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Beitrag vom 22.02.2017

Tagesschau.de

"Milliarden gegen Migration"

Kampf gegen Fluchtursachen - ein mühsames Geschäft

Von den Migranten, die 2016 über das Mittelmeer nach Europa kamen, waren knapp 10.000 Senegalesen. Das Land zählt zu den Migrations-Hotspots in Afrika. Deswegen haben Deutschland und die Europäische Union den Senegal besonders ins Visier genommen. Millionenschwere Entwicklungsprogramme sollen Fluchtursachen bekämpfen. Ob sie eines Tages Wirkung zeigen, ist jedoch fraglich.

Von Marc Dugge, ARD-Studio Madrid

Massaer Gueye weiß, wie sich Hoffnungslosigkeit anfühlt. Die Aussicht, dass sich die Dinge nicht zum Besseren wenden werden. Die Leere. Und die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Gueye ist Mitte 30 und ausgebildeter Schmied in Senegals Hauptstadt Dakar. Vor Jahren hat er sich darauf spezialisiert, kleine, energieeffiziente Kochherde herzustellen. Er hat viel Talent, doch die Geschäfte laufen über lange Zeit schlecht.

So schlecht, dass er vor zehn Jahren eine Entscheidung traf. "Mein Leben war zur Hölle geworden", erzählt er. "Ich war bereit dazu, alles aufzugeben - und habe mich auf das Abenteuer der illegalen Migration einzulassen." Zwei Mal hat er versucht, mit dem Boot nach Spanien zu kommen.

Vom Bootsflüchtling zum Unternehmer

Beide Male scheiterte Gueye. Als sein Boot vor Mauretanien in Seenot geriet, verlor er einige seiner Mitreisenden. Er selbst überlebte - und hatte Glück: In Dakar wurden Entwicklungshelfer auf ihn aufmerksam, die effiziente Kochenergie im Senegal verbreiten wollten. Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) halt ihm beim Aufbau seines Unternehmens, mit Beratung und Krediten. Heute läuft seine Ofenschmiede: Gueye hat 21 Mitarbeiter.

"Ich trage meinen Teil dazu bei, die illegale Migration zu bremsen", sagt Gueye. Manchmal treffe er einen jungen Mann, der keinerlei Ausbildung habe. "Ich gebe ihm trotzdem Arbeit, damit er etwas Geld verdient und hier im Land bleibt. Die, die illegal auswandern, sagen sich: Entweder schaffe ich es - oder ich sterbe. Wenn Du hier einen Job hast, fragst Du Dich doch, warum Du Dich darauf einlassen solltest."

Modewort "Fluchtursachenbekämpfung"

Friederike von Stieglitz steht daneben und lächelt zufrieden. Sie leitet das GIZ-Büro im Senegal. Das Öfen-Programm gibt es seit Jahren. Aber das Interesse für Projekte, die Menschen Perspektiven im eigenen Land geben könnten, ist so groß wie lange nicht mehr. "Fluchtursachenbekämpfung" ist derzeit das Modewort in der deutschen Entwicklungspolitik.

Im April soll das GIZ-Programm "Erfolgreich im Senegal" anlaufen, das die GIZ im Auftrag der Bundesregierung umsetzt. Ziel ist es, Einkommen und Beschäftigung zu schaffen. "Man muss sich vor Augen halten, dass 50 Prozent der Bevölkerung 19 Jahre und jünger sind", sagt Friederike von Stieglitz. "Und so schauen wir in dem Projekt darauf, dass wir gerade für junge Leute Zukunftsperspektiven entwickeln."

Programme sollen Jobs für Junge bringen

Zehntausende junge Menschen sollen in Jobs gebracht werden - etwa mithilfe von Nutzung von Solarenergie. Dazu will die GIZ vier Büros in entlegeneren Regionen eröffnen - Regionen, aus denen besonders viele Migranten kommen. Die zweiseitige Projektbeschreibung klingt noch ziemlich wolkig: Es ist von "neuen Berufsprofilen" die Rede, von "Multi-Generationen-Dialogen" und "gemeinsamen Veränderungsprojekten".

