Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 17.07.2018

Peter Molt

Die Beka?mpfung der Ursachen der Migration aus Subsahara-Afrika

Hinter den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um das Asylrecht und Migration nach Europa steht die Sorge, dass diese nicht ein zeitlich befristetes Problem ist, sondern dass Europa auf lange Dauer einem starken Migrationsdruck sowohl aus dem Nahen Osten und Nordafrika als auch aus Subsahara-Afrika ausgesetzt sein könnte. Einige Experten sprechen vom Beginn eines epochalen Prozesses1. Die beiden Regionen unterscheiden sich allerdings in mehr als in einer Hinsicht voneinander2. Im Folgenden wird deshalb nur die Entwicklung in Subsahara-Afrika erörtert, aus dem in den letzten Jahren immer mehr Migranten aus immer mehr Herkunftsländern kommen3.

Entwicklungspolitik und der Migrationsdruck aus Subsahara-Afrika

In vielen Staaten Subsahara-Afrikas ist die Wirtschaft im letzten Jahrzehnt zwar stetig gewachsen, der größere Teil der Bevölkerung profitiert aber davon wenig oder nichts. Dadurch hat sich die Ungleichheit vertieft und die sozialen Konflikte sind unversöhnlicher geworden, vor allem, weil es nicht genügend neue produktive Arbeitsplätze für den aus dem unverändert hohen Bevölkerungswachstum resultierenden Zustrom junger Menschen gab. Diese Diskrepanz wird in den nächsten Jahrzehnten aller Voraussicht nach noch größer werden. Europa kann sich zwar gegen Einwanderung illegaler Migranten mehr oder weniger erfolgreich abschotten, aber es muss damit rechnen, dass in den Herkunftsländern die politische Instabilität zunimmt und deren Komplexität sich zu einer ernsten Belastung der europäischen Sicherheit und Wirtschaft auswachsen kann. Dadurch könnte aus einer Zuwanderung von Wirtschaftsmigranten ein Strom von Flüchtlingen werden. Die Europäische Kommission und vor allem Frankreich und Deutschland wollen dieser Entwicklung umfassend durch neue Schwerpunkte und einen vernetzten Ansatz zur Sicherheits- und Entwicklungspolitik begegnen4.Bundesentwicklungs-

--------------------------------------
1 Stephen Smith: La ruée vers l’Europe. La jeune Afrique en route pour le Vieux Continent. Paris 2018; Serge Michailof: Africanistan. L’Afrique en crise va-t-elle se retrouver dans nos banlieues? Paris 2015.
2 Für den Nahen Osten siehe Hermann, Rainer: Arabisches Beben. Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten. Stuttgart 2018, vor allem das Kapitel „Die Zeitbombe tickt“ S. 263 ff.
3 Insgesamt gab es am 31.12.2016 120.000 als schutzsuchende Ausländer anerkannte Ausländer aus Subsahara-Afrika, vor allem aus Nigeria, Eritrea, Somalia, neuerdings kommen immer mehr auch aus Äthiopien und den westafrikanischen Ländern (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Bundesamt in Zahlen, Nürnberg 2017; Statistisches Bundesamt Fachserie 1 Reihe 2.4 - 2016
4 Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der G5-Sahel-Konferenz in Brüssel am 23.2.2018 Die Bundesregierung: Deutlich mehr Hilfe für die Sahel 23.2.2018 [download 18.5.2018 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Reiseberichte/2018-02-23-brue…] Tetzlaff benennt als Datum dieser Vernetzung ein Interview von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der „Zeit“ vom 20.10.2016. Rainer Tetzlaff: Neues im Nord-Süd-Verhältnis. Warum die SDGs Afrika wohl nicht aus der Globalisierungsfalle helfen. In Tobias Debiel (Hrsg.) Entwicklungspolitik in Zeiten der SDGs, INEF Duisburg 2018 S. 49-56. Dafür werben auch französische Militärs: Der frühere französische Generalstabschef (2014- 2017) de Villiers begründete diese Vernetzung aus den Erfahrungen der ersten Jahre: « Une stratégie basée sur les seuls effets militaires – détruire un camp d’entraînement djihadiste ou arrêter une colonne de pick-up d’AQMI – ne pourra jamais agir sur les racines de la violence, lorsque celles-ci s’ancrent dans le manque d’espoir,
------------------------------------------
2
minister Müller sagte dazu im Bundestag am 21.3.2018: „Wir übernehmen Verantwortung in der Welt, und das mit einem vernetzten Handlungsansatz: Außen, Sicherheit und Entwicklung…Entwicklungspolitik hat in der heutigen Zeit einen vollkommen neuen Stellenwert bekommen“5.

