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Beitrag vom 05.12.2016

FAZ

Wenn Kinder für Schokolade schuften

Auf den Kakaoplantagen in Westafrika arbeiten mehr als zwei Millionen Kinder. Das müsse ein Ende haben, sagt der größte Schokoladenhersteller der Welt.

rit. ZÜRICH, 4. Dezember. Kinder lieben Schokolade, gerade zu Weihnachten. Doch in vielen der Abermillionen Schokoweihnachtsmänner, die auch dieses Jahr wieder über die Ladentheken gehen, steckt Kinderarbeit. Rund 70 Prozent der für die Schokoladenproduktion benötigten Kakaobohnen werden in Westafrika geerntet. In den Hauptanbaugebieten in Ghana und in der Elfenbeinküste schuften Studien zufolge mehr als zwei Millionen Kinder. Die Arbeit auf den Plantagen ist anstrengend und zuweilen auch gefährlich: Die Minderjährigen kappen die Bohnen mit der Machete, jäten Unkraut, schleppen Säcke und Wasser. Zwar gibt es zahlreiche Initiativen, die sich dem Kampf gegen die Kinderarbeit verschrieben haben. Aber durch die wachsende Zahl der Kakaobauern hat die Kinderarbeit zuletzt trotzdem weiter zugenommen.

Nun versucht die Barry Callebaut AG, dieses Problem noch entschlossener anzugehen. Das Zürcher Unternehmen ist der größte Hersteller von Kakao- und Schokoladenprodukten der Welt und kam zuletzt auf einen Jahresumsatz von 6,7 Milliarden Franken (6,2 Milliarden Euro). In jeder vierten Schokolade, die rund um den Globus verkauft wird, stecken die (Vor-)Produkte der Schweizer. Das weiß nur kaum jemand, weil Barry Callebaut vor allem andere Hersteller (wie zum Beispiel Unilever und Nestlé), aber kaum Endkunden beliefert.

Obwohl sich das Unternehmen als Vorreiter auf dem Gebiet der allseits propagierten Nachhaltigkeit sieht, ist nach oben noch sehr viel Luft, wie der Vorstandsvorsitzende Antoine de Saint-Affrique im Gespräch mit dieser Zeitung bekennt: „Wir beziehen bisher nur 23 Prozent der Kakaobohnen aus nachhaltigem Anbau.“ Doch diesen Anteil will der Franzose, der das Unternehmen seit gut einem Jahr führt, bis 2025 auf 100 Prozent erhöhen. Das bedeutet: Innerhalb der Beschaffungskette soll es dann keine Kinderarbeit mehr geben. Zugleich sollen mehr als eine halbe Million Kakaobauern aus der Armut befreit werden. Beides hängt eng miteinander zusammen.

Wenn Kakaobauern pro Kopf und Tag weniger als 2 Dollar einnehmen (und damit unter die Armutsgrenze fallen), können sie es sich kaum leisten, Hilfsarbeiter einzustellen und ihre Kinder in die Schule zu schicken. Daher zielt Saint-Affriques Programm „Forever Chocolate“ darauf, die Produktivität und die Ernteerträge des Kakaoanbaus zu erhöhen. Den Bauern soll mittels Schulungen dabei geholfen werden, ihr botanisches und agrartechnisches Knowhow zu verbessern und ältere und damit automatisch deutlich ertragsärmere Kakaobäume auszutauschen.

Dazu braucht es Investitionen, die Barry Callebaut unter anderem über die Vermittlung von Mikrokrediten der IFC, einer Tochtergesellschaft der Weltbank, in die Wege leiten will. Insgesamt ist das Unternehmen mit rund 1000 eigenen Mitarbeitern und Vertragspartnern in Westafrika am Ball. Durch einen zunehmend direkten Einkauf der Kakaobohnen bei den Bauern können die Schweizer ihre Ideen und Vorstellungen inzwischen besser an den Mann bringen.

Hinter diesem Bemühen steckt ein langfristiges kommerzielles Interesse. „Es geht darum, die Zukunft unseres Geschäfts zu sichern“, sagt Saint-Affrique. Der Klimawandel, die Erosion, ausgelaugte Böden – das alles gefährde die Kakaoproduktion. Daher sei es zwingend, in die Nachhaltigkeit zu investieren, auch wenn dies kurzfristig die Rendite beeinträchtigen könne. „Wenn wir in 20 Jahren keine Schokolade mehr herstellen können, weil es nicht genügend Kakaobohnen gibt, entsteht kein Wert für die Aktionäre“, sagt der Vorstandschef mit Blick auf kurzatmige Finanzanalysten. Deren Einfluss ist im Hause Barry Callebaut allerdings ohnehin beschränkt. Schließlich liegen etwas über 50 Prozent des Unternehmens in Händen der Familie Jacobs. Die Kaffee-Erben sind für ihre verantwortungsbewusste Unternehmensführung bekannt.

Druck kommt aber auch von den Verbrauchern, die – angefeuert von Nichtregierungsorganisationen und Umweltschützern – zunehmend darauf achten, Schokolade zu kaufen, die nicht auf Kosten von Kindern und der Natur hergestellt wurde. Deshalb fördern auch große Nahrungsmittelkonzerne wie Nestlé und Mondelez den nachhaltigen Kakaoanbau.

„Wir wollen nachhaltige Schokolade von einem Nischenprodukt zur Norm machen“, sagt Saint-Affrique. Dies müsse nicht zwangsläufig zu höheren Preisen für die Verbraucher führen. Denn aus einem steigenden Ernteertrag ergäben sich Größen- und Kostenvorteile. Wie groß der Aufholbedarf ist, zeigt ein Vergleich mit Südamerika: Die Kleinbauern in der Elfenbeinküste ernten heute im Jahr durchschnittlich 400 bis 500 Kilo Kakao pro Hektar. Das ist ein Viertel dessen, was auf Plantagen in Ecuador abfällt.

Saint-Affrique hält die selbstgesteckten Ziele für ehrgeizig; diese könnten nur in Zusammenarbeit mit Regierungen, Kunden und Konsumenten erreicht werden. Aber kann er die Fortschritte am Ende auch glasklar belegen? Daran hapert es ja allzu oft bei vollmundig formulierten Nachhaltigkeitsversprechen. Der Franzose nickt entschlossen. Man habe ein Jahr lang Fakten gesammelt und verfüge nun über eine Datenbasis, die es erlaube, jeden weiteren Schritt genau zu dokumentieren – gleichgültig ob es sich um Kakao, Zucker, Soja, Palmöl, Nüsse oder Milch handelt. Auch die Höhe seines jährlichen Gehaltsbonus hänge stark vom Erreichen der Nachhaltigkeitsziele ab.