Allgemeine Meinung zur Initiative: Wäre der Aufruf im September 2008 nicht erschienen, müsste er dies schleunigst tun. Frage nur: War es nicht schon zu spät, vor fast einem Jahr, angesichts der tief verwurzelten, "strukturellen Gewalt", die, stetig wachsend, seit Jahrzehnten von zu Kooperations-Zwecken etablierten und ausgeübten Institutionen und Politiken ausgeht?
Zu den als "Hauptgründe des Versagens" genannten Annahmen :
ï· Allgemein :
Die Aussage, unsere bisherige in personelle und finanzielle Entwicklungshilfe umgesetzte Politik habe versagt, scheint zu pauschal. Sicher, die Ergebnisse sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Geben tut's sie aber doch, und zwar in Gestalt des durch die deutsche TZ konkret geleisteten Beitrags zum Aufbau von Kompetenzen, von angepassten Strukturen und Rahmenbedingungen (davon wohl die für jegliche Entwicklung in jeglichem Land wichtigsten, universell-interkulturell gültigen: Dezentralisierung und Dekonzentration der Staats- und Verwaltungsorganisation), von grundlegenden Verfahren, um nur allgemeine, aber doch die entwicklungsrelevantesten Bereiche zu nennen. Die meisten afrikanischen Partnerländer verfügen inzwischen über einen, quantitativ sicher noch zu verstärkenden, technisch-qualitativ bisweilen aber schon über dem EZ-"Experten"-Niveau liegenden Personalstock, zumindest auf Führungsetagen.
Und trotzdem : "Unsere Unterstützung einer selbsttragenden und dauerhaften politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas hat nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt" (Aufruf plus). Auch wahr, leider. Einer der Hauptgründe : Die bestentwickelten personellen Kompetenzen bringen nichts, wenn sie nicht in einem zu ihrer Entfaltung notwendigen organisatorischen Rahmen ausgeübt werden können.
Auch hier ein Beispiel aus der praktischen TZ: Das bestkonzipierte Dezentralisierungs- und Gemeindeaufbauprogramm falliert unausweichlich und komplett, gelingt es nicht, eine funktionierende Gemeindeaufsicht einzurichten sowie ein- und auszuüben. Dazu ist prioritär die Organisation und personelle Ausstattung der Aufsichtsabteilung der Präfekturen (oder entsprechender Aufsichtsbehörden) zu sichern. An dringlichsten Botschaften in dieser Richtung liess es das beninisch-deutsche Dezentralisierungs- und Gemeindeförderungsprogramm (diesem ist das Beispiel entnommen) nicht fehlen. Alle notwendigen Unterstützungs- und Vorbereitungsmassnahmen wurden ins Werk gesetzt und versucht, an den Mann, bzw. das Dezentralisierungsministerium zu bringen. Geschehen ist bis heute, nach sechsjähriger Reformpraxis, nichts, ausser der Produktion von Gesetzes-, Verwaltungs- und Ratgebertexten. Und das trotz auf Partnerseite ausreichend vorhandener, kompetenter Personalreserven, Organisationsfähigkeit sowie Reform- und Verwaltungserfahrung. "Den Regierenden vieler afrikanischer Staaten fehlt nach wie vor der Wille zu tiefgreifenden Reformen" (Aufruf plus). Zutreffend, aber zu allgemein, zu "politisch". Der fehlende Wille erstreckt sich auch auf die banal-technischen Durchführungsebenen einer politisch beschlossenen und in Form von Gesetzen und Regelungstexten "durchgeführten" Reform. Es fehlt auch der Wille, den Reformunterbau (Strukturen, Personal, Verfahren) zu realisieren. Die dazu notwendigen Mittel, Kompetenzen, Hilfen sind in der Regel verfügbar. Dies ist dem Partner klar zu sagen, nicht als Akt der Moralpädagogie, sondern als Vermittlung von im Norden gemachten einschlägigen Erfahrungen mit den objektiven Folgen (= das Scheitern der Reform) eines fortdauernden Nicht-Willens. Nur das wäre echte Partnerschaft. Solches geschieht aber nicht, die Partnerschaft bleibt eine deklaratorische. Oder, um es mit Keith Richburg (in seinem Buch : Out of Africa - A Black Man confronts Africa) zu sagen: "Because that's been one of Africa's biggest problems, the lack of straight talk even from - or should I say particularly from - Africa's friends in the West who want to help" .