Entwicklungspolitik als Teil der nationalen Sicherheits- und Außenpolitik? Tatsächlich ist diese Verbindung nicht neu. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verdankt ihren Anfang der Zuspitzung des Kalten Krieges zu Beginn der 1960er Jahre6. Die als Entwicklungshilfe gegebenen Unterstützungen dienten dann erneut in den 1990er Jahren beim Zusammenbruch der UdSSR zur wirtschaftlichen und politischen Neuordnung Ost- und Südosteuropas. Heute nun bahnt sich unter den Zwängen des Migrationsdruckes und der terroristischen Bedrohungen eine neue Periode einer solchen Vernetzung an. Die entscheidende Frage für den Beitrag der Entwicklungspolitik wird sein, inwieweit sie sich unter der Korrektur bisheriger Positionen mit einem zielorientierten Instrumentarium auf die Probleme Afrikas konzentrieren wird. Ob die Entwicklungszusammenarbeit zur Befriedung und zum Wiederaufbau im Nahen Osten einen nennenswerten Beitrag leisten kann, ist fraglich, anders ist dagegen die Situation in Sub-Sahara Afrika, auf die sich dieser Artikel beschränkt.

Ein erster Schritt zur Neuorientierung der Entwicklungspolitik erfolgte Ende Juni 2017, als die europäischen Regierungschefs grundsätzlich das Projekt eines neuartigen europäisches Bündnisses für Sicherheit und Verteidigung für Einsätze, welche die NATO nicht übernehmen kann oder will, billigten. Welche Krisen und Regionen standen dafür im Blick? Im deutsch-französischen Vorschlag ist unbestimmt von der EU als globalem Akteur die Rede. De facto ging es angesichts der islamistischen Aktionen in Libyen und in Mali um die Sahel, die heute, wie einer der führenden französischen Fachleute für Afrika meint7, ein Pulverfass geworden ist, das jederzeit explodieren kann.

Mit dem Flüchtlingszustrom über das Mittelmeer hat sich auf jeden Fall der deutsche Blick auf Afrika verändert. Der ferne Kontinent ist plötzlich nah. Deutschland verstärkte seinen 2013 begonnenen Militäreinsatz in Westafrika8 und erhöhte seine Mittelzusagen für die Region. Für den Sahel ist die Vernetzung zwischen Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik damit eingeleitet.

-------------------------------------------
d’éducation, de justice, de développement, de gouvernance, de considération. Gagner la guerre ne suffit pas à gagner la paix. Quelle que soit la nature des crises, une approche globale est indispensable, c’est-à-dire une approche interministérielle et internationale. Il faut du temps et il n’y a pas de place pour le développement - économique, mais aussi durable - sans sécurité, comme il n’y a pas de sécurité sans développement. » (Le Monde 20.1.2016)
5[http://www.bmz.de/de/presse/reden/minister_mueller/2018/maerz/180321_re… download 22.3.2018]
6 Molt, Peter: Die Anfänge der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in der Ära Adenauer, Düsseldorf 2017 S. 59
7 Michailof, Serge: Mali et Sahel. Nous sommes tous Sahélians. Faut-il un plan Marshall pour le Sahel [http://www.sergemichailof.fr/?page_id=464 download 21.3.2018]
8 „Deutschland hat ein erhebliches Interesse daran, Terrorismus, Kriminalität und Verarmung, die mittelfristig starke Auswirkungen auch auf Europa haben können, gemeinsam mit seinen europäischen und internationalen Partnern entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang bleibt die Stabilisierung Malis eine der dringendsten Aufgaben in der Sahel-Region“. [Auszug website der Bundeswehr http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/start/aktuelle_eins… download 1.5.2018]
---------------------------------------------
3
Eine demografische Zeitbombe?

