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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 15.08.2011

FAZ

Aus dem Teufelskreis
Von Thomas Scheen

Es ist ein Skandal, dass Menschen im 21. Jahrhundert vom Hungertod bedroht sind wie derzeit in Kenia, Äthiopien und Somalia - allerdings einer, den sich die Regierungen jener Länder selbst zurechnen müssen. Beispiel Kenia: Dort sind nach Angaben des Roten Kreuzes etwa drei Millionen Menschen von der jüngsten Lebensmittelkrise betroffen. Diese Zahl kennt die kenianische Regierung seit mehr als acht Monaten. Mehr noch: Das Ausbleiben von Regenfällen in den beiden zurückliegenden Jahren war kaum zu ignorieren. Vorsorge wurde bestenfalls halbherzig getroffen.

Heute weist Nairobi jede Schuld mit dem Hinweis von sich, die Lebensmittelpreise seien stark gestiegen. Deswegen sei es unmöglich, Nahrung in großen Mengen zu kaufen. Im Westen des Landes aber verrottet die Ernte auf den Feldern, weil der katastrophale Zustand der seit Jahrzehnten vernachlässigten Straßen es nicht erlaubt, die Waren rechtzeitig auf den Markt zu bringen. "Trockenheit ist eine Strafe Gottes. Hunger aber ist von Menschen verursacht", sagt der kenianische Antikorruptionsguru John Gitongo dazu.

Der Befund aus Kenia lässt sich ohne Abstriche auf Äthiopien übertragen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sollen dort 4,5 Millionen Menschen auf Lebensmittellieferungen angewiesen sein. Verschärft wird deren Lage zusätzlich durch die Gesetze. Privater Landbesitz ist in Äthiopien nicht erlaubt, folglich kann auch kein Bauer sein Land beleihen, um Kredite zu erhalten und zu investieren. Saatgut wird vom Staat verteilt, und das oftmals nach politischen Gesichtspunkten. Es ist auffällig, dass die regelmäßig wiederkehrenden Meldungen über Hunger in Äthiopien meist aus Ogaden stammen, der aufmüpfigen Region im Osten des Landes.

Befeuert wird die Lebensmittelkrise in beiden Ländern durch ein Phänomen, das nur allzu gerne ignoriert wird: das explosionsartige Bevölkerungswachstum. Die kenianische Bevölkerung wächst im Schnitt um eine Million Menschen im Jahr. In dem von der Dürre heimgesuchten Norden des Landes liegt die Fruchtbarkeitsrate bei 6,8 Kindern je Frau. Äthiopien ist mit mehr als 80 Millionen Einwohnern nach Nigeria inzwischen die bevölkerungsreichste Nation Afrikas und wächst weiter. Gleichzeitig aber verharrt die heimische Nahrungsmittelproduktion auf Steinzeitniveau. Zudem werden die Parzellen immer kleiner, je mehr Kinder erben.

Die einzige Chance, diesen Teufelskreis aus Bevölkerungswachstum und gleichzeitig schrumpfenden Ressourcen zu durchbrechen, liegt in der Bildung. Nur ausgebildete Menschen können mit Bewässerungssystemen umgehen, kennen den Nährstoffgehalt von Böden und ermessen die katastrophale Wirkung von Rinderherden auf fragile Ökosysteme. Im Norden Kenias aber liegt die Einschulungsrate mangels Durchsetzungsfähigkeit der Regierung bei 22 Prozent. Mit anderen Worten: 78 Prozent der Heranwachsenden sind Analphabeten und haben deshalb keine andere Möglichkeit, als den Beruf ihrer Eltern zu ergreifen und noch mehr Rindviecher so lange über die ohnehin ausgelaugten Böden zu treiben, bis die Herden verdursten, die Menschen Not leiden und der Motor der westlichen Hilfsindustrie anspringt, um die Regierungen wieder einmal von der Aufgabe zu entbinden, sich endlich Gedanken darüber zu machen, wie sie ihre Länder in die Moderne führen können.

Kenia und Äthiopien haben immerhin noch Regierungen, die unter Druck gesetzt werden können. Von Somalia kann man nicht einmal das sagen. Das Land nimmt daher in der gegenwärtigen Krise eine Sonderrolle ein. So zynisch es klingen mag: Die Hungersnot in Somalia hilft dem Land, weil die schrecklichen Bilder aus Mogadischu die weltweite Aufmerksamkeit auf den Zustand des Landes lenken und damit auf den barbarischen Krieg der radikal-islamischen Shabaab-Miliz gegen die eigene Bevölkerung. Man kann darüber streiten, ob Ländern wie Kenia und Äthiopien wieder einmal aus der selbstgegrabenen Grube geholfen werden muss. In Somalia stellt sich diese Frage nicht. Dort muss geholfen werden, allerdings nicht so, wie es den Hilfsorganisationen vorschwebt, nämlich Lebensmittel selbst in die Gebiete zu liefern, die von al Shabaab kontrolliert werden. Will die Welt in einigen Jahren nicht wieder darüber debattieren, wie einer hungernden Nation im Herrschaftsbereich islamistischer Terroristen geholfen werden kann, müssen die Terroristen eliminiert werden.

Der Zeitpunkt dafür ist günstig. Die Bärtigen sind militärisch geschwächt und haben durch Zwangsrekrutierungen und das Zurückhalten von Hilfsgütern das bisschen Kredit verspielt, das sie in der Bevölkerung genossen haben. Mit der afrikanischen Friedenstruppe Amisom steht zudem das geeignete Instrument bereit, den Spuk von al Qaida am Horn von Afrika zu beenden. Es fehlt nur an Geld. Mit 100 oder 200 Millionen Euro ließe sich dank Amisom in Somalia eine politische Wende herbeiführen, die für Frieden und vielleicht sogar Versorgungssicherheit sorgen würde. Das entspricht der Summe, die das Ernährungsprogramm der UN jedes Jahr für Hilfslieferungen nach Somalia ausgibt. Ohne Erfolg, wie man gerade sieht.