Beitrag vom 09.05.2018
FAZ
Verschuldung
Und plötzlich ist das Geld weg
Nach dem Schuldenerlass der Vergangenheit haben sich viele Staaten Afrikas wieder Kredite besorgt. Hohe Zinsen werden zur Belastung – und manchen Ländern droht der Bankrott.
Von Thilo Thielke
KAPSTADT, 8. Mai
Es sollte ein Weckruf sein, als der sudanesische Außenminister Ibrahim Ghandur vor ein paar Wochen im Parlament seine Klage vortrug. Das Land befinde sich in enormen Zahlungsschwierigkeiten, seit Monaten hätte Khartum seine Diplomaten im Ausland nicht mehr bezahlen können, auch mit den Mietzahlungen für die Auslandsvertretungen sei Sudan im Rückstand. Derart dramatisch sei die Lage mittlerweile, dass einige Botschafter freiwillig nach Hause zurückkehren wollten, weil sie ihre Familien ohne Gehaltszahlungen nicht mehr im Ausland über die Runden brächten. Ghandur schloss seinen Appell mit den Worten: „Die Lage ist inzwischen gefährlich, weswegen ich nun öffentlich darüber rede.“ Einen Tag später wurde er vom Staatspräsidenten, dem seit 1993 herrschenden Islamisten Omar Hasan al Baschir, entlassen. Der Mann, gegen den wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs in den Haag vorliegt, reagiert auf Kritik empfindlich.
Sudan ist nicht das einzige afrikanische Land, das derzeit tief in der Schuldenkrise steckt; einigen afrikanischen Ländern droht gar der Staatsbankrott. So befinden sich unter den sechs vom Internationalen Währungsfonds (IWF) weltweit für hochgradig verschuldet eingestuften Ländern fünf auf dem Kontinent: neben Sudan das Bürgerkriegsland Südsudan, Tschad, Moçambique und Zimbabwe. Der einzige Staat auf der Liste der in „höchster Not“ befindlichen Länder, der nicht in Afrika liegt, ist Grenada in der Karibik.
Elf weitere afrikanische Länder gelten, so geht aus den Zahlen von März 2018 hervor, als hochverschuldet, darunter befinden sich nicht nur klassische Krisenstaaten wie die Zentralafrikanische Republik und Burundi, sondern auch Hoffnungsträger wie Ghana oder Äthiopien. In mehr als der Hälfte aller schwarzafrikanischen Länder stiegen die Schulden in den vergangenen sechs Jahren rapide an. Erstmals liegen sie nun im Durchschnitt bei mehr als fünfzig Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 2012 lagen sie noch bei vergleichsweise niedrigen 30 Prozent. Doch was für europäische Verhältnisse normal sein mag, hat auf afrikanische Staaten gravierende Auswirkungen, weil bei ihnen die Zinslasten deutlich höher sind – in gerade einmal fünf Jahren hat sich deren Anteil an den Staatsausgaben auf durchschnittlich 12,5 Prozent verdoppelt.
Nun werden Erinnerungen an die neunziger Jahre wach, als viele afrikanische Länder derart überschuldet waren, dass nur ein radikaler Schuldenschnitt Abhilfe versprach. 1996 beschlossen die G-7-Staaten einen ersten Schuldenerlass, 1999 und 2005 folgten weitere. 85 Prozent aller weltweit gestrichenen Kreditforderungen betrafen Schwarzafrika. 2005 erließen die Industrienationen 30 afrikanischen Staaten die Schulden.
