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Beitrag vom 11.03.2024

NZZ

Ungarns rätselhafte Expedition nach Afrika

In der ersten eigenständigen Militärmission des Landes werden bald bis zu 200 ungarische Soldaten nach Tschad geschickt. Offiziell sollen sie die illegale Migration bekämpfen, was Experten nicht für glaubhaft halten. Massgeblich involviert ist Viktor Orbans Sohn.

Meret Baumann, Wien, und Samuel Misteli, Nairobi

In wenigen Wochen sollen Ungarns Streitkräfte eine Mission beginnen, bei der sich viele fragen, was diese bezweckt. Bis zu 200 ungarische Soldaten werden im Frühling nach Tschad geschickt – ein riesiges Land in Zentralafrika, in dem ein junger Junta-Führer seine Macht mit allen möglichen Kniffs zu sichern versucht und in dem Ungarn keine offensichtlichen Interessen hat.

Im Herbst hatte die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban die Mission beschlossen. Doch die kritischen Fragen der Opposition konnten nicht wirklich beantwortet werden. Welche Absichten verfolgt Ungarn in Tschad mit einem derart riskanten Einsatz? Warum erfolgt er nicht abgestimmt mit der EU oder der Nato? Inzwischen ist noch eine weitere Frage dazugekommen: Welche Rolle spielt Orbans Sohn Gaspar?

Der Einsatz ist in Militärkreisen umstritten

Tschad ist einer der wenigen verbliebenen Verbündeten des Westens im Sahel, wo in den vergangenen Jahren Militärs in einer Reihe von Ländern die Macht ergriffen und sich daraufhin mit Russland verbündet haben. Während französische und europäische Truppen aus den anderen Ländern abziehen mussten, sind in Tschad noch immer rund 1000 Franzosen stationiert. Sie helfen dort Mahamat Déby, dem 39-jährigen Übergangspräsidenten, ein unberechenbares Land zu kontrollieren. Déby ergriff im April 2021 die Macht nach dem Tod seines Vaters, der Tschad drei Jahrzehnte lang regiert hatte. Am 6. Mai finden Wahlen statt, Déby Sohn will da seine Präsidentschaft auf Dauer stellen.

Mahamat Déby hat seit seiner Machtübernahme Abkommen mit mehreren Dutzend Rebellengruppen geschlossen und zuletzt den wichtigsten Oppositionellen in seine Regierung eingebunden. Ein anderer Oppositionsführer wurde Ende Februar von Sicherheitskräften erschossen. Doch Débys Position ist trotzdem gefährdet. Déby kann internationale Unterstützung gut gebrauchen – nur ist unklar, welche Form von Hilfe ungarische Soldaten bieten können.

Ihre Mission ist gleich in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Ungarn hat wenig Erfahrung in Afrika, keine historischen Beziehungen zu Tschad und zumindest bis jetzt auch kaum wirtschaftliche Interessen im Sahel. Es ist zudem die erste eigenständige Militärmission überhaupt für das ostmitteleuropäische Land. Bisher erfolgten solche Einsätze mit einem multinationalen Mandat – etwa in Kosovo oder in der inzwischen beendeten europäischen Task-Force in Mali.

In Tschad werden die Ungarn dagegen im Rahmen eines bilateralen Abkommens tätig sein, was die Gefahr für die Soldaten im Fall von Problemen erhöht, wie Andras Racz zu bedenken gibt. Das sei sehr, sehr ungewöhnlich, sagt der Experte für die Sicherheitspolitik Mittel- und Osteuropas bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Bei instabilen Verhältnissen, wie sie in Tschad herrschten, sende man entweder ein robustes Kontingent oder gar keines.

Aus diesem Grund soll die Mission in ungarischen Militärkreisen umstritten sein, wie regierungsunabhängige Medien berichten. Es fehlten Ortskenntnisse, Erfahrung im Umgang mit komplizierten ethnischen Konflikten, und sogar die Kommunikation könne in dem frankofonen Land eine Hürde sein.

Ungarns Regierung erklärt das Engagement primär mit der irregulären Migration nach Europa, die an ihrem Ursprung angegangen werden müsse, also in Afrika. Tschad komme dabei eine Schlüsselrolle zu, auch weil es das letzte stabile Land im Sahel sei, erklärte Verteidigungsminister Kristof Szalay-Bobrovniczky. Darüber hinaus gehe es um Terrorismusbekämpfung und die Absicherung eines humanitären Engagements der Regierungsorganisation Hungary Helps.

Nur: Weder bei der Migration noch bei der Terrorismusbekämpfung dürften Ungarns Soldaten viel beitragen können. Die Hunderttausende von Sudanesinnen und Sudanesen, die ins Nachbarland Tschad geflohen sind, sind Kriegsflüchtlinge, von denen die wenigsten nach Europa reisen möchten – oder überhaupt die Mittel dazu haben. Über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien sind seit Anfang 2023 weniger als 6000 Sudanesen gelangt. Wichtiger als Durchgangsländer für Migranten sind Niger oder Mali.

