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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 17.05.2018

Die Welt

Migration

Entwicklungshilfe – die verkannte Fluchtursache

Von Ansgar Graw, Chefreporter

Mit Geld für arme Länder will die Politik „Fluchtursachen beseitigen“ und Zuwanderung bremsen. Doch paradoxerweise stellen Experten fest, dass mit mehr Hilfe auch die Migrantenzahl wächst. Eine erfolgreiche Entwicklungshilfe sieht anders aus.

Dass man „die Fluchtursachen beseitigen“ müsse, gehört zu den populärsten Gewissheiten nationaler und internationaler Politik. Krisenprävention und die Hoffnung auf Konfliktbewältigung etwa in Syrien und im Irak gehören zu diesem Konzept. Aber das Hauptaugenmerk liegt auf wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit jenen Staaten im Nahen Osten und in Afrika, aus denen Millionen Menschen in Richtung Europa drängen.

„Wenn es in Afrika zu viel Hoffnungslosigkeit gibt, gibt es natürlich junge Menschen, die sagen, wir müssen uns woanders auf der Welt ein Leben suchen“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die große Koalition verspricht: „Wir wollen Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge.“

In den Wahlprogrammen von AfD, FDP, Linker und Grünen finden sich ähnliche Formulierungen, die im Übrigen geteilt werden vom österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, der (vormaligen) britischen Entwicklungsministerin Priti Patel, der EU-Kommission und dem US-Außenministerium. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warnt denn auch: „Wenn wir die Entwicklungshilfe kürzen, werden wir hier sehr bald viel mehr Flüchtlinge haben.“

Wissenschaftler allerdings kommen zu einer gegenteiligen Erkenntnis. „Typischerweise führt Entwicklungshilfe zu einem Anstieg der Migration“, sagt der US-Wirtschaftswissenschaftler Michael A. Clemens, Autor einer aktuellen Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), im Gespräch mit WELT.

Clemens, der beim Center for Global Development in Washington arbeitet, schreibt in seinem 27-seitigen Papier über „Deterring Emigration with Foreign Aid: An Overview of Evidence from Low-Income Countries“ („Mit Entwicklungshilfe von Auswanderung abschrecken: Eine Übersicht über Befunde aus Niedriglohnländern“), Hilfe durch Entwicklungszusammenarbeit könne „wirtschaftliches Wachstum, Beschäftigung und Sicherheit nur bis zu einer bestimmten Grenze stärken“. Bislang habe „eine erfolgreiche Entwicklung in fast allen zuvor armen Ländern zu einer steigenden Auswanderung geführt“. Wirtschaftliche Entwicklung führe auch zur Steigerung der Zahl von Asylsuchenden aus den entsprechenden Ländern.

Entwicklungsminister Müller fordert mehr Geld für Rückkehrwillige

Langzeitbeobachtungen zwischen 1960 und 2013 zeigen demnach, dass von 71 armen Ländern, die einen Aufstieg in die Ländergruppe mit mittleren Einkommen erlebt haben, 67 während dieses Prozesses eine höhere Abwanderung verzeichneten. Bei Ländern, die arm blieben, gab es hingegen keine Zunahme. „Fast alle armen Länder, die reich wurden, haben große Abwanderungsströme erlebt. Steigende Haushaltseinkommen daheim gingen Hand in Hand mit steigender Emigration“, stellt Clemens fest.

Zu den äußerst positiven Folgen der Entwicklungshilfe gehören eine bessere medizinische Versorgung und eine Senkung der Kindersterblichkeit. Allerdings wächst dadurch 15 bis 20 Jahre später die Arbeitslosigkeit – wodurch wiederum der Auswanderungsdruck wächst.

Familien, die – oft dank Entwicklungshilfeprojekten – über ein höheres Einkommen verfügen, können Söhnen Flugtickets oder das Handgeld für Schleuser finanzieren, um sie in ein reicheres Land zu schicken. „Höhere Einkommen bedeuten verbesserte Fähigkeiten, direkte Kosten der Auswanderung zu bezahlen, aber auch in Dinge zu investieren, die zur Migration einladen und sie erleichtern – wie Internetzugang, Fremdsprachfähigkeiten, Geschäftsverbindungen ins Ausland oder touristische Reisen“, hat Clemens beobachtet.