ï· Die erste Annahme :
Die deutsche - und internationale - Entwicklungspolitik hat versagt, aber leicht anders als der Bonner Aufruf es sieht. Ein massgebender Versagensaspekt : Sie hat den Partnern - in politisch-psychologisch falsch gesehenem Kooperationsverständnis - Wahrheiten nicht zu sagen gewagt, trotz auf Empfängerseite sehr wohl vorhandener Verstehenskompetenz. Sie hat Konsequenzen aus sachlich gebotenen und begründeten Konditionalitäten nicht gezogen oder deren Druckeffekt ad infinitum verwässert. Dafür nur ein, etwas technisches, aber für Nachhaltigkeitserwägungen sehr signifikantes Beispiel: Schaffung und ans Funktionierenbringen dauerhafter Strassenunterhaltsstrukturen als Kondition für die milliardenschweren, meist als Subventionen gegebenen Kooperationsfinanzierungen von Strassen. Sicher, der Aufruf stellt zutreffend fest, dass "ausländische Helfer zuviel Verantwortung an sich gezogen haben. Je mehr Verantwortung wir aber für die Entwicklung Afrikas übernehmen, desto mehr fördern wir Verantwortungsverweigerung der dafür in erster Linie Zuständigen". Diese Erscheinung ist zweifellos als Versagen der Entwicklungspraxis zu werten. Es erklärt sich aber eher technisch: Der Unwille (keineswegs die Unfähigkeit!) von - meist staatlichen oder parastaatlichen Partnerinstitutionen, eigene Verantwortung zu übernehmen hat zu wachsender Substituierung der Kooperationen in dieser Verantwortung geführt, dies aus dem Bedürfnis heraus, sich wenigstens ein bisschen dem Projekt- oder Programmerfolg zu nähern. Die geberseitigen Zielerreichungs- und Wirkungsnachweiszwänge sind unvereinbar mit dem Bestehen auf Konditionalität. Verständlich, aber von EZ-neutralisierendem Effekt im Sinne obiger Feststellung. Dieser - gefühlte - Substitionszwang birgt für die auf TZ-Geberseite Handelnden das Risiko, irgendwann tatsächlich zur - unbewussten -Auffassung zu kommen, es sei der "Norden, der Afrika entwickele", natürlich nur rein technisch gesehen.
Versagt hat die EZ in eben diesem Sinne, nämlich dadurch, dass sie - trotz möglicher diverser Mittel der "pressions amicales" (so qualifizierte der beninische Parlamentspräsident den letztlich erfolgreichen Druck, den das oben erwähnte beninisch-deutsch-französische Dezentralisiserungsprojekt auf diplomatisch-kooperativem Weg ausgeübt hatte) meist nur zugesehen hat, wie der Partner die in jahrelanger, mühsamer und gemeinsamer TZ aufgebauten personellen Kompetenzen und institutionellen Erfahrungen vergeudet oder sehr suboptimal im Governance-Geschäft genutzt hat.
