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Pour une autre politique de développement!

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mar, 17 Nov 2009 - 13:05

Dr. Martin Schneiderfritz, Natitingou, Bénin
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Leserstimme zu : Volker Seitz, "Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann".

Statt einer Einleitung : Zur Kritik von Volker Seitz' Buch, Afrika wird armregiert oder wie man Afrika wirklich helfen kann:

Sehr seltsam: Da wird der interessanteste Vorteil des Buches, seine Ausrichtung an und Untermauerung durch die "Fronterfahungen" eines kompetenten, an entwicklungspolitisch und
- praktisch massgebender Stelle teilnehmenden Beobachters, von mancher Kritik just ins Negative-Naive gedreht: Ein Beispiel : "Seitz' Buch bietet lediglich eine Sammlung von Gedankensplittern, die er offenbar in den vergangenen Jahren zu Papier gebracht hat", meint z.B. Tillmann Eliesen in "Welt-Sichten", 8-2009. Nanu, hat gerade das bisher nicht gefehlt? Nämlich der jahrelange, vor Ort aus praktischer Anschauung schöpfende "Aufschrieb" von Entwicklungsleistungen, und deren der Politik und Praxis in den Empfänger- und den Geberländern zuzurechnenden, begrenzten oder ausbleibenden Wirkungen?

Ist nicht, bis heute, der mit Entwicklungsfragen und Nord-Süd-Beziehungen beschäftigte Praktiker, aber auch Politiker, angewiesen auf Myriaden von Entwicklungstheorien, -moden, -studien, endlos gefolgt vom dazu passenden Workshop, Symposium, Konferenzenzirkus? Da wird studiert, analysiert, konkludiert, oft brillant und wissenschaftlich kompetent, doch praktisch-entwicklungstechnisch an der afrikanischen Realität vorbei ; und ohne den ernsthaften, tabufreien und von dieser Realität ausgehenden Versuch, auf Fragen einzugehen, die nach mehr als vier Jahrzehnten Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit Afrika noch offen sind, etwa : (1) Warum haben die gesamten Entwicklungsleistungen des Nordens an Afrika bisher keinen wirklichen und dauerhaften Effekt gehabt? (2) Warum geht in Afrika die Gleichung "Geld = Entwicklung", auf deren unreflektierter, besser : verdrängter Gültigkeitsannahme die gesamte Zahlungspolitik des Westens basiert, nicht auf?

Antworten auf Frage zu (2) sind zugleich die Kernbotschaft des Buches von Volker Seitz, bestehend in der Erinnerung an eine simple Erfahrungstatsache, die jedem mit der praktischen EZ in Afrika Befassten längst vertraut ist, die aber, wenn denn einmal angesprochen, von Ez-Politik- und, -Durchführungsebenen sowie von Theorie und versammeltem Gutmenschentum "mit kollektivem Aufschrei" (Seitz) quittiert wird. Dieses Risiko ist Volker Seitz eingegangen (und gerade dabei, die Aufschreie einzusammeln) mit einer Beschreibung der Szenarien und der aus der EZ-Praxis zwingend hervorgehenden Begründung der irreführenden Natur der Gleichungen : "Geld = Entwicklung" oder gar "mehr Geld = mehr Entwicklung".

Die vorliegende Leserstimme befasst sich mit den Antworten, die Volker Seitz auf die
Frage zu (1) gibt und die auf die Gründe der Nicht- oder Schlechtentwicklung eingeht, die für afrikanische Länder fortbestehen und beispielsweise für asiatische wenn nicht überwunden, so doch zumindest beherrschbar sind. Diese Gründe sind seriösen, praxiserfahrenen Betrachtern der Lage bekannt, sie anzusprechen oder gar zu erörtern, bleibt ein Tabu. Ausnahme davon, weil inzwischen in ihrem entwicklungshindernden Effekt allzu offensichtlich und damit unmöglich zu übergehen oder zu verharmlosen : die Korruption. Entsprechend scheint dieses Phänomen bei Volker Seitz in einem eigenen, notwendig summarischen Kapitel auf, aber im ganzen Buch immer wieder durch. Dabei wird auch das Verhalten des Westens und der Geber, die bisweilen, ungewollt, Phänomene wie Korruption und ihre strafrechtlich relevanten Schwestern befördern, angesprochen. Doch da sind wir schon in der Abteilung "Tabus und Denkverbote", für deren Aufhebung Volker Seitz, vorerst vermutlich vergebens, plädiert.

