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Pour une autre politique de développement!

Beitrag vom 24.09.2009

Die Zeit

Und das soll helfen?
In Deutschland wie in den USA ist der Streit um Sinn und Nutzen der Entwicklungspolitik neu entbrannt

Meistens ist Bob Geldof ein ziemlich selbstbewusster Typ. Außer es fällt der Name einer jungen Frau aus Sambia. Wenn jemand von Dambisa Moyo spricht, vergisst Sir Geldof seine guten Manieren. Die Dame arbeite nun mal bei der amerikanischen Großbank Goldman Sachs, schnappte Geldof jüngst in Berlin ins Mikrofon, und die Bank habe »gerade die Welt ruiniert«. Ansonsten sei Frau Moyo »hübsch, und das kommt eben gut rüber«.

Dambisa Moyo hat den Rockveteranen an einem wunden Punkt getroffen. Der Titel ihres Bestsellers Dead Aid karikiert die von Geldof ausgerichteten Live-Aid-Konzerte, bei denen Millionen Menschen gegen das Elend in der Dritten Welt protestierten. Als »tote Hilfe« bezeichnet die Ökonomin aus Sambia in ihrem Buch die staatlichen Millionen, die der Norden in den Süden überweist. Sie nützten nichts, aber schadeten viel. Ihre Attacke hat mitgeholfen, eine Debatte über den Sinn und Unsinn von Entwicklungspolitik weltweit neu zu entfachen.

In dieser Woche spielt das eine große Rolle. Denn in Pittsburgh beschwören die mächtigsten Regierungschefs der Welt auf dem G-20-Gipfel zwar wieder einmal die globale Solidarität. Doch auf der UN-Generalversammlung in New York werden danach alle zugeben müssen: Die sogenannten Millenniumsziele - eine Sammlung von Versprechen zur Hunger- und Armutsbekämpfung, auf die sich die Staatengemeinschaft zu Beginn des Jahrtausends geeinigt hatte - werden so schnell nicht erreicht. Im Gegenteil: Über eine Milliarde Menschen hungern, mehr denn je. Es wird noch schlimmer kommen, weil viele Regionen der Welt dramatisch unter dem Klimawandel leiden. Für Helmut Asche, Afrikaexperte in Leipzig, macht das staatliche Entwicklungshilfe in »völlig neuer Größenordnung erforderlich«.

Doch ob das wirklich hilft? Nicht nur Moyo hat diese Debatte neu belebt, auch hierzulande melden sich neuerdings lautstarke Zweifler zu Wort. Volker Seitz, ein ehemaliger deutscher Botschafter in mehreren afrikanischen Ländern, bescheinigte der internationalen Hilfsgemeinde in einem neuen Buch eine düstere Bilanz. »Afrika wird arm regiert«, lautet seine These. Auch eine Gruppe um Rupert Neudeck, den Gründer des Komitees Cap Anamur, beklagt das Scheitern der staatlichen Entwicklungspolitik: Ihr Bonner Aufruf forderte eine Neuorientierung, »weg« von staatlichen Partnern.

Unterstützt werden die Herren vom entwicklungspolitischen Sprecher der FDP, Karl Addicks, dem Menschenrechtskämpfer und ehemaligen Innenminister Gerhart Baum, dem Ex- Staatsminister im Auswärtigen Amt Werner Hoyer, Helmut Kohls ehemaligem Berater Joachim Bitterlich und einer Reihe von Auslandskorrespondenten und Entwicklungshelfern.

Weniger für Hilfe auszugeben ist in der Krise eine willkommene Aussicht.

Sie sind enttäuscht, Rupert Neudeck sagt »traurig«, dass Entwicklung vor allem in Afrika länger dauere, als sie einst angenommen hätten. Dass es immer noch Armut gibt. Dass der Norden mit seinen Hilfsprogrammen zwar so manches anstoßen, aber anderen Gesellschaften Weg und Ziel nicht vorgeben kann. Waren sie gar, wie Neudeck es formuliert, »Mittäter« eines illusionären Wirkens?

Solche Verallgemeinerungen sorgen allerdings für Schlagzeilen, seit es Entwicklungspolitik überhaupt gibt. Schon in den sechziger Jahren schimpfte die Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Gelder, »die wir uns vom Munde absparen«, tauchten in Form »goldener Betten« der korrupten Eliten wieder auf. In den siebziger Jahren brachte es der libertäre britische Ökonom Peter Thomas Bauer bis zum Eintrag ins Oxford Dictionary of Political Quotations mit dem Satz: »Durch Entwicklungshilfe unterstützen die Armen in den reichen Ländern die Reichen in den armen Ländern.«Und in Deutschland machte in den Achtzigern Brigitte Erler, damals Generalsekretärin von amnesty international, mit dem Buch Tödliche Hilfe Furore.

