Beitrag vom 16.06.2014
SWR2
Wie die EU Afrikas Fischversorgung sichert
Mauretaniens Weg zu nachhaltiger Fischerei
Von Thomas Kruchem
Die Europäer haben in der Fischerei einen zweifelhaften Ruf. Jahrzehntelang haben sie vor der Küste Afrikas die Bestände zu fast 90 Prozent überfischt. Doch die jahrelange massive Kritik an der EU-Fischereipolitik beginnt endlich Früchte zu tragen.
Mauretanien ist, wie seine Nachbarstaaten Marokko und Senegal, mit den wohl reichsten Fanggründen der Welt gesegnet. Eine Meeresströmung drückt nahe der Küste kaltes, nährstoffreiches Wasser voller abgestorbener Organismen aus der Tiefe an die Oberfläche. Das beflügelte das Wachstum von Plankton und schafft ideale Bedingungen für große Fischbestände. Doch diese Ressource kann Mauretanien bis heute nur zu einem Bruchteil selbst nutzen. Deshalb überlässt das Land den größten Teil seiner Fanggründe Ländern wie Japan und Russland und vor allem - der Europäischen Union.
Die Europäer haben in der Fischerei allerdings einen zweifelhaften Ruf. Jahrzehntelang haben sie ihre eigenen Bestände zu fast 90 Prozent überfischt; und auch vor Westafrika wüteten sie lange wie der Hecht im Karpfenteich. Edelfische wie der Zackenbarsch sind in den Gewässern des Senegal, zum Beispiel weitgehend verschwunden. Doch die jahrelange massive Kritik an der EU-Fischereipolitik beginnt Früchte zu tragen. Die Anfang 2014 in Kraft getretene "Gemeinsame Fischereipolitik" der EU hat sich radikal der nachhaltigen Fischerei verpflichtet.
Radikale Nachhaltigkeit
Weitere Kernziele der neuen EU-Fischereipolitik sind: Lokale Fischer sollen absoluten Vorrang haben; das Zurückwerfen unbeabsichtigt gefangener Fische, des so genannten Beifangs wird konsequent bekämpft, und die Fischereiüberwachung wurde verschärft - soweit technisch möglich. Im aktuellen Fischereiabkommen mit Mauretanien wird diese Politik praktisch umgesetzt.
Das Abkommen gibt der EU das Recht, in mauretanischen Hoheitsgewässern 340.000 Tonnen Fisch pro Jahr zu fangen. Die Europäer zahlen dafür eine jährliche Pauschale von 70 Millionen Euro und dazu je nach Fischart, zwischen hundert und 800 Euro pro Tonne Fisch. Die Einnahmen machen 15 Prozent des mauretanischen Staatsbudgets aus.
EU darf keinen Tintenfisch fangen
Das Abkommen enthält mehrere für EU-Fischer schmerzliche Bestimmungen: Unter anderem wurde EU-Schiffen der Fang von Tintenfisch verboten, weil der zur wirtschaftlichen Basis kleiner mauretanischer Fischer zählt. Um diese und andere Bestimmungen im Sinne nachhaltiger Fischerei zu erreichen, müssen viele Herausforderungen bewältigt werden. Zum Beispiel die Schätzung der Fischbestände, welche die Grundlage für Fischereimanagement und -quoten liefert. Fischereimanagement kann nur funktionieren, wenn die Fischbestände realistisch geschätzt werden und strenge Gesetze sicherstellen, dass der Managementplan eingehalten wird.
Solche Gesetze hat Mauretanien erlassen - im Gegensatz zu seinen Nachbarstaaten - aber es hapert an der Durchsetzung, an wirksamer Kontrolle. Die weitere, gewaltige Hürde nachhaltiger Fischerei vor Mauretanien heißt "Beifang". Bis heute bestehen 30 Prozent der Fänge von EU-Trawlern aus Meerestieren, welche die Fischer nicht gebrauchen können und deshalb - meist tot oder sterbend - gleich wieder ins Meer entsorgen.
Vögel, Delphine, Haie und Schildkröten ..
Diese sinnlose Vernichtung wertvoller Ressourcen muss ein Ende haben, sagt die neue EU-Fischereipolitik. Künftig sollen die Fischer gezwungen werden, auch ihren gesamten Beifang an Land zu bringen. Und: Er soll auf ihre Quote angerechnet werden. Um dies durchzusetzen, scheut die EU auch vor Maßnahmen wie der Überwachung per Kameras auf den Schiffen nicht zurück.
