Beitrag vom 25.10.2019
FAZ
Äthiopien
Wenn Friedensnobelpreisträger drohen
Knapp zwei Wochen nachdem verkündet wurde, dass Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed in diesem Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden soll, wird der ostafrikanische Staat von schweren Unruhen erschüttert. In einem Außenbezirk der Hauptstadt Addis Abeba und anderen Städten wurden während der Unruhen bislang 16 Menschen getötet; in der rund hundert Kilometer entfernten Stadt Ambo wurden mindestens vier Menschen angeschossen, als die Polizei mit Tränengas und scharfer Munition gegen Regierungsgegner vorging.
Die Unruhen brachen in der Hauptstadt aus, nachdem sich eine Menschenmenge vor dem Haus des Medienunternehmers Jawar Mohammed versammelt hatte. Mohammed ist ein Aktivist der Volksgruppe der Oromo, der erst im vergangenen Jahr aus dem amerikanischen Exil in seine Heimat zurückgekehrt war und anfangs als engagierter Unterstützer des seit April 2018 amtierenden Ministerpräsidenten galt. Mittlerweile hat sich das Verhältnis der beiden aber abgekühlt. Als Polizisten vor Jawar Mohammeds Haus auftauchten, versammelte sich schnell eine große Menschenmenge, um ihm zu Hilfe zu eilen. Dem Gründer des „Oromia Media Network“ folgen auf Facebook 1,75 Millionen Nutzer – zwischen 2016 und 2018 organisierte er über das soziale Netzwerk Proteste gegen die damalige Regierung. Erst am Dienstag hatte Abiy Ahmed im Parlament gedroht, Maßnahmen gegen „Medienunternehmer zu ergreifen, die keinen äthiopischen Pass haben, aber den Frieden und die Existenz Äthiopiens unterminieren“. Jawar Mohammed hat im Exil die Staatsbürgerschaft der Vereinigten Staaten angenommen.
Auch Abiy Ahmed gehört der Ethnie der Oromo an, der größten Volksgruppe in Äthiopien, in dem mehr als 105 Millionen Einwohner aus rund 120 Ethnien leben. Trotz des hohen Bevölkerungsanteils der Oromo von rund 35 Prozent dominierten meist andere Ethnien den Vielvölkerstaat, zunächst Amharen, dann Tigray. Immer wieder kommt es zu Unruhen. Abiy Ahmed versucht, das lange Zeit diktatorisch geführte Land zu liberalisieren, gleichzeitig aber ethnische Konflikte zu unterdrücken. (tht.)