Beitrag vom 28.08.2018
Finanz und Wirtschaft
Afrika müsste einen Elan entwickeln wie China
Afrikas Volkswirtschaften werden in den nächsten Jahren nur leicht wachsen. Um die Menschen aus der Armut zu führen, ist jedoch chinesisches Tempo nötig.
Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler.
Knapp fünf Jahre ist es her, da galten einige afrikanische Volkswirtschaften wie etwa Angola noch als kleine Wirtschaftswunder mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten. Geschuldet war der Aufschwung damals, wie so oft zuvor, dem scheinbar unersättlichen Rohstoffhunger Chinas.
Auf mehr als 200 Mrd. $ jährlich belief sich das Handelsvolumen damals. Doch mit der rückläufigen Nachfrage mehrten sich die Hiobsbotschaften: Angola, der grösste Ölförderer südlich der Sahara, stürzte von Wachstumsraten von über 20% auf gegen null. Überhaupt wuchs Afrika 2016 im Schnitt nur noch um kümmerliche 1,4% – der niedrigste Zuwachs in zwanzig Jahren.
Inzwischen geht es zwar wieder leicht bergauf, doch von einer wirklich durchgreifenden Erholung ist der Kontinent noch immer weit entfernt, wie auch das Angola-Forum des deutschen Afrikavereins in dieser Woche in Berlin gezeigt hat. Selbst sonst stets optimistische Banker sprachen dort mit Blick auf die vielen stornierten Infrastrukturprojekte vorsichtig vom «ersten Licht am Ende eines langen Tunnels».
Als Reaktion auf die tiefe Krise hat Angola seine lange Zeit (erfolglos) verteidigte Währung in diesem Jahr nun doch um rund 30% gegenüber dem Dollar abgewertet, auch wenn diese Anpassung es dem Land nun sehr viel schwerer macht, seine in Dollar aufgenommenen Schulden zu bedienen.
Südafrika unter Druck
Ähnlich angespannt ist die Lage in Südafrika, dem einzigen Industriestaat südlich der Sahara. Kein anderes Schwellenland wurde seit dem Ausbruch der Türkeikrise mehr vom Abzug ausländischer Gelder getroffen. Fast 600 Mio. $ sind demnach in den letzten beiden Wochen aus Südafrika abgezogen worden, während Brasilien, Thailand und Katar sogar Kapital erhielten.
Besonders markant ist der Einfluss von Marktturbulenzen offenbar in Ländern, die, wie Südafrika oder die Türkei, stark auf die Finanzierung aus dem Ausland angewiesen sind. Aber auch der Preiseinbruch bei den Industriemetallen lastet auf den rohstoffreichen Schwellenländern. So ist der Kupferpreis zuletzt deutlich unter die Marke von 6000 $ pro Tonne gerutscht.
Wegen seiner breiten Verwendung etwa im Bausektor gilt Kupfer als besonders zuverlässiger Frühindikator der Weltwirtschaft. Aber auch die Edelmetalle wie Gold (Gold 1210.44 0.36%) und Platin (Platin 803.5 1.58%) befinden sich seit längerem unter Druck.
Südafrika ist für einen Rückschlag auch deshalb besonders anfällig, weil es sich, genau wie die Türkei, ein hohes Leistungsbilanzdefizit leistet, also negative Saldi im Handel von Waren und Dienstleistungen mit dem Ausland. Daneben hat es ein vergleichsweise hohes Haushaltsdefizit.
Auch sein Wachstum ist seit Jahren für ein Schwellenland ausgesprochen schwach: Seit 2013 ist die jährliche Zuwachsrate nicht mehr über 2% geklettert, obwohl Südafrika der Weltbank zufolge mindestens 7% zum Abbau seiner hohen Armut braucht. All das macht Südafrika und die Währung Rand stark verwundbar.
Am besten haben in Afrika zuletzt mittelgrosse Volkswirtschaften wie diejenige der Elfenbeinküste oder Tansanias abgeschnitten, mit Wachstumsraten von über 5%. Einige davon (aber längst nicht alle) betreiben eine vergleichsweise gesunde Wirtschaftspolitik: Sie halten die Inflation im Zaum, investieren in Infrastruktur und haben eine zwar noch kleine, doch wachsende Mittelschicht.
