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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 06.06.2019

NZZ

Der Albtraum des afrikanischen Autokraten

Bobi Wine, ein Musiker aus einem ugandischen Elendsviertel, wird Politiker und fordert Langzeitpräsident Museveni heraus. Die Jugend unterstützt ihn, die Regierung reagiert mit Repression. Ein Treffen in Kampala.

Fabian Urech, Kampala

In Kamwokya ist Bobi Wine bereits da, wo er hinwill. «Er ist unser Präsident», sagt ein junger Motorradmechaniker lachend, «Bobi Wine ist unser Ghetto-Präsident.» Wer immer sich in den engen, belebten Gassen des Quartiers im Norden Kampalas über ihn äussert: Hier ist Robert Kyagulanyi – Künstlername Bobi Wine – der Mann, der für die grossen Hoffnungen steht. «Wir erwarten so viel von ihm», sagt eine Gemüseverkäuferin, «er muss für uns Junge kämpfen, wir haben keine Jobs, wir leiden.»

Als Musiker geniesst Bobi Wine in Uganda schon lange grosse Popularität. Seine Songs, eine Mischung aus Reggae, Afrobeat und Dancehall, werden in den Bars des ostafrikanischen Landes rauf und runter gespielt. Zum politischen Hoffnungsträger wurde der 37-Jährige im Frühjahr 2017: Als Unabhängiger kandidierte er für einen Sitz im nationalen Parlament und liess den Vertreter der Regierungspartei mit grossem Abstand hinter sich. Seither verkörpert Wine etwas, was in Ugandas Politik gefehlt hatte: eine Stimme, die die Anliegen der Jugend vertritt und Missstände anprangert.

In einem Land, in dem das Durchschnittsalter bei 16 Jahren liegt und drei Viertel der Bevölkerung jünger als dreissig sind, kommt das gut an. Für Yoweri Museveni, den 74-jährigen Präsidenten, ist Wine hingegen ein Albtraum. Der Musiker und Jungpolitiker verkörpert Aufbruch und Wandel – Dinge, für die der Autokrat, seit 33 Jahren im Amt, schon lange nicht mehr steht. Für ihn und sein träges, korruptes System ist der junge Hoffnungsträger zu einer reellen Gefahr geworden.

Gefoltert, eingeschüchtert – und gestärkt

«Bereit, mit jemandem zu sprechen, den es nicht geben sollte?», fragt Wine mit breitem Lachen. Der Jungpolitiker empfängt in einem schlichten Innenhof am Rande Kamwokyas. Sein Musikstudio befindet sich gleich um die Ecke, neben dem Eingang ist sein spartanisch eingerichtetes Sitzungszimmer. Wine trägt das rote Perret mit der Aufschrift «People Power», sein Markenzeichen. Er spricht langsam und mit breitem ugandischem Akzent. «Museveni weiss, dass ich ihn in Bedrängnis bringe», sagt Wine. «Deshalb versucht er, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen.»

Was das heisst, zeigte sich erstmals im vergangenen August. Im Norden Ugandas führten Wine und Museveni am selben Tag Wahlkampfveranstaltungen durch. Als der Autokonvoi des Präsidenten – angeblich von Wine-Anhängern – mit Steinen beworfen wurde, schlug das Regime zurück. Der Musiker und 32 andere Oppositionspolitiker wurden verhaftet. Wines Fahrer wurde von Sicherheitskräften erschossen. Die Polizei sprach von einem Querschläger, Wine selbst ist überzeugt: «Sie wollten nicht ihn, sondern mich umbringen.» Kurz nach seiner Verhaftung sei er brutal gefoltert worden, sagt Wine. «Kein Körperteil blieb verschont.»

Wine wurde wegen illegalen Waffenbesitzes, später wegen Hochverrats angeklagt. Nach zwei Wochen kam er gegen Kaution frei und flog zur medizinischen Behandlung in die USA. Inzwischen hatte der Fall auch international für Aufsehen gesorgt. Menschenrechtsorganisationen griffen Museveni scharf an, westliche Regierungen forderten Aufklärung.

Bei seiner Rückkehr nach Kampala Mitte September wurde Wine von Tausenden empfangen. Zeitungen auf der ganzen Welt druckten das Bild von dem jungen Mann mit Krücke, der im Garten seines Anwesens seinen Anhängern zuwinkt. Musevenis Repression war zum Eigentor geworden: Er hatte Wine nicht geschwächt, sondern aus ihm ein Symbol gemacht für eine junge afrikanische Generation, die sich gegen die alte Elite wehrt.

Körperlich habe er sich weitgehend erholt, sagt Wine in Kamwokya. Doch die psychischen Wunden blieben. «Ich musste mich meinen grössten Ängsten stellen. Das hinterlässt Spuren.» Der Zwischenfall habe aber auch sein Gutes: Endlich sei bekannt, wer Museveni wirklich sei. «Der Präsident hat die Welt viel zu lange zum Narren gehalten», sagt Wine. Jahrelang habe er sich als Partner und Stabilitätsgarant präsentiert.