"Fast 50 Jahre Entwicklungshilfe und ihre mageren Ergebnisse", konstatiert Volker Seitz
und spricht vom Versagen der Entwicklungshilfe, ganz im Tenor des von ihm mitinitiierten Bonner Aufrufs vom September 2008. Wohl wahr, die Ergebnisse sind allerhöchstens mager, "unsere Unterstützung einer selbsttragenden und dauerhaften politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas hat nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt" (Bonner Aufruf). Zutreffend diese Wertungen, aber doch ein wenig pauschal. Man spricht von der Entwicklungshilfe oder -zusammenarbeit wie von einer grossen Eintopfmasse, die halt danebengeraten und ungeniessbar ist. Man differenziert nicht nach den verschiedenen Ansätzen und Instrumenten, mit welchen die Geber ihre Leistungen erbringen.

Der wichtigste davon und jedes "Entwicklungsverhältnis" prägende ist der Ansatz der Technischen Zusammenarbeit (TZ). Deren nach wie vor gültige Aufgabendefinition ist : "Fähigkeiten von Menschen, Organisationen und Gesellschaften in den Partnerländern auszubilden, um sie in die Lage zu versetzen, durch effektiven, effizienten und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen ihre Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern. Im Rahmen der TZ werden technische, wirtschaftliche und organisatorische Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt" (BMZ, Medienhandbuch Entwicklungspolitik, 2008/09, S.68). Nun, letztere Aktivitäten sind keineswegs en bloc und über die gesamte bisherige Zeit ihrer Durchführung hinweg als wirkungslos versandete Liebesmüh zu sehen.

Denn Ergebnisse gibt es. Staat und Verwaltung der meisten afrikanischen Partnerländer verfügen inzwischen über einen, quantitativ sicher noch zu verstärkenden, technisch-qualitativ bisweilen aber schon über dem Niveau entsandter "Experten" liegenden Personalstock, zumindest auf Führungsetagen. Gemeinsam wurden angepasste Strukturen, Organisationen, Verfahren entwickelt und versucht, mit dem Partner zu praktizieren. Erfahrungen des Nordens wurden im Hinblick auf ihre Übertragungs- und Anpassungsmöglichkeiten an den jeweiligen lokalen Kontext aufgearbeitet und den afrikanischen Kollegen vermittelt. Insoweit also eine Teilerfolgsstory. Trotzdem, und jetzt geht leider kaum ein Weg mehr am Miss- oder Magererfolgsurteil über die EZ von Volker Seitz und Bonner Aufruf vorbei : Es funktioniert nicht.

Einer der Hauptgründe : Die bestentwickelten personellen Kompetenzen gehen ins Leere, wenn sie nicht in einem zu ihrer Entfaltung notwendigen organisatorisch und institutionell funktionierenden Rahmen ausgeübt werden können. Zwar existieren diese Rahmen inzwischen weitgehend, doch sie sind untauglich und nicht "in der Lage, durch effektiven, effizienten und nachhaltigen Einsatz von Ressourcen (ihre) Lebensbedingungen aus eigener Kraft zu verbessern", im Sinne obiger TZ-Definition. Entweder sie existieren nur in der Theorie der Texte oder werden in ihrer korrekten Funktion aus politischen oder/und korruptionsgetriebenen Gründen behindert oder blockiert.