Tatsächlich setzte danach ein Aufschwung ein – allerdings verschuldeten sich viele Regierungen plötzlich schnell bei privaten Kreditgebern, die anders als die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds kaum Bedingungen an die Vergabe des Geldes stellten, dafür aber auch höhere Zinsen verlangten. Zudem floss immer mehr Geld nach Afrika, seit auf den westlichen Kapitalmärkten kaum noch Zinsen gezahlt werden – afrikanische Staaten aber zahlen den Emittenten von Hartwährungsanleihen zwischen fünf und 15 Prozent Zinsen. „Einige waren so begierig, Kredite zu vergeben“, zitiert die „Neue Zürcher Zeitung“die IWF-Chefin Christine Lagarde, „dass sie die Risiken kaum beachteten.“
So schlitterte auch der einstige afrikanische Musterstaat Ghana, dem im Jahr 2005 rund 7,4 Milliarden amerikanische Dollar an Schulden erlassen worden waren, immer tiefer in eine neue Schuldenfalle. Bereits 2007 plazierte der westafrikanische Staat eine Anleihe für 750 Millionen Dollar am Kapitalmarkt – das vor der Küste entdeckte Jubilee-Ölfeld machte sie attraktiv. 2011 erreichte das Land mit 14 Prozent sogar das höchste Wirtschaftswachstum weltweit. Doch im Vertrauen auf gleichbleibend hohe Ölpreise verschuldete sich das Land daraufhin immer mehr, was ihm spätestens zum Verhängnis wurde, als 2014 die Ölpreise einbrachen.
„Ghanas Auslandsschulden haben sich seit Mitte der letzten Dekade mehr als vervierfacht“, bilanziert das Bündnis „Erlassjahr.de“, das sich dafür einsetzt, hochverschuldeten Staaten abermals die Schulden zu streichen: „Dabei sind die Verbindlichkeiten gegenüber allen Gläubigergruppen deutlich gestiegen, gegenüber privaten allerdings noch stärker als gegenüber den öffentlichen.“ Besonders kritisch habe sich ausgewirkt, dass die „Wirtschaftsleistung des Landes von 2013 bis 2015 um gut ein Fünftel zurückgegangen ist“, heißt es in dem Bericht. Der Schuldenberg ist so groß, dass sich die Indikatoren massiv verschlechtert haben, die das Verhältnis von Schulden und Wirtschaftsleistung beschreiben.
Mittlerweile konnte Ghana zwei neue Ölfelder erschließen. Dadurch wird für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum zwischen 7,2 Prozent (Economist Intelligence Unit) und 7,8 Prozent (Weltbank) erwartet. Allerdings rechnet die deutsche Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest (GTAI) bereits für 2019 wieder mit einem geringeren Wachstum. „Die Ölprojekte verdecken die immer noch anhaltende Flaute in den meisten anderen Branchen der lokalen Wirtschaft wie Bergbau, die Landwirtschaft, der Konsumgüterbereich sowie seit jüngerem auch der Bausektor“, heißt es im GTAI-Wirtschaftsausblick vom November 2017. Dem Staat stünde „angesichts seiner hohen Verschuldung und rückläufiger Einnahmen aus dem Rohstoffexport“ nur wenig Geld für Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung. Als eine neue Regierung im vergangenen Jahr die Amtsgeschäfte übernahm, machte sie im Staatshaushalt ein Loch von 1,6 Milliarden Dollar aus – auch 1,9 Milliarden Dollar, die 2017 für die Kakaoproduktion aufgenommen worden waren, verschwanden auf rätselhafte Weise. Auswirkungen hat die ghanaische Krise mittlerweile auch auf deutsche Firmen, die in dem Gold-, Kakao- und Ölstaat Geschäfte machen. „Die angespannte finanzielle Lage des ghanaischen Staats spürten insbesondere Lieferanten öffentlicher Institutionen, wie zum Beispiel für den Gesundheitssektor oder den Infrastrukturbereich“, hat Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, beobachtet: „Die deutschen Exporte gingen infolgedessen auch von 301,8 Millionen Euro im Jahr 2016 auf 265,6 Millionen Euro im Jahr 2017 zurück.“
Besonders dreist trieb es die Regierung von Moçambique – einem Land, das seit Jahren von der ehemals marxistischen Rebellentruppe Frelimo heruntergewirtschaftet wird und derzeit einen traurigen 142. Platz auf der Korruptionsliste der Nichtregierungsorganisation Transparency International belegt. Im April 2016 kam ans Licht, dass in dem südostafrikanischen Staat insgesamt 2,3 Milliarden amerikanische Dollar veruntreut worden waren – recht viel für ein Land, dessen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2016 mit rund neun Milliarden nur einem knappen Drittel des Wirtschaftsvolumens des Stadtstaates Bremen entsprach.