Also auch hier wieder die gleiche Schlussfolgerung wie am Ende des vorangegangenen Absatzes (Die erste Annahme): Mangel an "straight talk" unter Geber- und Nehmerländern. Immerhin: Eine ähnliche Sicht dieses Mangels, besser: sein konkretes Ansprechen, findet sich in leisen, aber wachsenden Ansätzen in der jüngeren kooperationskritischen Literatur. Beispiel: Volker Seitz, Afrika wird armregiert : "Wahre Freundschaft gegenüber Afrika muss in Zukunft kritische Zusammenarbeit bedeuten." oder : "Nach meiner Erfahrung kann auch deutsche Politik in Afrika auf lange Sicht nur dann erfolgreich sein, wenn wir ehrlich und standhaft auftreten." Eigentlich Banalitäten, das alles, oder Ausfluss gesunden Entwicklungsverstandes; nur: allzu banal, allzu selbstverständlich, um darauf eine modische Entwicklungstheorie zu errichten, und, vor allem, Mittelabflüsse zu forcieren.
ï· Die zweite Annahme :
"Die Gleichung 'mehr Geld = mehr Entwicklung' geht nicht auf." (Bonner Aufruf). Wohl nie, schon gar nicht in der Welt der Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit, gab es eine solche Aussage oder Annahme: simpel, objektiv, da durch Zahlen belegt, und zutreffend, da durch konkrete Erfahrung untermauert. Eine andere als zustimmende Meinung dürfte es ehrlicherweise nicht geben. Dass es sie trotzdem gibt und die Gleichung als eine aufgehende propagiert wird, ist für den Praktiker an der Kooperationsfront nicht nachzuvollziehen. Schon gar nicht Einwürfe wie diese : "Der Mitinitiator des Aufrufs, Botschafter a.D. Volker Seitz, verstieg sich während der Debatte sogar zu der Aussage, dass Afrika in Entwicklungsgeldern 'ertrinke' " ("ONE", über eine Debatte zum Aufruf Plus am 08.04.2009). Und doch ist es so. Auch, wenn im Durchschnitt der letzten zehn Jahre "gerade einmal $ 17/Jahr pro Afrikaner bereitgestellt worden sind": Die Partnerländer, bzw. ihre Mittelverwaltungsinstitutionen können einen enormen Teil der verfügbaren Entwicklungsgelder nicht umsetzen (trotz aller inoffizieller korruptions- und sonst fehlverwendungsbedingter Abflüsse), auch wenn von den Gebern dabei intensiv unterstützt. Ja zum Teufel, was ist das denn anderes als "ertrinken"?
Die virulenten, polemischen, wider alle Evidenzen und Zahlen sprechenden Kritiken zu dieser Annahme des Aufrufs sollten diesen in seiner Richtigkeit nur bestärken. Schlimm nur, dass die fatale Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" allen gegenteiligen Zahlen zum Trotz von G-8 zu G-20 zu G-x ad infinitum den Gebernationen wider deren besseres Wissen weiterhin als imperative Annahme für ständig aufgebauschte Finanzierungsversprechen dient. Schlimmer noch: Den Entwicklungsländern dient sie in schöner Parallelität als Rechtfertigung ihrer Passivität und stärkt die Überzeugung des extern bedingten, nur durch "Wiedergutmachungsgeld" zu heilenden, auf jeden Fall nicht intern verursachten "Mal Développement". Dieser Effekt wird noch vertieft durch allerhand oft im falschen Gewand daherkommende "Fonds", "Facilitäten", etc. aus dem internationalen Finanzierungs-Instrumentenkasten. Tristes Beispiel : Die verquere "Marshallplan-für-Afrika"-Diskussion:
Entscheidend bei der Durchführung des Marshallplans in Deutschland war - und hier liegt der Unterschied zu den Entwicklungsländern -, dass eine soziale Infrastruktur, eine Unternehmerschaft und eine Arbeiterschaft vorhanden waren, denen man nur die notwendigen Werkzeuge in die Hand zu geben brauchte, um den Wirtschaftsprozess wieder in Gang zu setzen. Dies ist nicht die Wahrnehmung der Empfängerländer, die mit dem Begriff Marshallplan-für-Afrika nichts anderes verbinden als die Vorstellung eines - zusätzlichen - Hilfsfonds, aus dem Finanzmittel bereitgestellt werden, im Namen keines Prinzips oder Wertes und ohne jede weitere (Wirkungs-)-Voraussetzung im Nehmerland. Die inflationäre und sachlich irreführende Verwendung des Etiketts "Marshallplan" befördert diese Wahrnehmung. Sie konterkariert die Bereitschaft der Hilfe-Empfänger zur endogenen Entwicklung. Siehe zu diesem stark tabuisierten Thema den Artikel von Jürgen Jeske, Mehr als Geld - Zum Mythos Marshallplan, in FAZ vom 04.07.1987, Artikel, der zugleich mit seinem Alter an Aktualität gewonnen hat.