Die neue Kritik entspringt indes aus neuen Quellen. Man hat sie wohl ein wenig satt, die Kino- und Rockstars, die Millionen sammeln und sich dabei selbst inszenieren (»Wir« retten den Schwarzen Kontinent!). Allzu oft erlagen Regierungen des Nordens zudem dem Machbarkeitswahn, versprachen zu viel und setzten unrealistische Ziele, wie und bis wann das Elend ausgerottet werden sollte.

Manchem Finanzminister käme es angesichts der immensen Verschuldung nach der Bankenkrise womöglich auch ganz gut zupass, wenn er in seinem Haushalt ein paar Posten streichen könnte. Und dann ist da noch China: Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren massiv auf dem Schwarzen Kontinent investiert - was alles andere als eigennützig war, aber eine jüngere Generation aus Afrika dazu veranlasste, westliche Hilfskonzepte mit all ihren Auflagen abzulehnen.

Am Pranger der neuen Kritiker stehen - wie schon früher - vor allem die Eliten im Süden: Wegen der dortigen Herrscher, heißt es, versickerten viele Milliarden; sie trügen Verantwortung für Afrikas Misere. Sie seien süchtig nach dem leichten Geld, ihnen mangele es an »Eigeninitiative«, sie blockierten die »Selbstheilungskräfte«. Und Geschichten wie die von Bokassas Palast oder Mugabes Geburtstagspomp, von Verschwendung und Vetternwirtschaft sind ja keine Erfindungen.

Eine neue Entwicklung ist, dass solche Kritik auch im Süden selbst immer häufiger artikuliert wird. 1991 war die Ökonomin Axelle Kabou aus Kamerun noch allein, als sie die schwarzen Eliten angriff. Jetzt wettert auch der Journalist Andrew Mwenda aus Uganda gegen das »internationale Kartell der guten Absichten« und schwarze Politiker, die sich nicht mit einheimischen Unternehmern an einen Tisch setzten, sondern lieber mit Delegationen von IWF und Weltbank. In Ghana fordert George Ayittey, dass die »Nilpferde« in den afrikanischen »Vampirstaaten« von einer neuen, unabhängigen Generation dynamischer »Geparden« abgelöst werden müssten.

Märkte und Graswurzelbewegungen können nicht alle Probleme lösen.

Auch diese afrikanischen Kritiker sehen wie Dambisa Moyo, die in den USA lebt, als probates Gegenmittel gern private Gruppen und Organisationen und »den Markt«. Doch zugleich kämpfen einige von ihnen sehr mutig und unter Einsatz ihres Lebens für eine bessere Politik der Regierungen.

Und dass sich immer mehr Graswurzelorganisationen und Hilfsunternehmen aus Europa und den USA um die Entwicklungsarbeit kümmern, registriert die Weltbank- Managerin, Vorreiterin der Antikorruptionsbewegung und frühere nigerianische Finanzministerin Ngozi Okonjo-Iweala zwar »dankbar« - aber auch »besorgt«. Denn manche dieser Wohlmeinenden kämen ihr in Afrika wie »erstmals auf Entdeckungsreise« vor. Manchmal frage sie sich, »ob sie ihre Gelder immer richtig kanalisieren«.

Das sehen selbst einige der Nichtregierungsorganisationen inzwischen so: Auch sie haben gelernt, dass man nicht alle Probleme durch Graswurzelaktivitäten lösen kann.

»Afrika braucht starke Staaten«, sagt Paul Bendix von Oxfam und sieht auch keinen Widerspruch darin, dass seine Organisation vor allem kleine, private Initiativen unterstützt. »Sie werden dann die Regierungen kontrollieren«, meint er. Man lerne doch im Norden durch die Finanzkrise gerade selbst, dass Staaten nur durch starke Institutionen stabil blieben - auch deshalb müsse moderne Entwicklungshilfe bei deren Aufbau helfen.

Dass Regierungen in den armen Ländern nicht immer unseren Idealvorstellungen entsprechen, findet Christian von Haldenwang vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn gar nicht erstaunlich. Dummerweise seien die Partner der Entwicklungszusammenarbeit eben meist Teil des Problems - und zugleich Teil der Lösung. »Mit den Staaten, die Unterstützung am dringendsten brauchen, kann man nicht vernünftig zusammenarbeiten, und die Staaten, mit denen Zusammenarbeit problemlos möglich wäre, brauchen wir nicht mehr zu unterstützen.«Das sei das ewige Dilemma der Entwicklungspolitik. »Am liebsten wäre uns wahrscheinlich ein Partnerland mit den Armutsindikatoren von Zimbabwe und der öffentlichen Ausstattung von Dänemark«, so der Politologe. In einem solchen Land aber könnte man die Zahlungen wohl tatsächlich einstellen. Bei den anderen indes nicht.