"Der Senegal braucht Jobs", sagt Heidi Schiller. Sie betreibt das Unternehmen "Kaito", dass sich auf erneuerbare Energien im Senegal spezialisiert hat. Die frühere Münchener Grünen-Chefin gehört zu den wenigen deutschen Unternehmern, die sich in dem Land engagieren.

Das Ziel ist aber klar: Junge Menschen davon abzubringen, sich auf den Weg zu machen. Und Visionen in der Heimat zu schaffen. "Eine Vision davon zu haben, was ich hier werden kann, wie ich die Ansprüche meiner Familie erfüllen kann, das sind Dinge, die sind sehr wichtig", erklärt Friederike von Stieglitz. Visionen hätten auch alle Senegalesen, die sich zur Migration entscheiden. "Der, der weggeht, ist erst einmal ein Held", sagt von Stieglitz. "Aber wenn er wiederkommt und gescheitert ist, ist er ganz tief gefallen. Und auch daran arbeiten wir: Dieses Scheitern, diese Scham zu vermeiden."

Deutschland und die EU zahlen Millionen

Deutschland lässt sich "Erfolgreich im Senegal" neun Millionen Euro kosten. Vorerst. Sollte sich der "erwartete Erfolg des Vorhabens" bestätigen, heißt es im Papier, sei eine finanzielle Aufstockung "denkbar".

Die Bundesregierung ist nicht die einzige, die in Beschäftigungsprogramme investiert. Auch die EU-Kommission hat zwei Projekte am Start, die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern und Jobs schaffen sollen. Mit dem Ziel, dass die jungen Menschen im Land bleiben. Das lässt sich die EU stolze 60 Millionen Euro kosten, finanziert aus dem EU-Afrika-Nothilfefonds.

Forscherin: Migration Teil der Kultur

Aber geht der Plan auch auf? Das Konzept des Auswanderns sei tief in der Kultur der Region verwurzelt, sagt die französische Migrationsforscherin Sylvie Bredeloup: "Jeder junge Mensch hat doch Lust, die Welt zu entdecken und seinen eigenen Weg zu gehen. Ich nenne das die 'Abenteuer-Migration'". Das sei wie ein Initiations-Ritus: "Zu sehen, was anderswo passiert, sich von den seiner Familien zu emanzipieren - und vielleicht auch in besseren Umständen zurückzukehren", erklärt die Forscherin. "Man geht, um sich abzuhärten und zu wachsen."

Bredeloup glaubt nicht, dass Entwicklungsgelder etwas daran ändern werden. Viele Migrationsforscher sind ähnlich skeptisch. Sicher ist jedenfalls: Die Zusammenarbeit mit Europa beim Thema Migration beschert dem Senegal eine Fülle an Entwicklungsgeldern.

Der Präsident sieht die Zusammenarbeit kritisch

Senegals Präsident Macky Sall kann sich trotzdem nicht so recht darüber freuen. Denn der Geldsegen hat einen Haken: Der Präsident könnte als Erfüllungsgehilfe der Europäischen Union dastehen. Und sollte die EU-Kommission meinen, dass der Senegal nicht genug mitzieht, kann sie die Gelder kürzen. Sall will das nicht hinnehmen. In einem Interview mit dem Fernsehsender France 24 sagte er: "Der Senegal kann es nicht akzeptieren, dass wir zusammenarbeiten mit der Perspektive: Je weniger Migration desto mehr Zusammenarbeit. Das ist für uns keine Grundlage für eine Partnerschaft."

Fast wäre Sall im Interview das Wort "Chantage", also: "Erpressung", über die Lippen gerutscht. Er steht unter Druck - von außen wie von innen. Die Europäische Union allerdings auch: Die Frage ist, ob die vielen Millionen Steuergelder wirklich die erhoffte Wirkung zeigen.

Massaer Gueye hat mit seiner Ofen-Schmiede Arbeitsplätze geschaffen. Aber ist der Traum von Europa damit ausgeträumt? Keineswegs. "Ich würde gern gehen", sagt beim Abschied einer seiner Arbeiter. "Um mal das Land zu wechseln, auf andere Gedanken zu kommen, damit auch ich viel Geld habe, wie die anderen auch. Um meiner Familie zu helfen." Die Brüder seiner Freunde seien nach Spanien gegangen. "Sie haben viel Geld. Sie haben sich Häuser gekauft und Autos!"