«Die Wahrheit aber ist: Uganda ist eine Militärdiktatur, in der jene, die anders denken, zusammengeschlagen oder getötet werden.» In ähnlicher Schärfe kritisiert Wine den Präsidenten auch in seinen jüngeren Musikstücken. «Die Unterdrückung ist schlimmer als in der Apartheid, unsere Freiheitskämpfer werden zu Diktatoren», heisst es in seinem Song «Freedom», der in Uganda so etwas wie eine Hymne des Widerstands wurde.

«Ich habe gemerkt, dass es nicht ausreicht, nur Musik zu machen»

Dabei hatte Wine noch vor wenigen Jahren als Musiker gegolten, der sich kaum für Politik interessierte. Er trug Rastalocken und sang von schönen Frauen und Drogen. «Ich war ein junger Mann aus dem Ghetto, ich habe Marihuana geraucht, auf der Strasse geschlafen, mich in der Disco geprügelt», erzählt er.

Der Wandel kam im Jahr 2016. Kizza Besigye, der langjährige Oppositionsführer, verlor zum vierten Mal die Präsidentschaftswahl. Wieder war es zu Unregelmässigkeiten an den Urnen gekommen, wieder hatte der Musiker das Gefühl schreiender Ungerechtigkeit. Das habe ihn wütend und ohnmächtig gemacht, sagt Wine. Also habe er begonnen, über Missstände zu singen.

«Ich habe aber rasch gemerkt, dass es nicht ausreicht, Musik zu machen.» Letztlich entscheide die Politik, ob sich Dinge verbesserten. Und die Politik, so dachte Wine, habe die Anliegen der jungen Menschen aus Orten wie Kamwokya allzu lange vernachlässigt. «Weil das Parlament nicht ins Ghetto gekommen ist, bringen wir das Ghetto ins Parlament», lautete sein erster Wahlslogan.

Obwohl Wine inzwischen ein wohlhabender Mann ist und mit seiner Familie in einem besser situierten Quartier der Stadt wohnt, nehmen ihm viele Anhänger diese Verbundenheit mit der armen Bevölkerung ab. Das liegt vor allem an seiner Herkunft. Als eines von zehn Kindern wuchs Wine in Kamwokya in ärmlichen Verhältnissen auf. Er besuchte die lokale Schule, schaffte später den Sprung an die Universität, wo er Musik und Schauspiel studierte, bevor er 1999 seine Musikkarriere lancierte.

Ein Musiker als Präsident: Kann er das?

Die nächsten Präsidentschaftswahlen in Uganda finden 2021 statt. Museveni wird erneut antreten. Sollte er wiedergewählt werden, würde sich seine dann 35-jährige Herrschaft um weitere fünf Jahre verlängern. Für Wine ist klar, dass dies verhindert werden muss. Kürzlich gab er seine Kandidatur bekannt. Seither scheint das Regime noch etwas nervöser als zuvor: Unlängst wurde Wine wegen des Aufrufs zu Demonstrationen neuerlich verhaftet und verbrachte drei Tage im Gefängnis.

So populär Wine unter jungen Ugandern ist, es gibt auch Stimmen, die Zweifel hegen an der Eignung des Musikers und Neo-Politikers für das höchste Amt. Er sei unerfahren und vor allem durch vage Versprechen aufgefallen, heisst es. Tatsächlich bedient Wine bei der Frage nach konkreten Lösungen für die Probleme des Landes vorwiegend Gemeinplätze: Institutionen und Machtkontrollen sollen gestärkt, Startups unterstützt, bürokratische Hürden abgebaut werden. Wine gibt unumwunden zu, kein fixfertiges Programm vorweisen zu können. Doch er arbeite daran, die klugen Köpfe des Landes hinter sich zu versammeln.

Für viele Ugander ist sein Programm bis auf weiteres sowieso sekundär. Jene, die Wine unterstützen, tun dies heute vor allem, weil er einen Kontrast darstellt zum alten Mann, der dieses junge Land regiert, seit sie geboren wurden.

Trotz der Unterstützung, die Wine hinter sich weiss, steht er am Anfang eines beschwerlichen Wegs. Die Regierung hat praktisch alle Auftritte des Musikers untersagt, zudem ist Wine noch immer wegen Hochverrats angeklagt. Darauf steht in Uganda die Todesstrafe. Ob er sich womöglich doch noch einschüchtern lasse? Nein, da müsse man sich keine Sorgen machen, sagt Wine. Kurz nach dem Gespräch veröffentlicht er einen neuen Song. Darin heisst es: «Wenn der Kampf vorbei ist, werden wir die Krone des Siegers tragen.»