Die Perspektive, dass Subsahara-Afrika auf längere Zeit eine Herausforderung für eine vernetzte Sicherheitspolitik darstellen könnte, gründet sich auf das Faktum, dass es für die heutige Generation junger Erwachsener, aber auch für die nächste Generation, die ja schon geboren ist, viel zu wenig Arbeitsplätze gibt.

Noch um 1970 galt Subsahara-Afrika als gering besiedelt und das kräftige Bevölkerungswachstum wurde als ein seine Wirtschaft stärkendes Element angesehen. Zwar begann die Wirtschaftsimmigration aus Afrika nach Europa schon in der letzten Phase der Kolonialherrschaft und verstärkte sich nach der Unabhängigkeit durch die Anwerbung von Gastarbeitern. Damit wurde einerseits der Arbeitskräftebedarf Europas befriedigt, andererseits sah man darin auch einen positiven Beitrag für die Entwicklung Afrikas, weil die Migranten Qualifikationen erwarben, die sie nach ihrer Rückkehr nutzbringend einsetzen konnten oder weil, wenn sie blieben, durch ihre Rücküberweisungen (remittances) an Verwandte zusätzliche Kaufkraft entstand9.

Mit der Integration der Migranten gab es allerdings zunehmend Probleme, wie etwa die Entstehung der Banlieu in Paris. Deshalb bestanden die europäischen Regierungen bei den Neuverhandlungen der Entwicklungszusammenarbeit der Europäische Union mit den assoziierten Staaten um die Jahrtausendwende, die zur Cotonou-Konvention führten, auf einer vertraglichen Verpflichtung der Empfängerländer, illegale Einwanderer zurückzunehmen. Für die Praxis bewirkte das aber wenig, weil die Herkunftsstaaten kein Interesse daran hatten und deshalb entsprechende Anträge verschleppten, aber auch, weil es sich zunächst bis zum Zerfall Libyens und der Öffnung der mittleren Mittelmeerroute nur um wenige Fälle handelte. Seitdem stieg jedoch die Zahl der illegalen Immigranten aus Subsahara-Afrika von Jahr zu Jahr an.

Das Fehlen von Arbeitsmöglichkeiten für eine rapid wachsende Bevölkerung ist das Pulver im Fass. Die afrikanische Demografie weist dabei viele unbekannte Aspekte auf. Die Wachstumsraten der Bevölkerung sind je Land sehr unterschiedlich, was mit unterschiedlichen Traditionen, Religionen, aber auch mit ethnischen und sozialen Spannungen erklärt werden kann. Ob z.B. die „remittances“ (Rücküberweisungen) von Familienangehörigen dazu führte, für die Zukunft dieser Einnahmequelle möglichst viele Kinder zu haben, wissen wir nicht. Aber aus der Geschichte anderer Kontinente ist der Zusammenhang von Migration und Familiengröße bekannt. Bemühungen für die Geburtenplanung gab es zwar schon bald nach der Unabhängigkeit der neuen Staaten, von denen einige sehr dicht besiedelt waren, andere dagegen fast menschenleer. Auch ein im Wesentlichen durch Entwicklungshilfemittel verbessertes Gesundheitssystem verringerte die Kindersterblichkeit und verlängerte das Lebensalter.

Dass die Übervölkerung Afrikas heute eine der großen globalen Herausforderungen darstellt, wurde lange Zeit von niemand gesehen. Neue Berechnungen der Vereinten Nationen sind jedoch alarmierend. Die Bevölkerung Afrikas wird– unter den derzeitigen Trends - von zurzeit 1 Mrd. Einwohnern auf 1,8 bis 2,3 Mrd. Einwohner

