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Beitrag vom 22.05.2018

FAZ

Zentralafrikanische Republik

Metzelnde Guerrillakämpfer – und ein Attaché namens Boris Becker

Warum in der Zentralafrikanischen Republik wieder ein Krieg zwischen Christen und Muslimen droht – und Blauhelmsoldaten die Kontrolle verlieren. Von Thilo Thielke

KAPSTADT, 21. Mai
Lange war es ruhig in Bambari, einem Städtchen im Süden der Zentralafrikanischen Republik. Selbst als sich in anderen Landesteilen Mitglieder der muslimischen Séléka-Miliz und der christlichen Anti-Balaka blutige Scharmützel lieferten und Blutbäder unter Zivilisten anrichteten, fühlten sich die Menschen in der Stadt, die über einen eigenen römisch-katholischen Bischofssitz und größere Vorkommen an Eisenerz verfügt, halbwegs sicher. Der Ort galt sogar als Musterbeispiel für die Demilitarisierung unter Kontrolle der Vereinten Nationen. Doch seit dem 14. Mai ist alles anders in Bambari. An jenem Tag wurden im Süden der Stadt einige Leichen gefunden. Niemand kannte die näheren Umstände, doch schnell verbreitete sich die Nachricht. Und irgendwann fielen die ersten Schüsse.

„Heute ist die Stadt ein Schlachtfeld bewaffneter Männer – die Straßen sind verwüstet, Häuser niedergebrannt und staatliche Gebäude besetzt“, berichten Mitarbeiter von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF), die in Bambari ein Krankenhaus betreiben. Innerhalb weniger Stunden hätten mehr als 300 Männer, Frauen und Kinder Schutz im Krankenhaus gesucht. „Am 15. Mai hörten wir den ganzen Tag lang Schüsse“, so der MSF-Koordinator für Bambari, Dismas Vuningoma: „Menschen hatten nicht einmal mehr die Zeit, Brücken zu benutzen, sondern sind auf der Flucht in den Fluss gesprungen.“ Von einer „Spirale aus Gewalt, Angst und Tod“ sprechen die Notärzte, die seit dem Ausbruch der Gewalt 17 Verwundete behandelt haben. Zwei von ihnen erlagen ihren Verletzungen.

Bambari ist keine Ausnahme. Zwei Jahre nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs und der Machtübernahme durch Präsident Faustin-Archange Touadéra dröhnen im „Bê-Afrîka“, dem Herzen Afrikas, wie das Land in der lokalen Sprache Sango genannt wird, wieder einmal die Kriegstrommeln. Auch in Bangui, der Hauptstadt des verarmten Landes mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 580 Dollar im Jahr, greifen immer mehr Männer zu den Waffen.

Vor einigen Wochen kam es zu Scharmützeln im muslimisch dominierten Stadtviertel PK 5, in dem radikale Muslime zum Heiligen Krieg aufriefen. Als Blauhelmsoldaten der insgesamt aus 15000 Soldaten bestehenden Friedensmission Minusca einrückten, um die Gewalt zu beenden und einige Gotteskrieger zu entwaffnen, wurden ein UN-Soldat getötet und acht verletzt. Bei früheren Gefechten zwischen Blauhelmen und örtlichen Milizen starben Anfang April nach Angaben von Bewohnern des Viertels mindestens 21 Menschen im PK 5. Aus jenem Stadtteil Banguis sollen auch diejenigen stammen, die mit Handgranaten und Schnellfeuergewehren die Kathedrale „Notre-Dame de Fatima“ gestürmt und rund 30 Gläubige massakriert hatten.

„Die Gewalt in PK 5 hält schon zu lange an“, erklärte Minusca-Chef Parfait Onanga-Anyanga gegenüber der Deutschen Welle: „Kriminelle Gruppen haben sich dort eingerichtet, die Gewalt gegenüber der Bevölkerung dort ist inakzeptabel – und sie verfügen über eine Menge Waffen.“ Doch ohne ein robustes Mandat ist die Truppe weitgehend machtlos gegen die Gewalt. Und die Armee des Landes gilt als korrupt und schlecht ausgerüstet, während sich die Milizen aus dem Ausland mit dem neuesten Schießgerät versorgen.

So schlittert das Land immer tiefer in einen neuen Konflikt zwischen islamischen und christlichen Banden. Seinen blutigen Höhepunkt hatte dieser erreicht, als es Rebellen der muslimischen Guerrilla Séléka im März 2013 gelang, die Hauptstadt einzunehmen und den damaligen Präsidenten François Bozizé abzusetzen, obwohl schätzungsweise 80 Prozent der Bevölkerung Christen und nur 15 Prozent Muslime sind.

Lange konnten sich die muslimischen Krieger, von denen viele aus Tschad in die Zentralafrikanische Republik eingefallen waren, nicht halten. Christliche Milizen, Anti-Balaka genannt, vertrieben sie. Auf beiden Seiten kam es zu Gemetzeln. Ganze Stadtviertel wurden dem Erdboden gleichgemacht, Hunderttausende flohen in die Wälder.

Französische Soldaten und solche aus der Afrikanischen Union stellten die Ordnung im Land daraufhin halbwegs wieder her. Doch vor zwei Jahren zogen die Truppen ab. Seither versucht die „Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission in der Zentralafrikanischen Republik“ die Lage unter Kontrolle zu behalten. Doch das gelingt ihr nur mit mäßigem Erfolg. „Die nächsten Monate sind voller Gefahren für die Zentralafrikanische Republik“, warnte schon im September 2017 die „International Crisis Group“ in einem Bericht mit dem Titel „Avoiding the Worst“ oder „Das Schlimmste verhindern“: „Die Möglichkeit, dass erneut ein Bürgerkrieg ausbricht, kann nicht länger ausgeschlossen werden, da überall in den Provinzen Konflikte wieder aufflammen.“ Es würden sich bewaffnete Gruppen im Land bilden, und es sei „ein starker Anstieg der Gewalt“ zu beobachten. „Regierung und internationale Partner sind nicht in der Lage, die Eskalation zu stoppen und dauerhafte Lösungen für die Krise zu finden“, so die Sicherheitsfachleute des Brüsseler Thinktanks.

Von einem „niedrigschwelligen Krieg“, der im Land herrsche, spricht derweil der Bischof von Bangassou, Juan-José Aguirre. Der Geistliche macht zudem auf eine neue Gefahr aufmerksam: Unterstützung erhielten die muslimischen Krieger in jüngster Zeit von immer mehr Islamisten, die aus Syrien nach Schwarzafrika strömten. „Frühe Alarmzeichen“ für einen Genozid will UN-Nothilfekoordinator Stephen O’Brien erkannt haben, als er vor einiger Zeit die Krisenregion bereiste. Allein 2017 wären rund 180000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben worden; insgesamt mäanderten mittlerweile rund 500000 Binnenflüchtlinge durchs Land; jeder zweite der fünf Millionen Einwohner sei von Nahrungsmittelhilfe abhängig.

Was den früheren Tennisspieler Boris Becker bewogen haben mag, sich kürzlich von Präsident Faustin-Archange Touadéra zum „Attaché für Sport und kulturelle Angelegenheiten in der Europäischen Union“ ernennen zu lassen, ist nicht im Detail bekannt. Die Zentralafrikanische Republik habe noch „eine Vielzahl von wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Problemen zu bewältigen“, sagte Becker der Deutschen Presse-Agentur. Er wolle nun helfen, sie zu lösen.