Zahlungen einstellen? »Dead wrong«, findet das auch Bob Geldof, »total falsch« - und bietet gegen die Dambisa Moyos dann doch mehr als nur beleidigtes Macho-Getue. Die Kampagnenorganisation ONE, die er gemeinsam mit Bono, den Toten Hosen und anderen Stars unterstützt, legte kürzlich auf 20 Seiten eine scharf argumentierende Gegendarstellung vor. Geld und Rat aus dem Norden hätten die Regierenden im Süden mitnichten immer daran gehindert, Reformen aufzuschieben, wie es zum Beispiel der Bonner Aufruf behaupte.

Wie sonst sei zu erklären, dass es heute 18 Demokratien (statt wie 1998 drei) auf dem Kontinent gebe?Dass Botsuana und drei weitere afrikanische Länder beim Korruptionsbericht von Transparency International besser dastehe als Griechenland und Italien im »gut regierten« Europa?Dass die Zahl gewalttätiger Konflikte in Afrika schrumpfe und die Wirtschaft mancherorts wachse?Oder dass nach den Schuldenerlassen für einige der ärmsten Länder 34 Millionen Kinder mehr in die Schule gehen würden als 1999?Kurz: dass es eben doch Entwicklung gebe.

Die Kritiker arbeiteten sich an einer Politik ab, die so gar nicht mehr vertreten werde, moniert auch die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Heute sei weniger Einzelprojekte als »globale Strukturpolitik« gefragt, und die Förderung eigener Initiativen der Empfängerländer bei vielen staatlichen Programmen selbstverständlich. Und selbst wenn Geld direkt in die Haushalte der armen Länder fließe, werde das an strenge Bedingungen geknüpft.

Der Politologe Reinhard Stockmann, ein profunder Kenner der Szene, geht in der Kritik der Kritiker noch einen Schritt weiter. Sie übersähen bei ihrem Frontalangriff die viel wichtigere Aufgabe: den Norden an seinen eigenen Ansprüchen zu messen. Zwar werde in der Entwicklungspolitik so viel begutachtet wie in keinem anderen Feld. Doch in der Regel evaluiere man nur den Süden, kenne also dessen Fehler genau. Was hingegen die Spender und Helfer aus dem Norden falsch machten, das wollten die Geldgeber meist doch nicht so genau wissen.

Auch in Deutschland nicht. Hier ist beispielsweise schon in zwei Legislaturperioden der Versuch der Entwicklungsministerin gescheitert, die beiden staatlichen Hilfsagenturen, also Teile der Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, zu fusionieren. Denn natürlich sind die Doppelstrukturen teuer und unsinnig. Zudem mangelt es nicht nur in Deutschland an Koordinierung, auch die Regierungen des Nordens sprechen sich nicht gut ab. Dabei haben die OECD-Länder in der Pariser Erklärung längst die bessere Zusammenarbeit vereinbart.

Und auch die gebrochenen Versprechen des Nordens sind ein heikler Punkt, den die Kritiker gern vergessen. Sie schimpfen über verpuffte Riesensummen, die angeblich nach Süden flössen. Nur wo fließen sie denn?Immer wieder haben die Regierungen der Reichen viel angekündigt und wenig gehalten.

Statt bei den vor fast vier Jahrzehnten angekündigten 0,7 Prozent des Sozialprodukts für die Armen liegen die OECD- Staaten gerade mal bei 0,25 Prozent. In absoluten Zahlen kommen da zwar rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die weltweite Entwicklungspolitik zusammen. Pro Kopf bleiben für jeden Afrikaner gerade 17 Euro im Jahr an Hilfe aus dem Norden - allein eine europäische Kuh bekommt etwa zwei Euro an EU-Subventionen.

»Wenn ein Haus brennt, man einen Eimer Wasser hineinschüttet und damit nichts löscht, behauptet man ja auch nicht, dass Wasser Feuer nicht löschen kann«, kommentiert Sergius Seeboom von ONE. Denn anhand der Zahlen kann man auch schlussfolgern: Die Entwicklung des Südens ist teils gescheitert, weil zu wenig Geld fließt.

Hinzu kommt, dass Armut aus mehreren Gründen zunimmt: mal wegen der Folgen des Klimawandels, mal wegen der Finanzkrise, schwankender Rohstoffpreise, undurchsichtig- korrupter Verwaltungen oder neuer Handelsbarrieren des Nordens.

Angesichts solch vielfältiger globaler Einflüsse hält der Oxford-Ökonom Paul Collier es denn auch für zweifelhaft, Afrikas Probleme vor allem der Entwicklungshilfe anzulasten. Die sei doch eher »eine Nebenveranstaltung«, schreibt er in seiner Rezension über Dead Aid . Präzise zu messen sei der Zusammenhang zwischen Hilfe und Entwicklung im Übrigen kaum, die Erforschung »offen gesagt, chaotisch«.

Der Mann war immerhin Lehrer von Dambisa Moyo. Doch offensichtlich hat sie den Teil seiner Vorlesung wohl vergessen - vielleicht weil man daraus keinen Bestseller basteln kann.