----------------------------------------------
9 Für ganze Regionen waren die "remittances" eine Einkommensquelle zum Überleben. Als 1997 Frankreich seine Einwanderungspolitik änderte und die illegale Einwanderung unterbinden wollte, versprach es als Ausgleich ein Entwicklungsprogramm für die Herkunftsregionen. Die Region Kayes in Mali, aus der besonders viele Einwanderer gekommen waren, war die erste, die in den Genuss eines derartigen Programms kam (Azam, Jean-Paul / Gubert, Flore: Those in Kayes. The Impact of Remittances on Their Recipients in Africa. Revue Économique 2005/6 (Vol. 56) p. 1331 – 1358)
--------------------------------------------------
4 wachsen. Während z.Zt. die Bevölkerungsdichte in Afrika mit 42,4 Einw./qkm – angesichts der großen unbewohnbaren Wüstenflächen - bereits relativ hoch ist, könnte sie bis 2100 mit 150,7 Einw./qkm das asiatische Niveau (145,1 Einw. / qkm) übertreffen. Die Zunahme der Weltbevölkerung vollzieht sich fast ausschließlich in Afrika.

Was dies bedeutet, kann am Beispiel der Republik Niger gezeigt werden. Dort haben Frauen im Durchschnitt mehr als 7 Kinder. In dem Land, das 1960 gerade drei Millionen Einwohner hatte, leben heute 22 Mio. Menschen. Bis 2050 dürfte die Bevölkerung auf 62 Mio. steigen und das in einem Land, in dem sich nur 8% der Fläche für die Landwirtschaft eignet. Die Regel, dass eine bessere Bildung von Mädchen sowie ein wachsender Mittelstand die Geburtenrate verringert, wirkt sehr viel langsamer, als noch vor einigen Jahren erwartet. Um allein Niger heute flächendeckend mit Schulen zu versorgen, wären nach Berechnungen europäischer Experten mindestens ca. 7 Milliarden € nötig10.

Lange Zeit stießen Projekte der Familienplanung auf den Widerstand traditioneller und religiöser Kreise. Auch war das Thema Bevölkerungswachstum von den Gipfeltreffen der Staatschefs bis in die Verhandlungen zur Entwicklungszusammenarbeit wegen des Unwillens der Afrikaner ein Tabu. Nunmehr aber, angesichts des drohenden Kollapses, war das Bevölkerungswachstum ein wichtiges Thema für die Gespräche am Rande des Europa-Afrika-Gipfels im November 2017 in Abidjan11. Angeblich versprach der Staatspräsident der Elfenbeinküste Alessane Ouattara, dass die afrikanischen Regierungen in dieser Hinsicht bis 2030 sichtbare Erfolge erzielen wollten. Dass diese Zusage eher diplomatisch und unverbindlich war, erfuhr der französische Präsident Macron, als er einige Tage später in einer Rede in Ougadougou äußerte, dass wenn die Frauen in Westafrika weiterhin im Durchschnitt 6-8 Kinder hätten, gehe das Bevölkerungswachstum in Westafrika wie bisher weiter und man werde Milliarden von Euro für die wirtschaftliche Entwicklung ausgeben, ohne irgendwas zu bewirken. Für diese Feststellung wurde er nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch vom damaligen Präsidenten der Afrikanischen Union (AU) und Staatspräsidenten von Guinea Alpha Condé des üblen kolonialistischen Rassismus bezichtigt12. Die Aussichten, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit eine Politik zur Begrenzung des Bevölkerungswachstums mit den fragilen Regierungen der Region zu vereinbaren, sind gering, denn damit lässt sich für diese nichts gewinnen13, sondern allenfalls Ärger einhandeln..

Geschwundenes Vertrauen in den Staat führt zu Migration

Ein zweiter Faktor, der die Migration begünstigt, ist das fehlende Vertrauen in die politische Führung. Das zeigt sich in dem abgedroschenen aber populären Urteil „Afrikas Eliten haben versagt“. Der große Enthusiasmus, der nach der Unabhängigkeit vor 50 Jahren für ihre neuen Staaten vorhanden war, ist bei der

-----------------------------------------------------------
10 Serge Michailof in Le Monde 12.12.2017
11 Schulen für Afrikas Wirtschaft ((FAZ 14.9.16 S. N3); Bericht über die Konferenz (FAZ 30.11.17 S.18)
12 Le Monde 30.11.2017 und 12.12. 2017
13 Dabei gibt es durchaus positive Beispiele, wie das besonders dichtbesiedelte Ruanda, in der die autoritäre Regierung durch entsprechende Gebote eine nennenswerte Reduzierung des Wachstums erreichte. Modell Ruanda? (Molt, Peter: Zum Stand der Entwicklung in Ruanda und dessen Bedeutung als Vorbild für das restliche Afrika. KAS Auslandsinformationen 3|2017 S. 60).
---------------------------------------