Diese Erscheinungen in der Praxis der Entwicklungszusammenarbeit waren recht bald vorauszusehen. Wohl wurde und wird auch versucht, in Abkommen, Durchführungsvereinbarungen und ähnlichen Instrumenten Sicherungen einzuziehen, die konkrete und nicht nur verbale Umsetzungen des Vereinbarten garantieren sollten. Wichtigstes dieser Instrumente, weil von Bedeutung für Folgekosten und Nachhaltigkeit, ist die Konditionierung, z.B. bei Abkommen zur Strassenbaufinanzierung. Das Nehmerland verpflichtet sich, zur Sicherung der Strassenunterhaltung entsprechende Strukturen einzurichten, sie zu betreiben und so die Finanzierung von Unterhaltsmassnahmen zu erwirtschaften. Wohl sind allerorten diese Strukturen entstanden. Funktionieren tun sie nicht. Das enorme Potenzial , etwa aus einer Strassenmaut, wird nicht genutzt, besser : einer nichtöffentlichen Nutzung zugeführt. Fast immer ist eine solche Konditionalität in den entsprechenden Abkommen enthalten, ebenso regelmässig wird sie von Geberseite nicht geltend gemacht. Diese wagt es nicht, den Partnern - in politisch-psychologisch falsch gesehenem Kooperationsverständnis - Wahrheiten zu sagen. Die Empfängerseite würde das verstehen, wenn auch ein wenig "maulend" ("vous avec vos pressions amicales", verlautbarte einmal der Parlamentspräsident eines Partnerlandes - und erfüllte die angemahnte Kondition, die Verabschiedung lange angemahnter Dezentralisierungsgesetze). Die Geber ziehen keine Konsequenzen aus sachlich gebotenen und begründeten Konditionalitäten oder verwässern deren Druckeffekt ad infinitum. Schlimmer noch : In gleicher Regelmässigkeit finanzieren sie anstandslos die Reparatur der alsbald heruntergekommenen Strassen oder gar deren komplette Neukonstruktion. Was ist solches Geberverhalten anderes als, sagen wir fahrlässiges, Verleiten der Nehmer zu vertragswidrigem Verhalten und Passivität?

Zugegeben, schon die Formulierung von Konditionen ist nicht immer so einfach wie im obigen Beispiel, technisch gesehen. Auch die Wegmarken zur Verfolgung ihrer Einhaltung sind oft schwieriger zu setzen und zu evaluieren, besonders in den Fällen, wo die Erreichung vereinbarter Ziele und die Umsetzung von Ergebnissen eindeutigen politischen Willen voraussetzen, etwa bei grundlegenden Reformvorhaben wie Dezentralisierung und Gemeindeförderung. Fehlender Wille lähmt oft auch die banal-technischen Durchführungsebenen einer politisch beschlossenen und in Form von Gesetzen und Regelungstexten "durchgeführten" Reform. Es fehlt auch der Wille, den Reformunterbau (Strukturen, Personal, Verfahren) zu realisieren. Die dazu notwendigen Mittel, Kompetenzen, Hilfen sind in der Regel verfügbar. Dies ist dem Partner klar zu sagen, nicht als Akt der Moralpädagogie, sondern als Vermittlung von im Norden gemachten einschlägigen Erfahrungen mit der objektiven Darstellung dessen, was passiert, wenn nichts geschieht. Solches indessen hört man von Geberseite fast nie.

Es geht um den klaren Umgang, um eine klare Sprache miteinander. So etwas ist möglich, auch unter dem Regime diplomatischer Formelsprache. Gleichberechtigte Vertragsverhältnisse, in welchem Sektor auch immer, dem der Entwicklungskooperation inklusive, schliessen sehr wohl die Möglichkeit der Konditionierung von Leistungen mit ein. Nur : Deren Geltendmachung verlangt oft Druckausübung der Geberseite. Das ist üblich, menschlich und partnerschaftlich vertragskonform, keine neokoloniale Attitüde. Dennoch findet das meist nicht statt. Volker Seitz bringt es auf den Punkt : "Das Samariterverhalten des Nordens schwächt oder zerstört die Anreize der Empfänger zu eigenen Anstrengungen (z.B. eben zur Erfüllung von Konditionen oder vereinbarten Partnerschaftsleistungen, Anmerkung des Unterzeichners)". Oder : "Mit unserem Dauermitleid verstärken wir nur eine Sozialhilfementalität, die in manchen afrikanischen Staaten schon chronisch ist." Hinzukommt, dass sich die Geber für ihre Kooperationsaktivitäten ein System der Zielerreichungs- und Wirkungsnachweiszwänge verordnet haben, das weit über das Sinnvolle und Notwendige hinausgeht, ja mittlerweile fast zu l'art pour l'art geworden ist. Bestehen auf Konditionalität und Vertragserfüllung wäre hier sehr inopportun, da deren Nichtrespektierung es erschwert, den geplanten Programm- oder Projekterfolg zu konstatieren.