Ein erheblicher Teil der EU-Fischereiflotte wehrt sich gegen die Gebote der Nachhaltigkeit und streikt seit Anfang 2013. Spanische Schiffseigner streiken gegen das Fangverbot des für sie so lukrativen Tintenfischs; niederländische und deutsche Fischer streiken dagegen, weiter draußen auf See fischen zu müssen, wo sie ihre Fischarten nicht wie gewohnt finden.
Ein Streik, über den man mit den Achseln zuckend hinweggehen könnte. Doch er hat tatsächlich weitreichende Konsequenzen. EU-Trawler vor Mauretanien fischen nämlich schon lange kaum mehr für europäische Konsumenten - sie fischen größtenteils für den Proteinbedarf der armen Bevölkerung Westafrikas; sie helfen, die Ernährung in Westafrika zu sichern. Allein das Land Côte d'Ivoire, die Elfenbeinküste, kauft jährlich mehr als 200.000 Tonnen Fisch aus den Fängen europäischer Trawler vor Mauretanien, sagt Francisco Mari von "Brot für die Welt". Verkehrte Welt: Die EU-Fischerei vor Mauretanien, die bis heute den Ruf besitzt, Afrikas Ressourcen zu plündern, erweist sich auf einmal als nahezu unentbehrlich für die Ernährung Westafrikas.
Europa streikt gegen Europa
Zu den streikenden Fischern vor Mauretaniern zählen übrigens auch russische Schiffseigner. Weil sie - gemäß dem Abkommen zwischen der EU und Mauretanien - nicht billiger fischen dürfen als die EU-Flotten, müssen Russen jetzt 360 Euro pro Tonne der in Russland beliebten Holzmakrelen zahlen. Zu viel, sagen auch unabhängige Experten. Hat die EU also mit ihrer gut gemeinten Fischereipolitik am Ende überzockt und wird sie diese Politik vielleicht kläglich wieder einsammeln müssen? Andere Fischereipartner Mauretaniens machen ohnehin was sie wollen - ohne dass die Regierung dagegen einschreitet.
Ahmed Moktar Koubah, der Sprecher des Fischereiministeriums, widerspricht: Wir haben ein Konzept für unsere Fischereipolitik, meint er, und zwar, die Fischerei seines Landes immer stärker zu mauretanisieren. Es sollen mehr eigene Fangboote und Personal eingesetzt werden und mehr Fisch im eigenen Land verkauft werden.
Eine anspruchsvolle Aufgabe: Große Fangboote müssen gekauft, qualifizierte Besatzungen und Fabrikarbeiter ausgebildet; Werften müssen in die Lage versetzt werden, Trawler zu warten und zu reparieren. Fisch verarbeitende Fabriken und Kühlketten in Exportländer müssen entstehen. Geld dafür wäre da - wenn Mauretanien seine Einnahmen aus der EU-Fischerei in die Modernisierung der eigenen Fischerei investieren würde. Tatsächlich aber fließt bis heute nur sehr wenig der EU-Fanglizenzen überhaupt in den Aufbau der mauretanischen Fischerei. Das Geld verschwinde in dunklen Kanälen, klagen Experten. Und die wenigen Modellprojekte der Fischerei wurden aus Entwicklungshilfe finanziert - die 1991 gegründete Marine- und Fischereischule in Nouadhibou, zum Beispiel.
Kleine Insel der Glücklichen
65 Schüler hat die Fischerei- und Marineschule in Nouadhibou. Sie gilt als eine der besten in Afrika und erwirtschaftet eigenes Einkommen, indem sie - gegen Schulgebühren - Fachleute für den ganzen Kontinent ausbildet. Eine Insel der Glücklichen. Außerhalb dieser Schule jedoch arbeiten Mauretaniens Fischer fast ausschließlich mit einfachsten handwerklichen Methoden.
In den letzten zehn Jahren ist die heimische Fangflotte rasant gewachsen - von hundert auf fast 8.000 Pirogen oder offene Boote. Eine de facto wenig regulierte Fischerei, die inzwischen Fischbestände und Umwelt kaum weniger gefährdet als die industrielle Fischerei.