5
ländlichen Bevölkerung und der städtischen Unterschicht einer allgemeinen Gleichgültigkeit, wenn nicht sogar einem tiefen Misstrauen gegenüber der politischen Führung gewichen. Der Glaube an eine bessere Zukunft ist geschwunden. Das Leben eines großen Teils der Bevölkerung ist immer mehr vom Kampf ums Überleben bestimmt. Hunger auf dem Lande und erbärmliche Slums in den inzwischen entstandenen Megastädten lassen die Versprechungen der Regierungen hohl erscheinen. Die Erfolgsmeldung der Millennium Development Goals (MDG), der Prozentsatz der Menschen in absoluter Armut sei weltweit zurückgegangen, verschleiert die Lage in Subsahara-Afrika. Zwar ist auch dort der Prozentsatz der Bevölkerung in absoluter Armut von 60 % im Jahr 1993 auf 50 % im Jahr 2018 zurückgegangen, die absolute Zahl der absolut Armen stieg jedoch von 330 Millionen auf 399 Millionen an. Weil das Wirtschaftswachstum hauptsächlich der Mittel- und Oberschicht zu Gute gekommen ist, stieg der GINI-Koeffizient, der die Einkommensverteilung misst, d.h. der Abstand zwischen Reich und Arm ist größer geworden.

Armut, keine Arbeit und kein Vertrauen in die Führung beflügelt die Entscheidung, woanders sein Glück zu suchen. In Afrika, besonders in Westafrika, ist laut Umfragen die Bereitschaft zur Auswanderung weltweit am größten14. Seit dem Zerfall Libyens schwoll, wie erwähnt, der Strom der Migranten immer mehr an. Insgesamt dürften seit 2010 aus Subsahara-Afrika mindestens eine Million Menschen nach Europa ausgewandert sein15. Im gleichen Zeitraum erhielten etwas über 400.000 Subsahara-Afrikaner eine Aufenthaltserlaubnis in den USA. Für die USA spielt die illegale Einwanderung eine geringere, der Familiennachzug und das „diversity visa program“ eine größere Rolle. Die dortigen Einwanderer kommen überwiegend aus Ghana, Nigeria, Kenia, Äthiopien und Südafrika. Ihre beruflichen Qualifikationen sind wohl auch im Durchschnitt etwas höher, als der nach Europa Ausgewanderten. Nach Europa kommen als Herkunftsländer auch noch Somalia, Eritrea, Senegal, Angola, D.R.Congo, Gambia, Kamerun und Elfenbeinküste hinzu.

Bei der Suche nach Arbeit spielen Familie, Ethnie, Religion etc., aber auch das politische System eine Rolle. Auch die Nachrichten von Verwandten und Bekannten, denen es gelungen ist außerhalb des Kontinents Fuß zu fassen, sind ein wichtiges „Pull“-Element. Etwa 78% der befragten Senegalesen respektive 53% der Ghanaer. stehen in regelmäßigem Kontakt mit Verwandten und Freunden in Europa und den USA. Viele sind besser Ausgebildete, die sich durch gute Leistungen empor gearbeitet haben, aber keine entsprechenden familiären oder politischen Verbindungen haben und deshalb kaum Aussicht haben einen Job im formellen Sektor zu bekommen.

