Beitrag vom 19.11.2019
FAZ
Kenias neuer Ölreichtum
Im Norden Kenias sind die Menschen Gewalt gewohnt. Ölfelder sollen Frieden und Wohlstand bringen. Klimaschutz spielt da keine Rolle. Eine Reise in die hitzige Region.
Von Thilo Thielke, Lokichar
Der Fremde, der das Lager der Ölleute betritt, wird erst einmal gründlich überprüft. Ein Arzt misst den Blutdruck, ein Sicherheitsmann kontrolliert den Ausweis, der aus Nairobi mitgereiste Begleiter gibt Instruktionen: Alkohol ist im Camp Kapese, hoch im kenianischen Norden, strikt verboten, Fotos dürfen nur nach Absprache gemacht werden, und einmal in der Woche, immer donnerstags, wird abends gegrillt. Die Frühstücksausgabe findet morgens um 6.30 Uhr im Gemeinschaftszelt statt, es wird erwartet, dass sich die Mitarbeiter daran halten. Disziplin herrscht erst recht für diejenigen, die das umzäunte Gelände mit den rund 200 schneeweißen Wohncontainern verlassen. Meist wird im Konvoi gefahren und nur mit Funk – alle paar Kilometer gibt der Fahrer seine Position durch. Bei Straßensperren und Barrikaden, die die Einheimischen aus Dornbüschen und Steinen zu errichten pflegen, gilt es, freundlich zu sein und unverzüglich das Hauptquartier zu verständigen. Ein rund einstündiger Aufklärungsfilm warnt vor den Gefahren.
Blutige Raubzüge
Der Norden Kenias ist kein Ort für zarte Gemüter. Hier oben in der Halbwüste nahe dem Turkanasee vergeht kaum ein Monat ohne räuberische Überfälle. Mal suchen die Krieger vom Stamm der Turkana ihre Rivalen von den Pokot heim, und mal ist es umgekehrt. Meist werden Rinder erbeutet, bisweilen auch Frauen. Nicht selten enden die Raubzüge blutig, dann werden ganze Dorfgemeinschaften niedergemetzelt. Es mangelt an Wasser und Nahrung und auch am Interesse der Regierung im weit entfernten Nairobi.
Dafür gibt es Waffen zuhauf; die Grenze zu Südsudan ist nah. Eine Kalaschnikow kostet in Turkana gerade einmal 25 Dollar. Die „Daily Nation“, eine der zwei großen Tageszeitungen des Landes, nannte diese Gegend kürzlich „chaotisch, zerrissen und von Waffen beherrscht“. Politik, krumme Geschäfte und Stammeskonflikte hätten eine „tödliche Mischung der Gewalt erzeugt – in einem Land, in dem die Knarre der Gebieter ist“. Kein Wunder, dass sich Fremde nur selten in diese Wildnis wagen.
Seit die Ölleute hier oben sind, werden immer wieder auch deren Autos, manchmal auch die Zugänge zum Lager oder den Ölfeldern blockiert. Schon dreimal musste dort die komplette Belegschaft von Tullow Oil evakuiert werden, bisweilen wochenlang stehen dann alle Räder still. Derzeit sind es rund 150 Mitarbeiter des irischen Ölunternehmens, die in der Ödnis, rund 86 Kilometer von der Stadt Lodwar entfernt, ihren Dienst tun. Ausgerechnet in Turkana, einem Gebiet von der Größe Bayerns, soll derzeit das Fundament für Kenias zukünftigen Wohlstand gelegt werden – in der ärmsten Region des ostafrikanischen Safaristaats.
Vor sieben Jahren entdeckte Tullow Oil im Lokichar-Becken in rund tausend Metern Tiefe erste Ölvorkommen, mittlerweile wurde man auch in anderen Gebieten fündig und schätzt die Menge auf 560 Millionen Barrel Rohöl. 40 Löcher wurden gebohrt, neun davon erwiesen sich als Treffer. Vor zwei Jahren dann beendete Tullow die Probebohrungen; danach wurde in zwei Bohrlöchern mit der Förderung begonnen. Ende August konnten die ersten 200000 Fass vom Hafen in Mombasa mit dem Tanker Celsius Riga verschifft werden. Abnehmer der Fracht war der Ölhändler Chem-China UK. Von einem „großen Meilenstein“ für Kenia sprach daraufhin Ölminister John Munyes. An der feierlichen Zeremonie nahm auch Staatspräsident Uhuru Kenyatta teil. Kenia sei der erste erdölexportierende Staat Ostafrikas, hieß es. Sudan, Mitglied der Arabischen Liga, wird dem Norden des Kontinents zugerechnet.