Das gepumpte Geld hatten drei halbstaatliche Firmen erhalten, die eigens zu dem Zweck gegründet worden waren, Kredite für Fischfangflotten oder maritime Rüstungsgüter zu erhalten. Geld wurde auch von der Credite Suisse und der privaten russischen VTB-Bank bereitgestellt. Doch weder die Fischerboote, die in Frankreich angeschafft werden sollten, noch das Rüstzeug für moçambiquanische Polizisten, das von den Krediten finanziert werden sollte, kamen jemals in Maputo an. Das Geld rissen sich korrupte Politiker unter den Nagel; über die krummen Geschäfte aber wurden weder das Parlament noch der Internationale Währungsfonds informiert. Heute machen die Schulden des Landes 110,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. „Die meisten Länder sind allerdings auch in der Lage, insbesondere mit Hilfe des IWF, die angespannte finanzielle Lage mittelfristig zu überwinden“, ist Kannengießer überzeugt – zumal vor einigen Jahren gewaltige Öl- und Gasvorkommen entdeckt wurden. Zwar habe die Krise in Moçambique auch deutsche Exporteure getroffen, so Kannengießer: „Vollständige Zahlungsausfälle sind aus unseren Erkenntnissen aber eher die Ausnahme.“
Gut möglich, dass nicht nur Moçambique Kredite versteckt hat. Derzeit stehen auch Sambia und Kongo im Verdacht, gemauschelt zu haben – allerdings bestreiten deren Regierungen jegliche Manipulationen. Was es zunehmend schwierig macht, die Verschuldung afrikanischer Länder korrekt einzuschätzen, ist dabei Chinas seit Jahren wachsendes Engagement auf dem Kontinent. So haben sowohl Sambia als auch Kongo, nach der Einschätzung der britischen Zeitschrift „Economist“, „undurchsichtige Kredite von chinesischen Firmen erhalten“. Allein der Ölstaat Angola soll seit 2004 rund 19 Milliarden Dollar aus dem Reich der Mitte erhalten haben.
Kritisch sieht die Lage auch bei einem Giganten wie Nigeria mit seinem Ölreichtum und einer Bevölkerung von 190 Millionen aus. Mittlerweile machen die Zahlungen an Gläubiger rund ein Viertel des gesamtes Staatshaushalts aus. Die Zinszahlungen haben sich auf fünf Milliarden Dollar im Vergleich zu 2015 verdoppelt. „Der Ölbereich und auch der Bausektor liegen aufgrund der niedrigen Ölpreise weitgehend brach; viele hiervon abhängige Dienstleistungsgewerbe leiden darunter“, beschreibt der für West- und Zentralafrika zuständige GTAI-Referent Carsten Ehlers die Situation. Zu den erwähnten Schwierigkeiten komme noch „das Problem der zunehmenden politischen Instabilität“ in einem Land, das seit Jahren im Norden von Islamisten und im Süden von Öl-Rebellen terrorisiert wird. Immerhin bescheinigt die GTAI dem Land, „dass die Talsohle durchschritten wurde und nun ein zarter Aufwärtstrend bevorsteht“, und Christoph Kannengießer vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft relativiert: „Die Verschuldung Nigerias liegt etwa bei lediglich 26,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, während sie in Deutschland bei 59,8 Prozent liegt.“ Kannengießers Hoffnung: „Sowohl die internationalen Geber als auch viele afrikanische Staaten haben aus der Verschuldungskrise gelernt.“ Das kann man dem Kontinent nur wünschen – selbstverständlich ist es nicht.
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