Obige Beobachtungen führen zurück zu einem das ganze Buch von Volker Seitz durchziehenden Leitthema : "Afrika ernstnehmen", hat er als eine Kapitelüberschrift formuliert. Und wie hat das zu geschehen? Fast scheut man sich, es zu sagen, die Banalität zu benennen, um die es geht und die im vorstehenden Absatz angedeutet ist : durch klaren Umgang und klare Sprache zwischen den Kooperationspartnern. Oder wie es der Autor in Maximen fasst :
"Wahre Freundschaft gegenüber Afrika muss in Zukunft kritische Zusammenarbeit bedeuten."
"Nach meiner Erfahrung kann auch deutsche Politik in Afrika auf lange Sicht nur dann erfolgreich sein, wenn wir ehrlich und standhaft auftreten."
"To speak clearly is not being colonial" (Gladwell Otieno, Bürgerrechtlerin aus Kenia, eines der von Seitz seinem Buch vorangestellten besonders treffenden Zitate).

Solche Maximen sind noch weit entfernt, in der Realität zu effektiv beachteten Leitsätzen und Verhaltensregeln der Entwicklungskooperation und Kommunikation des Westens mit Afrika zu werden. Zwar wird man hier zunächst einwenden, dass das westlich-afrikanische Kooperationsverhältnis sich sehr wohl, zunächst vorwiegend terminologisch, zu einem "emanzipierten" und auf einer gleichberechtigten partnerschaftlichen Ebene betriebenen entwickelt und die Entwicklungshilfe zur Entwicklungszusammenarbeit oder -partnerschaft mutiert hat. Dies trifft zu und sollte nicht bagatellisiert werden. Der entsprechende ernsthafte Willen der Geber scheint vorhanden. Gerade im Umgang mit afrikanischen Partnern ist bei der Wahl der Worte Sensibilität gefordert und das noch immer vorhandene Gewicht zu berücksichtigen, welche das Wort besitzt vor dem Hintergrund afrikanischer "tradition orale" . Diese Tradition scheint immer noch ein wenig zu wirken, auch in einem auf Schriftkultur basierenden "modernen" Kommunikationsumfeld. Nur, bei allem guten Willen bleibt ein "Missverhältnis zwischen Partnerschaftsrethorik und empirischem Befund" unverkennbar. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Geberseite fortfährt, die Nichterfüllung von Eigenleistungen und Bedingungen zu tolerieren, ja diese letztlich unter den Tisch fallen zu lassen. Dabei würde sie nichts daran hindern, die Mittelvergabe "an nachprüfbaren Kriterien der entschlossenen Eigenanstrengung und des 'guten Regierens' auszurichten" (Seitz). Dies und das vorerwähnte Erfordernis der Sensibilität stünden einem solchen "straight talk" keineswegs entgegen.

Doch wie gesagt : Eigentlich Banalitäten, das alles. Schon hört man wieder die eingangs zitierte Kritiker-Fraktion raunen, da habe sich jemand nicht nur mit einer "Sammlung von Gedankensplittern" amüsiert, sondern auch ein Poesie-Album naiver Entwicklungskooperations-sprüche geführt. Sei's drum. Noch ist die Welt der Entwicklungspolitik, -praxis und -literatur nicht dabei (letztere aber zunehmend und zwar gerade auf afrikanischer Seite), in der Diskussion über Entwicklung und Kooperation von und mit Afrika auch Grundtatsachen und -erkenntnisse zu
berücksichtigen, die praktischer Lebens- und Kooperationserfahrung entspringen, aber weniger Stoff geben für gescheite Theorien, aktuelle Moden und ähnliche, grossartige Millenium-Development-Politiken.

Volker Seitz hat, mit noch wenigen anderen, mit seinem Buch den Anfang gemacht.