„Das Potential für das Land ist gewaltig“, schwärmt Tullows Kenia-Chef Martin Mbogo. Schon jetzt hätten die Ölunternehmen rund 2 Milliarden Dollar in die Erschließung des Gebiets investiert. Geplant sei, eine weitere Milliarde in den Bau einer Pipeline zu stecken. Mbogos Büro liegt im neunten Stock eines Bürohauses im Westen Nairobis. Seit zehn Jahren arbeitet der kenianische Ingenieur für das an der Londoner Börse gelistete Unternehmen. Tullow Oil hat sich auf Afrika spezialisiert und bezeichnet sich selbst als „führendes Ölunternehmen“ auf dem Kontinent – mit Aktivitäten unter anderem in Ghana, Uganda und der Elfenbeinküste. Tullow habe „Länder wie Ghana, Uganda und Kenia als Ölländer erst auf die Landkarte gebracht“, sagt Tim O’Hanlon, Tullows Vizepräsident und Afrika-Chef. „Diese drei Länder allein wurden durch unsere Bohrungen um rund 100 Milliarden Dollar reicher.“
Der Ölkonzern baut Schulen
In Kenia führt Tullow mit einer 50-Prozent-Beteiligung ein Konsortium an, in dem auch die Mineralölunternehmen Total aus Frankreich und Africa Oil aus Kanada mit jeweils 25 Prozent vertreten sind – später werden die ausländischen Unternehmen insgesamt 20 Prozent an den kenianischen Staat abtreten. „Es ist das größte private Investment in der Geschichte Kenias“, sagt Mbogo, „es wird in der Zukunft jährliche Einnahmen von 1,5 Milliarden Dollar generieren.“
Anfangs hatte sich Tullow allerdings mit den bisweilen allzu kriegerischen Einheimischen arrangieren müssen. „Wenn es Probleme gibt, gehen die Menschen nicht etwa zur Polizei oder rufen irgendwelche Regierungsvertreter“, sagt Martin Mbogo, „sie wenden sich an Tullow.“ Also hat der Konzern Wasserleitungen gelegt und Gemeindezentren aufgebaut, in denen Frauen geschult und junge Männer am Computer ausgebildet werden. Von den insgesamt 1026 Menschen, die Tullow Oil in Kenia beschäftigt, stammen 218 aus dem Ausland, 317 kommen aus anderen Teilen Kenias – 491 aber, die große Mehrheit, sind Turkana. Die meisten bauen Straßen, fahren Lastwagen, errichten Camps.
Auf dem Ölfeld Amosing hingegen sind tagsüber gerade einmal sechs Menschen beschäftigt. In der glühenden Hitze sitzen sie die meiste Zeit in einem Container und starren auf die Monitore ihrer Computer. Es sind Fachleute, die ihr Domizil sonst auf der arabischen Halbinsel haben und von dort in ihre Einsatzgebiete aufbrechen: ein Inder, drei Araber aus den Emiraten und Syrien und zwei Briten.
Der Kenianer im Team, Mohammed Ahmed, stammt aus Mombasa. Er ist als Datenanalyst beschäftigt. „Das Rohöl, das wir hier fördern, ist extrem dickflüssig“, erklärt er. Für den Transport müsse es auf 80 Grad erhitzt werden; wenn es dann nach ungefähr drei Tagen in Mombasa ankomme, habe es immer noch eine Temperatur von 60 Grad. Jeden Tag verlassen 14 Laster Amosing in Richtung Küste, gefüllt werden sie abends, nach Einbruch der Dunkelheit.
„Ausbeutung ist notwendig“
Nicht nur Kenia verbindet große Hoffnungen mit der Erschließung neuer Ölfelder. Als kürzlich im südafrikanischen Kapstadt drei Tage lang auf der Messe „Africa Oil Week“ über die Entwicklungen auf dem afrikanischen Kontinent diskutiert wurde, erklärte Äquatorialguineas Energieminister Gabriel Obiang Lima mit Blick auf eine Handvoll rohstofffeindliche Klimademonstranten, die vor dem Messegelände aufmarschiert waren: „Unter keinen Umständen werden wir uns für die Ölförderung entschuldigen. Jeder, der außerhalb des Kontinents sagt, wir sollten darauf verzichten, ist kriminell.“ Schließlich sei die Ausbeutung der Rohstoffe notwendig, um Arbeitsplätze zu schaffen und um wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen. Öl sei eine der „Hauptantriebskräfte der Wirtschaft“, meinte auch Gabuns Minister für Kohlenwasserstoff, Noel Mbouma: „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, es zu fördern.“
Nach Aussage der in Paris ansässigen „Agence internationale de l’énergie“, die nach der großen Ölkrise 1973 von den Staaten der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ gegründet worden war, haben in Afrika immer noch rund die Hälfte aller Menschen keinen Zugang zu Elektrizität, und 80 Prozent aller Unternehmen in Schwarzafrika leiden unter regelmäßigen Stromausfällen.
Wenn alles nach Plan verläuft, sollen in Kenia 2024 schon 100000 Fass Erdöl am Tag gefördert werden – vorausgesetzt, dass bis dahin eine fast 900 Kilometer lange Pipeline an die Küste gebaut worden und in Lamu, nahe der Grenze zum somalischen Bürgerkriegsgebiet, ein Tiefseehafen fertiggestellt worden ist. Die Arbeiten in dem bei Touristen beliebten Gebiet begannen schon im Jahr 2012. Finanziert wird das Hafenprojekt von der Development Bank of South Africa und gebaut von der China Communications Construction Company. Umweltschützer haben Bedenken. Doch Mbogo ist zuversichtlich. „Es ist eine große Chance für Kenia. Wir werden sie nutzen.“