Kenia und Äthiopien haben neue Eisenbahnlinien, der Senegal einen neuen Flughafen. Staatliche Investitionen haben dieses Wachstum kurzfristig befeuert. Doch auch langfristig könnten diese Länder profitieren, falls die neue Infrastruktur den Handel innerhalb Afrikas ankurbelt, der noch immer nur 12% des Gesamtvolumens erreicht.
Gleichwohl gilt es, die Perspektive zu wahren. So haben sich zum Beispiel dank der Zollfreiheit, die der Westen auf fast alle afrikanischen Produkten gewährt, viele Textilhersteller in Äthiopien angesiedelt, wo sie für den Export nach Europa und Nordamerika produzieren. Vom Gewinn bleibt jedoch wenig dort hängen. Da es kaum möglich ist, Geld aus Äthiopien zurückzuführen, investieren Ausländer oft nur so viel, wie sie müssen. Eigene Produkte, die auf den Märkten in den Industrieländer nachgefragt würden, werden in Afrika aber noch immer kaum hergestellt.
Auch eine andere Entwicklung gibt Anlass zur Sorge: In einem vertraulichen, weil sehr kritischen Bericht der EU-Botschafter zur Elfenbeinküste bemängeln die Autoren die extrem ungleiche Verteilung des bemerkenswerten Wirtschaftswachstums der vergangenen Jahre (jeweils nahezu 8%). Selbst wenn die Wirtschaft in Afrika wachse, würden dort nur selten Arbeitsplätze geschaffen, weil Unternehmen vom Staat als (Steuer-)Beute betrachtet würden, heisst es dort.
Noch bedrückender ist Lage in Tansania, dessen politische Stabilität Investoren wie Geberländer gleichermassen beeindruckt. Nachdem die tansanische Wirtschaft seit 2005 im Schnitt rund 6,5% pro Jahr gewachsen ist und das Land heute fast doppelt so reich ist wie 1990, gefährdet der immer selbstherrlichere Präsident John Magufuli, jetzt in seinem dritten Amtsjahr, die erreichten Fortschritte. In kurzer Zeit hat er den Stabilitätsanker Ostafrikas zu einer brutalen Diktatur gemacht. Immer öfter verhängt der Staat zudem willkürlich hohe Steuern. Unternehmen schliessen, die Ausfuhren sind kollabiert, Investoren flüchten, das Wirtschaftswachstum stockt.
Neben solchen politischen Rückschlägen droht in Afrika schliesslich aber auch noch eine neue Schuldenkrise. Regierungen wie diejenigen Angolas, Senegals oder Ghanas haben kräftig Kredite aufgenommen, um ihre einseitig ausgerichtete Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen oder Grossprojekte zu finanzieren. Der mittlere Verschuldungsgrad ist dabei von 30% des Bruttoinlandprodukts (2012) auf über 50% im vergangenen Jahr gestiegen.
Bevölkerung nimmt rasch zu
Dabei steht die Entwicklung des Kontinents erst ganz am Anfang: Vor fünfzehn Jahren galten rund 57% der Afrikaner als extrem arm, was nach Definition der Weltbank bedeutet, dass sie weniger als 2 $ am Tag verdienten. Am Ende des langen Rohstoffbooms 2013 fielen noch immer fast 45% in die Kategorie der Bitterarmen.
Umso bedrückender ist es, wenn der Internationale Währungsfonds für die nächsten Jahre von Wachstumsraten von unter 4% ausgeht. Eigentlich müsste der Kontinent nämlich, wie China, für zwanzig Jahre oder länger jeweils mindestens 10% wachsen, um die enorme Armut auch nur im Ansatz zu verringern. Weil Afrikas Bevölkerungszahlen geradezu explodieren, dürfte hingegen das bereits sehr niedrige durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen weiter stagnieren. Schon allein deshalb dürfte die immer wieder beschworene Wachstumsgeschichte Afrikas bestenfalls eine sehr langfristige sein.