Beitrag vom 29.08.2013
Finanz und Wirtschaft, Zürich
Afrika muss unter Strom stehen
Wolfgang Drechsler, Kapstadt
« Gegenwärtig verfügt nur einer von vier Afrikanern über Strom. Ausserhalb der Städte ist die Zahl mit 15% sogar noch viel geringer. »
Der Kontinent erzeugt viel zu wenig Elektrizität. Dies verursacht Kosten und bremst das Wirtschaftswachstum. Ein Kommentar von Wolfgang Drechsler.
Aus dem Weltraum betrachtet, ist Afrika in der Nacht genauso dunkel wie das menschenleere Sibirien oder der arktische Norden von Kanada. Mit seinen rund 1,2 Mrd. Menschen beherbergt der schwarze Kontinent inzwischen zwar fast 17% der Weltbevölkerung, aber erzeugt weniger als 5% der globalen Elektrizität. Rund drei Viertel seines Stroms werden zudem in Südafrika und dem arabischen Norden des Kontinents verbraucht. Rechnet man mit Südafrika das einzige Industrieland Afrikas heraus, produzieren die 48 Staaten südlich der Sahara nach Angaben der Weltbank zusammen gerade einmal so viel Strom wie Argentinien.
Seit langem gibt es deshalb immer wieder Bestrebungen, die Stromerzeugung in Afrika massiv zu erhöhen. Die jüngste Initiative kam Ende Juni von US-Präsident Barack Obama. Auf seiner ersten grösseren Afrikareise seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren präsentierte Obama dort einen Plan mit dem Namen «Power Africa». Dieser verspricht über die nächsten fünf Jahre Finanzhilfen von 7 Mrd. $ für die Entwicklung erneuerbarer Energien. Das Geld soll Afrika helfen, die Zahl der bisherigen Stromanschlüsse bis etwa 2020 zu verdoppeln. Gegenwärtig verfügt nur einer von vier Afrikanern über Strom. Ausserhalb der Städte, wo noch immer die weitaus meisten Menschen leben, ist die Zahl mit 15% sogar noch viel geringer. Kaum etwas bremst die Wirtschaftsentwicklung des Kontinents mehr als der eklatante Mangel an Elektrizität.
Kraftwerk am Kongo steht - still
Bislang sind alle Versuche, endlich mehr Strom zu erzeugen, jedoch kläglich gescheitert, allen voran der Ausbau des gigantischen Wasserkraftwerks Inga am Unterlauf des Kongo-Flusses. Seit über dreissig Jahren soll das 1982 hier von Siemens vollendete, jedoch seitdem nie mehr richtig gewartete Kraftwerk massiv erweitert werden und soll dann bis zu 40'000 Megawatt (MW) produzieren, womit es rund die Hälfte des derzeitigen Strombedarfs in Afrika decken würde. Gegenwärtig laufen jedoch nur noch drei der ursprünglich vierzehn Turbinen und erzeugen kaum 500 Megawatt - ein Bruchteil der ursprünglichen Leistung von 1700 MW. Kein Wunder, dass nur 5% der Kongolesen heute Strom haben und selbst die nur 200 Kilometer entfernte Hauptstadt Kinshasa oft im Dunkeln liegt. Dennoch sind bislang weder die auf 9 Mrd. $ geschätzte Erweiterung des Kraftwerks noch die Modernisierung der 3000 Kilometer langen Hochspannungsleitung nach Südafrika in Angriff genommen worden. Korruption, Kriege und eine alles erstickende Bürokratie haben die Umsetzung der Pläne genauso verhindert wie permanente Rechtsstreitigkeiten. Dass dem jüngsten Vertragsabschluss zwischen dem Kongo und Südafrika über einen Ausbau von Inga mehr Erfolg beschieden ist, darf bezweifelt werden.
Einige Kritiker haben die jüngste Initiative des US-Präsidenten als eine Subvention der eigenen Energiekonzerne bei ihrem Vordringen nach Afrika abgetan, was sie zum Teil wohl auch ist. Allerdings könnte die von Obama nun in Aussicht gestellte Versicherung der Risiken privater Investoren bei deren Mitarbeit an Stromprojekten in Afrika aber doch einen Unterschied machen, zumal sich der Privatsektor in Afrika bislang als weit effizienter als viele Hilfsorganisationen oder die internationalen Finanzinstitutionen erwiesen hat. Dies zeigt auch das Engagement einer Anzahl kleinerer US-Unternehmen im Bau von Windgeneratoren. Daneben will Obama mit seiner Initiative die Entwicklung dezentraler Stromnetze in ländlichen Gebieten forcieren, besonders in Ost- und Westafrika.
Generatoren-Republik Nigeria
Welch verheerende Folgen das Fehlen von Investitionen afrikanischer Regierungen in die Stromversorgung hat, zeigt sich in Nigeria, der nach Südafrika zweitgrössten Volkswirtschaft in Schwarzafrika. Obwohl der westafrikanische Ölproduzent mit 165 Mio. Menschen das mit Abstand bevölkerungsreichste Land des Kontinents ist, produziert er nur ganze 5% des Stroms, den Brasilien für seine 190 Mio. Einwohner generiert. Daran dürfte auch die nun geplante Privatisierung des völlig ineffizienten staatlichen Stromsektors auf absehbare Zeit kaum etwas ändern. «Nigeria wird wohl noch mindestens fünfzig Jahre brauchen, um in puncto Stromversorgung zu Südafrika aufzuschliessen, das gegenwärtig zehnmal mehr Energie erzeugt - und dennoch selbst von Stromengpässen geplagt wird», sagt David Lapido, dessen Unternehmen in Nigeria im Stromsektor aktiv ist. Während Nigerias Regierung noch immer davon träumt, die Stromerzeugung von derzeit mickrigen 4500 MW auf (illusorische) 40'000 MW im Jahr 2020 zu steigern, glaubt Lapido, dass bis dahin allenfalls eine Verdoppelung auf 9000 MW möglich sei, zumal die Privatisierungspläne seit Jahren feststecken.
Wenn es Nigeria eines Tages gelänge, seine chronischen Stromausfälle spürbar zu verringern, würden die Kosten für die Geschäftswelt nach Ansicht der Weltbank rapide um bis zu 40% fallen und das Land pro Jahr um bis zu 3% mehr wachsen. Derzeit fliessen in Nigeria jedes Jahr allein rund 13 Mrd. $ in den Import von Dieselöl, das zum Betrieb von Generatoren benötigt wird. Chidi Amuta, ein langjähriger Beobachter des Landes, hat Nigeria wegen seiner ständigen Stromausfälle «Generatoren-Republik» getauft, weil keine andere Wirtschaft der Welt mehr auf diese Geräte angewiesen ist. Für Nigeria gelte das Gleiche wie für den übrigen Kontinent, glaubt Amuta: Beide würden noch auf Jahre in einen schier aussichtlosen Kampf mit der Dunkelheit verstrickt bleiben.