Das Thema Budgethilfe, Kernstück der "modernen" Entwicklungspolitik, und besonders betroffen von der oben angesprochenen Mittelumsetzungsproblematik und -kontrolle, gewinnt mit wachsendem Anwendungsumfang auch entsprechendes Gewicht in der Diskussion, erfreulicherweise auch im Sinne der kritischen bis ablehnenden Fraktion. Denn schon jetzt hat die Diskrepanz, und zwar die vom Geber erkennbare und vorhersehbare, zwischen entwicklungspolitischem Anspruch (entwicklungswirksames, steuer- und kontrollierbares Instrument der E-Politik) einerseits, und andererseits der Mittelverwendungs-Realität (evidente Unmöglichkeit tatsächlicher Kontrolle sowie Anreizfunktion zu zielwidriger Verwendung der Budgethilfe) einen nicht mehr wegzuinterpretierenden Umfang erreicht. Vielleicht ein Anstoss zu kritischer Würdigung deutscher Haushaltspraxis, die aus Steuermitteln auch die Budgethilfe-Praxis finanziert, unter Gesichtspunkten des deutschen Strafrechts? Es kämen für eine solche Übung eigene Straftatbestandsverwirklichungen wie auch Beteiligungsformen in - natürlich nur theoretisch-akademischen Betracht.
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dim, 23 Aoû 2009 - 18:05
Allgemeine Meinung zur Initiative: Wäre der Aufruf im September 2008 nicht erschienen, müsste er dies schleunigst tun. Frage nur: War es nicht schon zu spät, vor fast einem Jahr, angesichts der tief verwurzelten, "strukturellen Gewalt", die, stetig wachsend, seit Jahrzehnten von zu Kooperations-Zwecken etablierten und ausgeübten Institutionen und Politiken ausgeht?
Zu den als "Hauptgründe des Versagens" genannten Annahmen :
ï· Allgemein :
Die Aussage, unsere bisherige in personelle und finanzielle Entwicklungshilfe umgesetzte Politik habe versagt, scheint zu pauschal. Sicher, die Ergebnisse sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Geben tut's sie aber doch, und zwar in Gestalt des durch die deutsche TZ konkret geleisteten Beitrags zum Aufbau von Kompetenzen, von angepassten Strukturen und Rahmenbedingungen (davon wohl die für jegliche Entwicklung in jeglichem Land wichtigsten, universell-interkulturell gültigen: Dezentralisierung und Dekonzentration der Staats- und Verwaltungsorganisation), von grundlegenden Verfahren, um nur allgemeine, aber doch die entwicklungsrelevantesten Bereiche zu nennen. Die meisten afrikanischen Partnerländer verfügen inzwischen über einen, quantitativ sicher noch zu verstärkenden, technisch-qualitativ bisweilen aber schon über dem EZ-"Experten"-Niveau liegenden Personalstock, zumindest auf Führungsetagen.
Und trotzdem : "Unsere Unterstützung einer selbsttragenden und dauerhaften politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas hat nicht zu den erhofften Ergebnissen geführt" (Aufruf plus). Auch wahr, leider. Einer der Hauptgründe : Die bestentwickelten personellen Kompetenzen bringen nichts, wenn sie nicht in einem zu ihrer Entfaltung notwendigen organisatorischen Rahmen ausgeübt werden können.