Wirtschaftliches Wachstum und Ressourcen eines Landes reduzieren daher nicht unbedingt die Zahl der Migranten, so gehören potentiell prosperierende Länder, wie z.B. Angola, DRC, Kenia, Ghana und Kamerun zu den Ländern mit vielen Auswanderern16. Die PEW-Studie17 zeigte, dass in Ghana und Nigeria, aber auch in

---------------------------------------------
14 In Westafrika planen 10,3 % der Bevölkerung auszuwandern, 2,7% bereiten das vor [Global Migration Data Analysis Centre: Measuring Global Migration Potential, 2010–2015 Issue No. 9, July 2017 [https://publications.iom.int/system/files/pdf/gmdac_data_briefing_serie… download 15.5.2018 ]
15 Pew Research Center Forschungsbericht: Philipp Connor: At least a Million Sub-Saharan Africans moved to Europe since 2010 [http://www.pewglobal.org/2018/03/22/at-least-a-million-sub-saharan-afri… download 24.3.2018]
16 Für Daten siehe https://www.laenderdaten.info/fluechtlinge-nach-laendern.php
-------------------------------------------------

6
Kenia und Süd-Afrika mehr als die Hälfte der Befragten sich vorstellen könnten, in ein anderes Land, das mehr und besser bezahlte Jobs bietet, auszuwandern. In Nigeria, Ghana und Senegal gaben 40% der Erwachsenen an, in den nächsten fünf Jahren auswandern zu wollen. Das dies ernst gemeint ist zeigt, dass 2015 die Zahl von 1,7 Millionen Ghanaer mit Sekundarschulabschluss sich für ein Einwanderungsvisum des „diversity visa program“ der USA bewarben.

Mehr Geld für neue Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit?

Angesichts der Millionen junger Menschen, die keine Zukunft in ihrem eigenen Land mehr sehen und an Auswanderung denken, kann eine geregelte Einwanderung durch Einwanderungsgesetze, die nur begrenzte Kontingente berücksichtigen wird, keine Lösung für die Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut Subsahara-Afrikas sein. Erst recht gilt das für illegale Migration. Die Antwort kann nur sein, mit bewährten Programmen und neuen Schwerpunkten massiv die Entstehung neuer Arbeitsplätze zu fördern. Der Migrantenstrom und die von ihm ausgelöste politische Debatte haben, wie die eingangs zitierte Feststellung von Bundesentwicklungs-minister Müller zeigt, die Forderung nach einer neuen Entwicklungspolitik ausgelöst. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in Frankreich, in den Niederlanden und den skandinavischen Ländern. Dabei geht es verständlicherweise zunächst um mehr Mittel. Unpräzis ist die Diskussion um neue Schwerpunkte.

Auch in Afrika selbst gibt es gewichtige Stimmen für eine Neuorientierung. So hat der frühere Präsident Nigerias und Präsident der Afrikanischen Union Olusegun Obasanjo eine radikale Reform gefordert18 . Der ruandische Präsident Kagame, der 2018 die Präsidentschaft der Afrikanischen Union übernommen hat, vertritt eine größere Eigenständigkeit der AU gegenüber dem Heer nicht afrikanischer Berater. Und schließlich gibt es das weiter wachsende Engagement der Volksrepublik China, die das bisherige europäisch-nordamerikanische Übergewicht in den Wirtschaftsbeziehungen ausgleicht.

Die Europäische Kommission sieht in der demografischen Frage eine wesentliche Aufgabe für die europäische Entwicklungszusammenarbeit19: Es sollen, so viel wie immer möglich, anspruchsvollere Beschäftigungsmöglichkeiten vor allem für junge Menschen gefördert werden. Eine Industrialisierung mit mehr und besseren Jobs und wachsender Arbeitsproduktivität soll das übergeordnete Ziel der Armutsbekämpfung werden.

Allerdings bleibt es zunächst bei diesen allgemeinen Feststellungen. Wie sich die Europäische Union im Detail die Umsetzung ihrer neuen Agenda vorstellt, ist bis jetzt nicht klar. Da der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung vom 24.2.2018 explizit auf die europäische Entwicklungspolitik verweist, finden sich diese Unbestimmtheit auch dort. Seine wichtigste Aussage ist, dass die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika im Gleichschritt mit der Erhöhung des Verteidigungshaushalts erhöht werden sollen. Mehr Mittel ist allerdings nur eine Seite einer Neuorientierung, wichtiger wäre es über die Schwerpunkte und Methoden zu sprechen. Hier lässt der Koalitionsvertrag, wie der vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) veröffentliche „Marshallplan für Afrika“ viele

------------------------------------
17 Siehe Anm. 15
18 Olusegun Obasanjo: From confrontation to Partnership, Brenthurst Discussion Papers 2/2018 Johannesburg February 2018
19 Joint Communication to the European Parliament and the Council: For a renewed impetus of the Africa-EU Partnership(European Commission Brussels 4.5.2017 Join(2017) 17 final)
------------------------------

7
Fragen offen, u.a. auch, inwieweit die Mittel in Zukunft auf Subsahara-Afrika konzentriert werden, ob die inhaltlichen Schwerpunkte verändert und ob neue Instrumente eingeführt werden.

