Beitrag vom 18.07.2013
FOCUS Online
Schwester des US-Präsidenten: "Afrika muss aus seiner Opferrolle herauskommen"
von FOCUS-Online-Korrespondentin Martina Fietz und FOCUS-Online-Redakteurin Susanne Klaiber
Auma Obama mag das Wort Entwicklungshilfe nicht. Und auch nicht die Haltung, die dahintersteht. Die Halbschwester des US-Präsidenten fordert im FOCUS-Online-Interview vom Westen Zusammenarbeit auf Augenhöhe - und von den Afrikanern, ihre Opferrolle abzulegen.
Auma Obama ist eine Idealistin. Aber keine Traumtänzerin. Wenn die Halbschwester des US-Präsidenten - die 16 Jahre in Deutschland gelebt und hier in Germanistik promoviert hat - über ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Afrika spricht, sprudeln die Ideen, die Geschichten, die Erfahrungen. Und wenn die Zeit knapp wird, was sie oft wird bei ihr, dann redet sie immer schneller. Sie weiß das und entschuldigt sich vorsichtshalber schon mal vorher dafür. Aber die Botschaft der Kenianerin ist klar: Entwicklung funktioniert nur über Zusammenarbeit. Über Anstand und Anstrengung. Auf beiden Seiten.
FOCUS Online: Sie sagen Philanthropie, Menschenliebe, sei eine Hürde für Entwicklung. Eine ziemlich provokante These.
Auma Obama: Ich habe nichts gegen Philanthropie. Aber sie kann manchmal eine Hürde für eine wirklich nachhaltige positive sozio-ökonomische Entwicklung sein. Um benachteiligte Menschen langfristig und nachhaltig zu unterstützen, darf man sie nicht in finanzielle Abhängigkeit bringen. Diese Menschen brauchen kein Mitleid, keine Hilfe aus einer Position der Stärke heraus - sondern Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Anerkennung als Teil der Wertschöpfungskette in einer vernetzten Welt.
FOCUS Online: Sie haben selbst eine Stiftung für afrikanische Kinder und Jugendliche gegründet, Sauti Kuu (Starke Stimmen). Was machen Sie anders als viele Hilfsorganisationen?
Obama: Bei vielen benachteiligten Kindern und Jugendlichen gibt es eine starke Opfermentalität. Sie müssen lernen, dass sie das Recht haben auf ein besseres Leben - und dass sie selbst etwas dafür tun können und müssen. Sie müssen von der Haltung wegkommen, dass sie wieder im Elend versinken, sobald die Hilfe von außen wegbricht. Menschen können bedürftig sein, hilflos sind sie deswegen noch lange nicht. Eine Haltung, die viele Hilfsprojekte leider befördert haben.
FOCUS Online: Wie trainieren Sie das Selbstvertrauen der Kinder?
Obama: Wir nutzen Sport, um ihnen zu zeigen, dass sie als Person wichtig sind als Teil eines Teams oder eine Mannschaft. Wir nutzen Theater, Musik und Tanz, um ihnen zu zeigen, wie sie sich ausdrücken und sich darstellen können. Sie kommen sich selbst näher. Wir üben, wie man debattiert. Wir trainieren Persönlichkeit und Charakter. Was nützt es mir, wenn ich intellektuell gut bin, aber nicht mit anderen umgehen kann und mich nicht behaupten kann?
FOCUS Online: Welchen Wert hat dann die Schulbildung?
Obama: Bildung ist sehr wichtig. Sie ist die Basis, worauf zukünftige Erfolge aufbauen. Die Jugendlichen müssen einen Schulabschluss haben. Man muss die Kinder und Jugendlichen aber auch so lange begleiten, bis sie erwachsen sind und in der Lage, finanziell unabhängig zu sein. Dafür braucht man Zeit und Flexibilität. Das geht nicht mit einem Modell, das durch befristete Geldspenden bestimmt ist, sondern mit einem stabilen, langfristigen Programm.
FOCUS Online: "Hilfe zur Selbsthilfe" ist eine Komponente der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Obama: Wie Sie wissen, versuche ich, das Wort "Hilfe" zu vermeiden. Damit Projekte Erfolg haben können, braucht es vor allem zwei Dinge: Erstens muss man im Dialog herausfinden, was die Menschen wirklich brauchen. Bevor man - aus der eigenen Vorstellung von dem, was die Menschen am nötigsten brauchen - den Menschen das Fischen beibringt, sollte man sie erst einmal fragen, ob sie überhaupt Fisch essen. Zweitens müssen es Projekte nicht für, sondern von den Afrikanern sein.
FOCUS Online: Wie meine Sie das?
Obama: Wir haben zum Beispiel bei einer Familie eine Biogasanlage gebaut. Die Jugendlichen waren von Anfang bis Ende bei der Entwicklung dabei und haben ihre Ideen eingebracht. Die Anlage hat leider nur kurz richtig funktioniert und wir mussten weiter daran arbeiten. Deswegen ist das Projekt aber nicht gescheitert. Mit den Jugendlichen zusammen wird jetzt weiter an einer Verbesserung der Anlage gearbeitet. Hier wiederum braucht man Zeit und Flexibilität. Nur so kommt bei den Jugendlichen das Gefühl auf, dass das Projekt ihnen gehört und die Anlage wirklich von ihnen kommt. Sie übernehmen dadurch auch für die Zukunft die Verantwortung für die Anlage und können sie auch reparieren, falls es notwendig ist.
FOCUS Online: Wir diskutieren hier über Quote und Gleichberechtigung in Führungsetagen. Was sind die Probleme der Frauen in den Ländern, die Sie betreuen?
Obama: Viele der Probleme sind ähnlich wie bei den Jungen und Männern. Aber man muss die Frauen mehr fördern, weil sie immer einen Schritt zurücktreten und den Männern den Vortritt geben, wenn sie mit ihnen zusammentreffen. Sie müssen erkennen, dass sie die gleichen Rechte haben und dafür kämpfen müssen.
FOCUS Online: Wie wichtig sind die neuen Kommunikationsmittel für Afrika?
Obama: In vieler Hinsicht ein Segen. Fast jeder hat dort ein Mobiltelefon. Es wird nicht nur zur Unterhaltung benutzt. Es wird auch gebraucht, um Geschäfte zu machen, um im Agrar- und Gesundheitswesen Information zu verteilen. Im Telefonbanking - übrigens eine Erfindung aus Kenia - sind wir Afrikaner Vorreiter. Da sind wir den Europäern weit voraus. Wir nutzen die neuen Medien auch sehr stark, um uns über die Vorgänge auf der Welt zu informieren. Meiner Erfahrung nach wissen Afrikaner häufig sehr viel mehr über Europa und Amerika als diese über Afrika.
FOCUS Online: Wie sehr hilft Ihnen Ihr Name bei der Arbeit?
Obama: Sie interviewen mich. Das würden Sie vielleicht sonst nicht tun. Ich bin mir bewusst, dass mein Name mir einen Plattform verschafft, die ich dazu nutze anderen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, eine Stimme zu geben. Es ist eine große Verantwortung und ich weiß es zu schätzen.