Auch hier ein Beispiel aus der praktischen TZ: Das bestkonzipierte Dezentralisierungs- und Gemeindeaufbauprogramm falliert unausweichlich und komplett, gelingt es nicht, eine funktionierende Gemeindeaufsicht einzurichten sowie ein- und auszuüben. Dazu ist prioritär die Organisation und personelle Ausstattung der Aufsichtsabteilung der Präfekturen (oder entsprechender Aufsichtsbehörden) zu sichern. An dringlichsten Botschaften in dieser Richtung liess es das beninisch-deutsche Dezentralisierungs- und Gemeindeförderungsprogramm (diesem ist das Beispiel entnommen) nicht fehlen. Alle notwendigen Unterstützungs- und Vorbereitungsmassnahmen wurden ins Werk gesetzt und versucht, an den Mann, bzw. das Dezentralisierungsministerium zu bringen. Geschehen ist bis heute, nach sechsjähriger Reformpraxis, nichts, ausser der Produktion von Gesetzes-, Verwaltungs- und Ratgebertexten. Und das trotz auf Partnerseite ausreichend vorhandener, kompetenter Personalreserven, Organisationsfähigkeit sowie Reform- und Verwaltungserfahrung. "Den Regierenden vieler afrikanischer Staaten fehlt nach wie vor der Wille zu tiefgreifenden Reformen" (Aufruf plus). Zutreffend, aber zu allgemein, zu "politisch". Der fehlende Wille erstreckt sich auch auf die banal-technischen Durchführungsebenen einer politisch beschlossenen und in Form von Gesetzen und Regelungstexten "durchgeführten" Reform. Es fehlt auch der Wille, den Reformunterbau (Strukturen, Personal, Verfahren) zu realisieren. Die dazu notwendigen Mittel, Kompetenzen, Hilfen sind in der Regel verfügbar. Dies ist dem Partner klar zu sagen, nicht als Akt der Moralpädagogie, sondern als Vermittlung von im Norden gemachten einschlägigen Erfahrungen mit den objektiven Folgen (= das Scheitern der Reform) eines fortdauernden Nicht-Willens. Nur das wäre echte Partnerschaft. Solches geschieht aber nicht, die Partnerschaft bleibt eine deklaratorische. Oder, um es mit Keith Richburg (in seinem Buch : Out of Africa - A Black Man confronts Africa) zu sagen: "Because that's been one of Africa's biggest problems, the lack of straight talk even from - or should I say particularly from - Africa's friends in the West who want to help" .
ï· Die erste Annahme :
Die deutsche - und internationale - Entwicklungspolitik hat versagt, aber leicht anders als der Bonner Aufruf es sieht. Ein massgebender Versagensaspekt : Sie hat den Partnern - in politisch-psychologisch falsch gesehenem Kooperationsverständnis - Wahrheiten nicht zu sagen gewagt, trotz auf Empfängerseite sehr wohl vorhandener Verstehenskompetenz. Sie hat Konsequenzen aus sachlich gebotenen und begründeten Konditionalitäten nicht gezogen oder deren Druckeffekt ad infinitum verwässert. Dafür nur ein, etwas technisches, aber für Nachhaltigkeitserwägungen sehr signifikantes Beispiel: Schaffung und ans Funktionierenbringen dauerhafter Strassenunterhaltsstrukturen als Kondition für die milliardenschweren, meist als Subventionen gegebenen Kooperationsfinanzierungen von Strassen. Sicher, der Aufruf stellt zutreffend fest, dass "ausländische Helfer zuviel Verantwortung an sich gezogen haben. Je mehr Verantwortung wir aber für die Entwicklung Afrikas übernehmen, desto mehr fördern wir Verantwortungsverweigerung der dafür in erster Linie Zuständigen". Diese Erscheinung ist zweifellos als Versagen der Entwicklungspraxis zu werten. Es erklärt sich aber eher technisch: Der Unwille (keineswegs die Unfähigkeit!) von - meist staatlichen oder parastaatlichen Partnerinstitutionen, eigene Verantwortung zu übernehmen hat zu wachsender Substituierung der Kooperationen in dieser Verantwortung geführt, dies aus dem Bedürfnis heraus, sich wenigstens ein bisschen dem Projekt- oder Programmerfolg zu nähern. Die geberseitigen Zielerreichungs- und Wirkungsnachweiszwänge sind unvereinbar mit dem Bestehen auf Konditionalität. Verständlich, aber von EZ-neutralisierendem Effekt im Sinne obiger Feststellung. Dieser - gefühlte - Substitionszwang birgt für die auf TZ-Geberseite Handelnden das Risiko, irgendwann tatsächlich zur - unbewussten -Auffassung zu kommen, es sei der "Norden, der Afrika entwickele", natürlich nur rein technisch gesehen.
