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Beitrag vom 21.08.2014

Handelsblatt

Ebola-Ausbreitung in Afrika

"Wenn ich könnte, würde ich gehen"

von Wolfgang Drechsler

Nachlässige Machthaber und irrer Aberglaube der Bevölkerung verstärken die Wirkung des Ebola-Virus in Westafrika. Ein Land sticht besonders negativ heraus: Liberias traurige Entwicklung steht für den ganzen Kontinent.

Pretoria. Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf hat heute für das ganze Land eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Endlich, muss man hinzufügen, denn das Land wird bereits seit rund sechs Monaten von der Ebola-Epidemie heimgesucht, die auch seine beiden Nachbarn Sierra Leone und Guinea befallen hat.

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es allein in dem langjährigen Bürgerkriegsland bislang über 800 bestätigte oder vermeintliche Fälle, fast 450 Menschen sind hier an der Krankheit gestorben.

So lange hat es gedauert und so viele Opfer hat es gebraucht, bis die erste weibliche Machthaberin Afrikas in ihrer Ansprache letzte Nacht auch eingestand, dass man die Lage in Liberia noch nicht unter Kontrolle habe. Weil sich die Menschen nicht an die überall verbreiteten Warnungen hielten. Die eigenen Versäumnisse wurden verschwiegen

Die Kampagne kommt viel zu spät, doch plötzlich liest und hört man ihre Botschaft fast überall: "Ebola is real" dröhnt es nun unentwegt aus den Autoradios in Monrovia, der Hauptstadt des westafrikanischen Küstenstaates. Der Slogan steht auf den Billboards entlang des Tubman Boulevards, der durch die heruntergekommene City läuft, und auf den Etiketten, die auf den nun vor einigen Büros und Geschäftsgebäuden aufgestellten Eimern zum Händewaschen kleben.

Selbst die meisten Menschen scheinen endlich zu begreifen, dass die Infektionskrankheit Ebola keine Erfindung ihrer Regierung oder gar westlicher Ärzte ist, auch wenn Skepsis und Argwohn tief sitzen.

Täglich sieht man nun auch Tote stundenlang auf den Straßen liegen, weil sie niemand mehr ins Leichenschauhaus bringen will und die Ebola-Einheiten der Regierung mit dem Abholen nicht nachkommen.

Wie groß das Misstrauen ist, zeigt nicht zuletzt die Flucht von 19 Ebola Patienten aus einer Isolierstation in Monrovia. Am Wochenende hatten Bewohner der Armensiedlung West Point die Station gestürmt, ihre Räume geplündert und die hier isolierten Patienten "befreit" wie die Eindringlinge behaupten. Diese könnten nun leicht weitere Menschen in dem dicht besiedelten Slum mit dem Virus anstecken.

Informationsminister Lewis Brown musste zugeben, dass die Angreifer auch Matratzen, Decken und Bettlaken mitgenommen hätten, auf denen Körperflüssigkeit der Kranken haftete.

Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass sich zumindest die Plünderer inzwischen fast alle angesteckt haben und nun ihrerseits wandelnde Infektionsherde sind. Mittlerweile hat die Regierung reagiert und die in Elendsquartieren lebenden 70.000 Menschen unter Quarantäne gestellt.

Vor zwei Wochen hatte Staatschefin Sirleaf - ebenfalls viel zu spät - einen dreimonatigen Ausnahmezustand über ihr Land verhängt. Zusätzlich werden nun auch abgelegene Dörfer im Innern unter Quarantäne gestellt, was viele an die Pestdörfer im Mittelalter in Europa erinnert die nach dem Ausbruch der Seuche ähnlich drastisch von der Außenwelt abgeschottet wurden.

Insgesamt hat das oft tödliche Fieber in den drei besonders hart betroffenen Ländern inzwischen mehr als 1.220 Menschen getötet.

In Nigeria mit seinen 175 Millionen Eonwohnern sind bislang nur eine Handvoll Menschen gestorben, die alle mit einem per Flugzeug eingereisten Ebola-Infizierten in Kontakt kamen. Hier scheint die Epidemie noch unter Kontrolle zu sein.

