lahmt und eigentlich wäre erschwinglicher Wohnraum für die breite Bevölkerung nötig. Eine Passantin auf der Maude Street spricht von einem Prestigeprojekt. „Als ob es in Südafrika nichts Wichtigeres gibt, als ein weiteres Luxushochhaus zu bauen und einen neuen Hochhausrekord zu setzen.“ Tatsächlich besteht in Sandton ein Überangebot an Büroräumen, auch der zunehmende Verkehr ist ein Problem.

Gijs Foden sieht das anders. Er ist bei der Legacy Group, dem Leonardo-Projekt-Entwickler, für Verkäufe und Vermietungen zuständig und führt kurz vor der Eröffnung begeistert Investoren durch das Hochhaus. Das von seinem Onkel geführte Unternehmen hat sich schon mit anderen Sandton-Wahrzeichen einen Namen gemacht wie den Michelangelo Towers oder dem Da-Vinci-Hotel. Leonardo sei jetzt der nächste Streich, sagt Foden. Er solle ein „afrikanisches Kunstwerk“ sein und eine Immobilie, wie sie auch in New Yorks Fifth Avenue stehen könnte. Vorgesehen ist eine Mischnutzung: ein Sechs-Sterne-Hotel, Apartments, Penthouse-Wohnungen und 7500 Quadratmeter Büroflächen.

Innen lässt sich trotz des laufenden Baubetriebs erahnen, wie der Leonardo einmal aussehen wird. Der Boden im Eingangsbereich ist mit Marmorfliesen aus Namibia belegt, monumentale Kunstwerke afrikanischer Künstler bedecken halb verhüllt die Wände, und über dem 25 Meter langen Schwimmbecken im 7. Stock hängt der Rahmen für einen riesigen Bildschirm. Gäste der „Octo-Bar“ sollen später mit Sportübertragungen und Filmen unterhalten werden, während sich ihre Sprösslinge in einer Krippe vergnügen können.

Ein Immobilienprojekt dieser Größe ist freilich kein risikofreies Unterfangen. Vor sieben Jahren begannen die Planungen, fünf Jahre lang wurde gebaut. In dieser Zeit gingen in Südafrika mehrere Male Rezessionssorgen um, das Land wurde von Korruptionsskandalen gebeutelt, und die Währung schwankte stark. Man habe daher nicht von Anfang an das höchste Hochhaus in Afrika bauen wollen, sagt Foden. Zwar wurde das Fundament für 57 Stockwerke gelegt, doch zunächst habe man mit 33 Stockwerken begonnen. Als sich die Nachfrage als robust erwies, wurde sukzessive aufgestockt, bis die Entscheidung fiel, den Afrika-Rekord zu brechen. Nun befinden sich in den obersten Etagen acht Penthouse-Wohnungen und darüber die Leonardo-Suite mit mehr als 3300 Quadratmetern, von denen 1300 Quadratmeter für Dachgarten, Terrasse und ein eigenes Schwimmbad vorgesehen sind.

Die Rechnung ging offenkundig auf: 90 Prozent der Wohnungen und Büroflächen sind verkauft, der Quadratmeterpreis liegt bei – für südafrikanische Verhältnisse beträchtlichen – 75000 bis 90000 Rand (4600 bis 5500 Euro). Südafrika sei weiterhin das Sprungbrett in den restlichen Kontinent, sagt Foden. Viele Geschäftsleute suchten sich eine Wohnung in Sandton, von wo sie mit dem Schnellzug Gautrain in kürzester Zeit zum Johannesburger Flughafen oder in die Hauptstadt Pretoria gelangen können. Etliche Käufer stammten aus dem Ausland, überwiegend aber seien es Südafrikaner.

Der neue Turm ist ein Symbol dafür, dass sich in Südafrika die Wohngepflogenheiten wandeln. Noch vor gut zehn Jahren zogen Besserverdiener und ausländische Entsandte in Villen mit weiten Rasenflächen, Schwimmbädern und Tennisplätzen. Vor allem die jüngere Generation aber scheut heute die Mühen, die solche Anwesen mit sich bringen. Nicht nur in Sandton, sondern auch in Kapstadt gelten Apartments oder Mikro-Apartments als der große Renner, Makler werben mit der Aussicht auf einen „Lock-up and go“-Lebensstil.

Zusätzlich spielt der Sicherheitsaspekt eine Rolle. Mit der zunehmenden Kriminalität wurden die Mauern und die Elektrozäune um die alten Villen herum höher und höher. Frühere Bewohner zogen in bewachte Siedlungen auf dem Land oder in sogenannte Cluster von Stadthäusern mit Schranke und Wachmann an der Einfahrt. In einem Hochhaus wiederum sei man noch mehr geschützt, ist Foden überzeugt. Mit jeder Etage steige die Sicherheit, und natürlich der Preis.

Die künftigen Besitzer der Leonardo-Suite dürften sich somit am sichersten fühlen. Zum Abschluss der Tour lässt der Verkaufsmanager den Lift in die oberste Etage schnurren. Die Suite ist für 250 Millionen Rand (15 Millionen Euro) auf dem Markt, eine schwindelerregende Summe für ein Land, in dem der Großteil der Bevölkerung in ärmsten Verhältnissen lebt und nur jeder Zehnte ein zu versteuerndes Einkommen erzielt. Dafür haben die Bewohner aber auch freie Sicht auf das quirlige Leben in Sandton, die alten Goldminenhalden in der Ferne und – am Horizont – auf die im Dunst liegende Skyline Johannesburgs mit dem berühmten Fernsehturm und natürlich dem Carlton Centre. Die Fahrt von ganz unten in den 55. Stock dauert übrigens 56 Sekunden. Es ist nicht nötig, den Lift zu wechseln, und die Aussicht ist tatsächlich grandios.