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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 26.06.2014

Badische Zeitung

Äthiopien verpachtet Agrarflächen an ausländische Investoren

Notwendiger Preis der Entwicklung? Äthiopien verpachtet große Teile seiner landwirtschaftlichen Nutzfläche an ausländische Investoren - Zwangsumsiedlungen inklusive

von Johannes Dieterich

Für die einen ist es eine überzeugende Antwort auf die Ernährungskrise der Welt und ein hervorragendes Beispiel, wie sich die Staaten der südlichen Globushälfte gegenseitig helfen können. Dagegen stellt es für die anderen eine neue, verheerende Form des Kolonialismus dar: Ein Rezept für die endgültige Entmachtung afrikanischer Kleinbauern, den bisherigen Ernährern des Kontinents.

Wenn sich bis zum morgigen Freitag 55 Präsidenten zum Gipfel der Afrikanischen Union (AU) in der äquatorialguineischen Hauptstadt Malabo treffen, um über ihr diesjähriges Leitthema "Landwirtschaft und Ernährungssicherheit" zu beraten, wird ihnen der äthiopische Regierungschef Hailemariam Desalegn das Modell des ostafrikanischen Staates zur Landverpachtung als leuchtendes Exempel präsentieren. Und alles spricht dafür, dass seine Kollegen ihm anhaltenden Beifall spenden werden. Ob zu Recht, ist eine andere Frage.

Äthiopien verpachtete in den vergangenen sechs Jahren landwirtschaftliche Nutzfläche von der Größe Frankreichs an ausländische Investoren. Allein 600 000 Hektar gingen an zehn indische Konzerne, die die Ländereien für Gebühren von einem Dollar pro Jahr und Hektar 99 Jahre lang bestellen dürfen. Im Gegenzug versprechen die indischen Unternehmen, insgesamt fünf Milliarden Dollar zu investieren und der äthiopischen Bevölkerung sowohl Beschäftigung wie das Know-how der Geburtsnation der "Grünen Revolution" zu übertragen.

Der Deal könne den notorischen Hungersnotstand von Grund auf verändern, ist die Regierung in Addis Abeba überzeugt. Schließlich seien 45 Prozent der Fläche des Landes agrarisch nutzbar - doch nur 15 Prozent würden tatsächlich bestellt. In Äthiopiens Gambella-Region an der Grenze zum Sudan sieht man das allerdings anders. Dort leben die Mursi, ein Volk, das sich vor allem von der Rinderzucht ernährt.

Doch um Platz für die geplanten Zuckerrohrplantagen und den von China gebauten riesigen Staudamm Gibe III zu schaffen, werden die Mursi umgesiedelt, in neu gebaute Reißbrettdörfer gesteckt und zum Ackerbau gezwungen: Ihre Traditionen - wozu neben der Viehzucht Stockkämpfe und riesige Unterlippenvergrößerungen zählen - gehörten ohnehin der Vergangenheit an, meint die Regierung in Addis Abeba. Mursi, die sich gegen die Umsiedlung auflehnten, würden schikaniert, eingesperrt und gelegentlich sogar getötet, berichten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und das kalifornische Oakland-Institut. Für sie ein typisches Beispiel für den Umgang Addis Abebas mit Kritikern seines diktatorischen Entwicklungskurses. Derartige Organisationen suchten Äthiopien "in die Steinzeit" zurückzuzerren, hält Regierungssprecher Getachew Reda dagegen: Entwicklung fordere nun einmal ihren Preis.

Tatsächlich wäre es fatal, das Recht der Mursi auf Viehzucht und Unterlippenteller hochzuhalten, wenn Äthiopien anders von Hungersnöten bewahrt bliebe, die in den vergangenen Jahrzehnten Millionen von Menschenleben kosteten. Die Frage ist allerdings, ob die in den Zuckerrohrfarmen der Gambella-Region erwirtschafteten Erträge tatsächlich der lokalen Bevölkerung zugutekommen, also zur Ernährungssicherheit beitragen werden.

Nach Recherchen der Internationalen Landkoalition, eines Zusammenschlusses von rund 100 Nichtregierungsorganisationen und Institutionen wie der Weltbank, wird rund die Hälfte der in den vergangenen Jahren von Konzernen weltweit gepachteten Anbauflächen von mehr als 200 Millionen Hektar für die Produktion von Biodiesel verwendet. Ein Großteil der auf den restlichen Gütern angebauten Nahrungsmittel geht in die Herkunftsländer der Konzerne, die wie Südkorea, Indien oder Saudi-Arabien auf importierte Lebensmittel angewiesen sind. Und ein verhältnismäßig kleiner Teil wird nicht einmal bebaut, sondern für Zwecke der Landsspekulation verwendet.

Der mit weitem Abstand geringste Teil der Erzeugnisse bleibt im Ursprungsland: Hungersnöte sind auf diese Weise also kaum zu vermeiden. "Der Run auf Afrikas Agrarflächen hat nichts mit Hungerbekämpfung zu tun", sagt Michael Taylor von der Landkoalition: "Es geht vielmehr um die Deckung der Energie- und Konsumbedürfnisse in den Industrienationen."

Zu ihrer Verteidigung bringt die Regierung in Addis Abeba die Schaffung von Arbeitsplätzen ins Spiel - allein in Gambella sollen das rund 700 000 sein. Außer durch Gehälter würden die Kleinbauern auch vom neuen Know-how profitieren. Ausgeschlossen sei ferner nicht, dass die Ländereien später verarbeitende Industrie anzögen. Doch solange die Ländereien ausländischem Management und fremder Bedarfsplanung untergeordnet seien, und die einheimischen Kleinbauern ihre - wenn auch wenig effiziente - Selbstständigkeit gegen eine untergeordnete und schlecht bezahlte Einstellung als Farmarbeiter eintauschen müssten, machten die Pachtverträge für die Bevölkerung vor Ort wenig Sinn, wenden die Kritiker ein: Es handele sich, wie zu Kolonialzeiten, um "Landraub".

Falls der Run auf die afrikanische Scholle tatsächlich Entwicklungsfortschritte und Nahrungsmittelsicherheit mit sich bringen solle, sei ein "Wechsel in der Perspektive" erforderlich, urteilt Lorenzo Cotula, Autor des bahnbrechenden Buches "The Great African Land Grab?": "Priorität muss die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung und nicht die bloße Anziehung von Investitionen haben." Dafür sei jedoch erforderlich, dass die jeweiligen Regierungen mit den Konzernen Pachtverträge ausarbeiten, die auch den Menschen vor Ort zugutekämen: Denn unter bestimmten Bedingungen könne das ausländische Kapital und Management der Güter sehr wohl von Vorteil sein.

Allerdings ist zu befürchten, dass es den politischen Eliten in Afrikas Hauptstädten darauf gar nicht ankommt: Sie stecken meist mit den ausländischen Investoren unter einer Decke, aus deren Betriebsamkeit sie ihren Honig saugen.