Beitrag vom 07.10.2014
FAZ
Die deutsche Wirtschaft träumt nicht von Afrika
Ein Gutachten sieht Chancen für viele Branchen, aber nur wenige Unternehmen nehmen sie auch wahr
hlr. FRANKFURT, 6. Oktober. Kaum ein Unternehmen plant, sein Engagement in Afrika, dessen Wirtschaft in den vergangenen 15 Jahren durchschnittlich um rund 5 Prozent jährlich wuchs, auszuweiten. Das geht aus einer Umfrage unter 400 deutschen Unternehmen hervor, welche die Unternehmensberatung KPMG in Auftrag gegeben hatte und deren Ergebnisse dieser Zeitung vorliegen. Dabei sehen die Unternehmen, die dort bisher investiert haben, ihre Entscheidung positiv.
Gerade deshalb ist das Ergebnis der Umfrage ernüchternd: "Die wirtschaftlichen Chancen in Afrika werden immer noch unterschätzt", sagt Tim Löbig, Partner und Afrika-Experte der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft. "So plant kaum eines der Dienstleistungs- oder Handelsunternehmen, die noch nicht in Afrika aktiv sind, absehbar eine entsprechende Expansion." Dabei berichteten gerade Vertreter dieser Branchen besonders oft von erfolgreichen Geschäften. "Hier wird möglicherweise so manche Chance verpasst." Viele Erfolgsbeispiele zeigten, dass eine pauschale Ablehnung gegenüber einem Markteintritt in Afrika unbegründet sei. Unternehmen, die sich gut vorbereiten und ihr Afrika-Engagement vernünftig managen, könnten die Herausforderungen gut meistern. Das zeige auch die wachsende Konkurrenz aus anderen westlichen Industrienationen und aus China. Gerade der deutsche Mittelstand entdeckt den Kontinent derzeit neu und lässt sich nicht vom veralteten Image Afrikas als Risiko-Kontinent abschrecken. "Vor allem die traditionell starken Branchen wie der Maschinenbau, die Automobilindustrie und die Energietechnikbranche sehen dort gute Chancen", sagt Löbig.
Allerdings kommt eine Studie des südafrikanischen Finanzkonzerns Standard Bank, eine der größten Banken auf dem Kontinent, zu einem etwas anderen Bild. Durch die Entstehung einer zahlungskräftigen Mittelschicht bekomme der Kontinent zwar neue Dynamik. Doch die Autoren der Studie zeigen sich darüber enttäuscht, dass zu wenige am wirtschaftlichen Aufschwung teilhätten. "Die Entstehung einer Mittelschicht legt nahe, dass die Erträge des Wachstums breiter verteilt würden", heißt es dort. Doch obwohl unbestritten Einkommenswachstum stattgefunden habe, sei dieses Wachstum auch überzeichnet worden.
Auch bei der Wirtschaftsorganisation OECD sehen die Experten die Entwicklung Afrikas zweigespalten. So hebt ein Vertreter hervor, dass die Wachstumsraten in Afrika zwar mit besagten durchschnittlich 5 Prozent jährlich höher seien als in der Vergangenheit. Doch die Dynamik sei noch weit von der entfernt, die in Asien zu beobachten gewesen sei. Deshalb seien zusätzliche Anstrengungen notwendig, um das hohe Bevölkerungswachstum zu bewältigen. In den kommenden 35 Jahren wird sich Afrikas Bevölkerung voraussichtlich auf mehr als 2 Milliarden verdoppeln. Viele von ihnen werden künftig in Städten leben. Dabei ist die Infrastruktur - Straßen, Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Verwaltung - schon heute in fast allen Ländern Afrikas unzureichend.