Viele Menschen in Monrovia haben trotz der nun eingeleiteten Gegenmaßnahmen nicht das geringste Vertrauen in ihre Regierung und werfen den Machthabern vor, die Patienten sowohl in der Hauptstadt als auch auf dem Lande verheerend zu versorgen. Viele seien deshalb zur Flucht aus den Isolierstationen gezwungen, heißt es.

Verantwortlich für das extreme Misstrauen sind aber auch die vielen im Volk verbreiteten Verschwörungstheorien, denen mit plötzlichem Aktionismus und Informationskampagnen kaum beizukommen ist. So werden oft ausgerechnet die Helfer bedroht oder sogar physisch angegriffen, weil viele Menschen glauben, dass die Helfer die Krankheit erst verbreiten oder die Organe der Toten stehlen würden.

Immer wieder flüchten deshalb Infizierte aus Krankenstationen oder werden von dort wie am Wochenende in West Point von Verwandten gewaltsam herausgeholt.

Viele Menschen in Afrika sind angesichts ihres tiefen Aberglaubens jedenfalls fest davon überzeugt, dass Ebola, genau wie etwa auch Aids, nicht durch ein Virus sondern nur durch einen Fluch oder Hexerei übertragen und deshalb auch nur durch einen traditionellen Heiler besiegt werden kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die Schulmedizin bislang noch kein Mittel gegen Ebola gefunden hat.

Liberia gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt - und die mittlerweile zehn Jahre seit dem Ende des Bürgerkriegs haben daran wenig geändert: noch immer hat das ab 1822 von befreiten amerikanischen Sklaven besiedelte Land ein verheerendes Gesundheitssystem mit nur 50 Ärzten für seine fast vier Millionen Menschen.

Auch das Bildungswesen ist ein einziges Desaster: Keiner der 25.000 Studienbewerber bestand etwa im letzten Jahr die Aufnahmeprüfung, nachdem die Behörden die Bedingungen verschärft hatten und nun plötzlich nicht mehr Schmiergeldzahlungen und gute Verbindungen sondern akademische Leistungen über die Aufnahme entschieden.

An all dem hat auch die im Ausland bewunderte Staatschefin und Friedensnobelpreisträgerin Johnson Sirleaf wenig verändert.

Im jüngsten Bericht der US-Organisation Human Rights Watch zu Liberia heißt es, dass die vermeintlichen Ordnungshüter dort hochkorrupt seien. An jeder Kreuzung würde von den Autofahrern Schmiergeld kassiert. Drei von vier Liberianern haben demnach im letzten Jahr Bestechungsgelder an Staatsbeamte bezahlt.

Immer wieder liest man von hanebüchenen Skandalen, ohne dass danach irgendjemand strafrechtlich verfolgt würde. Johnson Sirleaf erklärt das staatliche Versagen mit dem fehlenden Personal. Gleichzeitig verteidigt sie die Ernennung von drei ihrer (gut ausgebildeten) Söhne in Schlüsselpositionen von Regierung und Verwaltung mit deren Qualifikationen

Trotz kleiner Fortschritte seit dem Ende des langen Bürgerkriegs im Jahre 2003 ist die formelle Wirtschaft noch immer komplett auf den Export von Gummi, Edelhölzern und Eisenerz durch ausländische Unternehmen angewiesen, die ihrerseits über Konzessionen für das halbe Land verfügen.

Nur ganz wenige Liberianer sind wohlhabend geworden und haben eigene Unternehmen aufgebaut; die Armen klagen über die völlig fehlenden Dienstleistungen eines Staates, der sie für gewöhnlich nur schikaniert.

Kein Wunder, das man in den Slums von Monrovia Wassereimer mit Chlorreiniger vergeblich sucht. Hier laufen die Kinder statt dessen nackt durch die stinkenden Abwässer, die durch die aufgerissenen Wege laufen.

Für viele wie für Thomas Quiah hat Ebola Erinnerungen an den langen, blutigen Bürgerkrieg geweckt. "Die Lage heute ist genau so wie damals" klagt er. Wenn er aufwacht, höre er die ersten Todesnachrichten. Niemand wisse, was am nächsten Tag passiert. "Wenn ich könnte, würde ich sofort gehen." Ebola hat das noch unmöglicher gemacht.