Versagt hat die EZ in eben diesem Sinne, nämlich dadurch, dass sie - trotz möglicher diverser Mittel der "pressions amicales" (so qualifizierte der beninische Parlamentspräsident den letztlich erfolgreichen Druck, den das oben erwähnte beninisch-deutsch-französische Dezentralisiserungsprojekt auf diplomatisch-kooperativem Weg ausgeübt hatte) meist nur zugesehen hat, wie der Partner die in jahrelanger, mühsamer und gemeinsamer TZ aufgebauten personellen Kompetenzen und institutionellen Erfahrungen vergeudet oder sehr suboptimal im Governance-Geschäft genutzt hat.
Also auch hier wieder die gleiche Schlussfolgerung wie am Ende des vorangegangenen Absatzes (Die erste Annahme): Mangel an "straight talk" unter Geber- und Nehmerländern. Immerhin: Eine ähnliche Sicht dieses Mangels, besser: sein konkretes Ansprechen, findet sich in leisen, aber wachsenden Ansätzen in der jüngeren kooperationskritischen Literatur. Beispiel: Volker Seitz, Afrika wird armregiert : "Wahre Freundschaft gegenüber Afrika muss in Zukunft kritische Zusammenarbeit bedeuten." oder : "Nach meiner Erfahrung kann auch deutsche Politik in Afrika auf lange Sicht nur dann erfolgreich sein, wenn wir ehrlich und standhaft auftreten." Eigentlich Banalitäten, das alles, oder Ausfluss gesunden Entwicklungsverstandes; nur: allzu banal, allzu selbstverständlich, um darauf eine modische Entwicklungstheorie zu errichten, und, vor allem, Mittelabflüsse zu forcieren.
ï· Die zweite Annahme :
"Die Gleichung 'mehr Geld = mehr Entwicklung' geht nicht auf." (Bonner Aufruf). Wohl nie, schon gar nicht in der Welt der Entwicklungspolitik und -zusammenarbeit, gab es eine solche Aussage oder Annahme: simpel, objektiv, da durch Zahlen belegt, und zutreffend, da durch konkrete Erfahrung untermauert. Eine andere als zustimmende Meinung dürfte es ehrlicherweise nicht geben. Dass es sie trotzdem gibt und die Gleichung als eine aufgehende propagiert wird, ist für den Praktiker an der Kooperationsfront nicht nachzuvollziehen. Schon gar nicht Einwürfe wie diese : "Der Mitinitiator des Aufrufs, Botschafter a.D. Volker Seitz, verstieg sich während der Debatte sogar zu der Aussage, dass Afrika in Entwicklungsgeldern 'ertrinke' " ("ONE", über eine Debatte zum Aufruf Plus am 08.04.2009). Und doch ist es so. Auch, wenn im Durchschnitt der letzten zehn Jahre "gerade einmal $ 17/Jahr pro Afrikaner bereitgestellt worden sind": Die Partnerländer, bzw. ihre Mittelverwaltungsinstitutionen können einen enormen Teil der verfügbaren Entwicklungsgelder nicht umsetzen (trotz aller inoffizieller korruptions- und sonst fehlverwendungsbedingter Abflüsse), auch wenn von den Gebern dabei intensiv unterstützt. Ja zum Teufel, was ist das denn anderes als "ertrinken"?