Intensivierung der Landwirtschaft

Viele afrikanische Regierungen gingen und manche gehen noch immer davon aus, dass die wachsende Bevölkerung auch in Zukunft ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft finden kann. Die Intensivierung und Modernisierung der traditionellen Landwirtschaft blieb nach der Unabhängigkeit in der Entwicklungszusammenarbeit der Schwerpunkt, zunächst allerdings weitgehend konzentriert auf den in der Kolonialzeit begonnenen Anbau von Ausfuhrprodukte wie Kaffee, Kakao, Tee, Tabak usw. Ihre Erlöse waren wichtig für die Handelsbilanz, aber auch Finanzierung des Staatsapparats. Später wurde dann auch versucht, die traditionelle Land- und Viehwirtschaft durch landwirtschaftliche Beratung und auch durch Neusiedlungen produktiver zu machen. Der Anbau der „cash crops“ litt zwar unter der zunehmenden Konkurrenz neuer Anbieter auf den Weltmärkten, blieb aber bis heute ein wichtiger Bestandteil des Exports. Bei der Verbesserung der traditionellen Produkte blieb der Erfolg bescheiden, die meisten Länder in Sub-Sahara-Afrika konnten aus der sogenannten „Grünen Revolution“, die vor allem in der Einführung verbesserten Saatguts bestand, keinen Vorteil ziehen. Deshalb verringerten sowohl afrikanische Regierungen als auch die Geber schließlich die direkte Subventionierung der Landwirtschaft und setzten auch für sie im Rahmen der vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in den 1990er Jahren verfolgten Strategie der Strukturanpassung auf die Kräfte des Marktes. Das neue Ziel der Armutsbekämpfung nach der Jahrtausendwende bedeutete einen neuen Richtungswechsel. Dafür verpflichteten sich alle Mitgliedstaaten der AU mit dem „Comprehensive Africa Agriculture Development Programme“ (CAADP) mindestens 6 % Wachstum im Agrarsektor zu erzielen und dafür mindestens 10 % der nationalen Haushalte zu verwenden20.

Angesichts der rasch weiter wachsenden Bevölkerung reicht die derzeitige Produktion von Agrarprodukten jedoch nicht mehr aus, wie sich bereits in der Nahrungsmittelkrise 2007 / 2008 zeigte. Inzwischen muss Subsahara-Afrika etwa ein Viertel seiner benötigten Nahrungsmittel einführen. Der Bedarf wird in Zukunft weiter steigen: Schon heute sind einige hundert Millionen Menschen unterernährt. Niemand wagt eine Prognose, ob es Subsahara-Afrika bis 2030 gelingt die Nahrungsmittelversorgung seiner Bevölkerung zu sichern21.

Als Abhilfe käme theoretisch eine weitere Ausdehnung der landwirtschaftlichen Anbauflächen infrage22, was auch neue Arbeitsplätze generieren würde. Das Potenzial der Neulandgewinnung für zusätzliche bäuerliche Betriebe ist jedoch von Region zu Region verschieden und würde vielfach größere Umsiedlungen erfordern. Derartige Umsiedlungen gab es bereits in der Kolonialzeit mit zum Teil

--------------------------------------------
20 Brüntrup, M.: Afrikanische Entwicklungstrends. Das Comprehensive Africa Agriculture Development Programme“ (CAADP) ist eine Chance für Afrikas Landwirtschaft. Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Analysen und Stellungnahmen 1/2011 Bonn 2011
21 FAZ 13.1.2017 [Afrikas Landwirtschaft muss produktiver werden]
22 die entsprechenden Berechnungen gehen davon aus, dass die derzeitige landwirtschaftliche Nutzfläche verdoppelt werden kann.
----------------------------------------

8
problematischen Langzeitfolgen
23. Heute dürften sie auf den entschiedenen Widerstand der ansässigen Bevölkerung stoßen und die bereits jetzt vielfach bestehenden Landkonflikte verschärfen und vermehren. Auch ist umstritten, inwieweit die Vergrößerung der angebauten Landflächen mit der Erhaltung der Umwelt und des Klimaschutzes zu vereinbaren ist. Und schließlich sehen viele junge Menschen in Afrika in der Landwirtschaft keine Zukunft mehr und ziehen das modernere Leben in den Städten vor.