Jihadistische Gruppen wiederum terrorisieren in Mali, Burkina Faso und Niger riesige Gebiete. Tschad aber verfügt über eine bessere Armee als diese Länder, ihre grösste Herausforderung sind oft ethnisch organisierte Rebellengruppen, nicht Jihadisten.

Orbans Sohn will offenkundig nicht erkannt werden

Hinter den Motiven der ungarischen Regierung stehe ein riesengrosses Fragezeichen, sagt der Experte Andras Racz. «Die offizielle Erklärung hat wenig mit der Realität zu tun.» Er habe bisher mit niemandem gesprochen, der sie verstanden habe. Klar sei nur, dass der politische Wille von ganz oben komme, meint Racz.

Darauf deutet auch hin, dass Orbans Sohn Gaspar federführend in den Einsatz involviert ist. Das regierungskritische Investigativportal Direkt36 enthüllte kürzlich zusammen mit «Le Monde», dass Gaspar Orban zwischen Mai letzten Jahres und Januar bei mindestens sechs hochrangigen Besuchen ungarischer Delegationen in Tschad und Niger dabei war. Nach der Auswertung von Fotos und Videos kommen die Journalisten sogar zum Schluss, dass der 32-Jährige der Einzige ist, der bei allen diesen Treffen zur Vorbereitung der Militärmission anwesend war.

Allerdings macht es den Anschein, dass dies nicht bekannt werden sollte. Gaspar Orban ist jeweils nur auf von afrikanischer Seite veröffentlichten Aufnahmen sichtbar und bemüht sich, nicht erkannt zu werden. In einem von Tschads Präsidialamt auf Facebook veröffentlichten Video trägt er im Freien eine Gesichtsmaske sowie einen Hut und dreht bei der Ankunft der Kamera den Rücken zu. Als er später im Inneren des Palasts und ohne diese «Verkleidung» wieder eine Kamera erblickt, verschwindet er rasch hinter einer Säule.

Laut Direkt36 spielte der Sohn des Regierungschefs eine Schlüsselrolle beim Entscheid für den Einsatz in Tschad. Gaspar hat Erfahrung in Afrika: Nach einer kurzen Karriere als Fussballprofi ging er nach Uganda, wo er für eine christliche Hilfsorganisation Kindern das Fussballspielen beibrachte. Er gründete daraufhin eine eigene evangelikale Vereinigung namens Felhaz. 2019 trat er schliesslich in das ungarische Militär ein, wo er derzeit im Rang eines Hauptmanns dient.

Zunächst wurden den Journalisten jegliche Informationen zur Rolle Gaspar Orbans verweigert. Schliesslich erklärte Verteidigungsminister Szalay-Bobrovniczky aber, er habe diesen aufgrund seiner besonderen Qualifikationen zum Verbindungsoffizier für die Vorbereitung der Tschad-Mission ernannt.

Warum aber dieses Versteckspiel? Und ist Orbans Sohn der eigentliche Grund für einen Einsatz, den sich selbst Experten nicht wirklich erklären können? Das ist trotz der Machtfülle seines Vaters ein abenteuerliches Gerücht – zumal die ungarischen Streitkräfte bei der Nato viel Respekt geniessen, wie Racz betont. Ihre Spezialkräfte etwa waren im Süden Afghanistans stationiert, wo sie von den Amerikanern geschätzt und ausgebildet wurden. Seit dem Nato-Abzug vom Hindukusch habe es für diese Truppen keine entsprechend hochintensiven Einsätze mehr gegeben. Um die Fähigkeiten zu bewahren, ergebe es Sinn, neue zu suchen, meint der Sicherheitsexperte.

«200 Soldaten werden nichts ändern in Tschad»

Warum das in Tschad und in einer eigenständigen Mission sein soll, ist trotzdem nicht klar. Der Einsatz macht eher noch für die tschadische Seite Sinn. «Mahamat Déby versucht seine internationalen Partnerschaften zu diversifizieren», sagt der Historiker Nathaniel Powell, der zu Militärinterventionen in Tschad forscht. Die Franzosen haben ihre Soldaten aus Mali, Burkina Faso und Niger abgezogen, sie planen Reduktionen in weiteren Ländern. Möglich, dass Tschads Übergangsregierung versucht, rechtzeitig neue Optionen zu schaffen.

Dazu passt, dass Déby Ende Januar nach Moskau reiste, um sich dort von Wladimir Putin umgarnen zu lassen. Der russische Präsident bot Déby recht explizit auch militärische Hilfe an. Tschads neue Russland-Verbindung sorgt wiederum für Spekulationen im Zusammenhang mit Ungarn: Orban pflegt bekanntlich nach wie vor gute Verbindungen nach Moskau. Im Militär werde diese Kremltreue aber nach 25 Jahren Nato-Mitgliedschaft nicht geteilt, meint Racz. Es gebe keinerlei Interesse, Russland zu helfen.

In ungarischen Medien wird eher spekuliert, dass man vor dem Hintergrund miserabler Beziehungen mit Deutschland seit der Kanzlerschaft Olaf Scholz’ mit dem Einsatz Frankreich und Präsident Emmanuel Macron unterstützen könnte. Es wäre aber höchstens eine symbolische Geste, erklärt Racz. «200 Soldaten werden nichts ändern in Tschad.»