Die virulenten, polemischen, wider alle Evidenzen und Zahlen sprechenden Kritiken zu dieser Annahme des Aufrufs sollten diesen in seiner Richtigkeit nur bestärken. Schlimm nur, dass die fatale Gleichung "mehr Geld = mehr Entwicklung" allen gegenteiligen Zahlen zum Trotz von G-8 zu G-20 zu G-x ad infinitum den Gebernationen wider deren besseres Wissen weiterhin als imperative Annahme für ständig aufgebauschte Finanzierungsversprechen dient. Schlimmer noch: Den Entwicklungsländern dient sie in schöner Parallelität als Rechtfertigung ihrer Passivität und stärkt die Überzeugung des extern bedingten, nur durch "Wiedergutmachungsgeld" zu heilenden, auf jeden Fall nicht intern verursachten "Mal Développement". Dieser Effekt wird noch vertieft durch allerhand oft im falschen Gewand daherkommende "Fonds", "Facilitäten", etc. aus dem internationalen Finanzierungs-Instrumentenkasten. Tristes Beispiel : Die verquere "Marshallplan-für-Afrika"-Diskussion:
Entscheidend bei der Durchführung des Marshallplans in Deutschland war - und hier liegt der Unterschied zu den Entwicklungsländern -, dass eine soziale Infrastruktur, eine Unternehmerschaft und eine Arbeiterschaft vorhanden waren, denen man nur die notwendigen Werkzeuge in die Hand zu geben brauchte, um den Wirtschaftsprozess wieder in Gang zu setzen. Dies ist nicht die Wahrnehmung der Empfängerländer, die mit dem Begriff Marshallplan-für-Afrika nichts anderes verbinden als die Vorstellung eines - zusätzlichen - Hilfsfonds, aus dem Finanzmittel bereitgestellt werden, im Namen keines Prinzips oder Wertes und ohne jede weitere (Wirkungs-)-Voraussetzung im Nehmerland. Die inflationäre und sachlich irreführende Verwendung des Etiketts "Marshallplan" befördert diese Wahrnehmung. Sie konterkariert die Bereitschaft der Hilfe-Empfänger zur endogenen Entwicklung. Siehe zu diesem stark tabuisierten Thema den Artikel von Jürgen Jeske, Mehr als Geld - Zum Mythos Marshallplan, in FAZ vom 04.07.1987, Artikel, der zugleich mit seinem Alter an Aktualität gewonnen hat.
Das Thema Budgethilfe, Kernstück der "modernen" Entwicklungspolitik, und besonders betroffen von der oben angesprochenen Mittelumsetzungsproblematik und -kontrolle, gewinnt mit wachsendem Anwendungsumfang auch entsprechendes Gewicht in der Diskussion, erfreulicherweise auch im Sinne der kritischen bis ablehnenden Fraktion. Denn schon jetzt hat die Diskrepanz, und zwar die vom Geber erkennbare und vorhersehbare, zwischen entwicklungspolitischem Anspruch (entwicklungswirksames, steuer- und kontrollierbares Instrument der E-Politik) einerseits, und andererseits der Mittelverwendungs-Realität (evidente Unmöglichkeit tatsächlicher Kontrolle sowie Anreizfunktion zu zielwidriger Verwendung der Budgethilfe) einen nicht mehr wegzuinterpretierenden Umfang erreicht. Vielleicht ein Anstoss zu kritischer Würdigung deutscher Haushaltspraxis, die aus Steuermitteln auch die Budgethilfe-Praxis finanziert, unter Gesichtspunkten des deutschen Strafrechts? Es kämen für eine solche Übung eigene Straftatbestandsverwirklichungen wie auch Beteiligungsformen in - natürlich nur theoretisch-akademischen Betracht.