Nun soll im Rahmen der erwähnten CAADP ein neuer Anlauf eines Technologietransfers für die kleinbäuerlichen Betriebe erfolgen. Die Frage, warum, trotz Förderung von Genossenschaften und neuer überzeugender agrartechnischer Programme24, die Kleinbauernwirtschaft Subsahara-Afrikas immer noch nicht modernisiert ist, bleibt ein Rätsel25. Es liegt offenbar weder am agrartechnischen Wissen noch am Geld, sondern eher an den lokalen politischen und sozialen Strukturen26 und am Interesse der Regierungen, die Nahrungsmittelpreise in den Städten niedrig zu halten. Dabei helfen ihnen heute die globalen Märkte, aber auch im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die Ernährungssicherungsprogramme.

Die bestehenden Hemmnisse werden, wenn überhaupt, nur schrittweise überwunden werden können und deshalb werden sich die landwirtschaftlichen Produktionssysteme nur langsam weiterentwickeln und auch dies nur unter der Voraussetzung, dass der Prozess durch politische Schwerpunktsetzungen und staatliche Entwicklungspläne und Fördermaßnahmen unterstützt wird. Fachleute hoffen, dass die integrierte Bewirtschaftung mit dem vermehrten Gebrauch organischen und mineralischen Düngers, gutem Saatgut und Mechanisierung den Durchbruch erzielen könnte. Auch Bewässerungsprojekte könnten eine bedeutende Rolle spielen, denn bisher werden nur 4 % des geeigneten Landes in Subsahara-Afrika gegenüber 35 % in Asien und 15 % in Lateinamerika bewässert27. Vorangetrieben wird die Reform auch durch den seit einigen Jahren praktizierten Kauf und Bewirtschaftung größerer landwirtschaftlicher Flächen durch überwiegend ausländische Investoren, bisher vor allem in Äthiopien, Mozambik und Madagaskar. Dieser als „land grabbing“ umstrittene Vorgang leistet bereits jetzt einen nennenswerten Beitrag zur lokalen Nahrungsmittelversorgung. Die politischen und rechtlichen Voraussetzungen dafür sind allerdings sehr unterschiedlich. In Ruanda z.B. versucht die Regierung eine Kombination der Modernisierung durch Kleinbauerngenossenschaften und Verpachtung von Staatsland an moderne Betriebe. All diese Aktionen stehen am Anfang und sind in ihren Ausgang ungewiss. Der Weltagrarbericht prognostiziert deshalb: „Projektionen bis 2050 ergeben keine

------------------------------------
23 wie etwa im Falle der Kivu-Provinzen in der DRC, wo in den 1930 er Jahren von der Kolonialmacht Belgien Bauern aus Ruanda angesiedelt wurden, was zu schwerwiegenden ethnischen Auseinandersetzungen in den 1990er Jahren führte.
24 wie etwa der jüngste Vorschlag für die besonders prekäre Landwirtschaft in der Sahel-Region von René Billaz: Faire du Sahel un pays de Cognac. Paris 2016
25 So Helmut Asche: Fluchtursachen in Afrika bekämpfen FAZ 29.5.2017 S. 18)
26 Dazu gehört nach wie vor die gleichläufigen Interessen außerafrikanischer Erzeuger für ihre Überschüsse einen zum Teil mit öffentlichen Entwicklungshilfemittel unterstützten Markt und der afrikanischer Regierungen ein niedriges Preisniveau für die arme Stadtbevölkerung zu behalten.
27 Ein eindrucksvolles Beispiel für die mannigfachen Hindernisse ist die nunmehr 85-jährige Geschichte der Office du Niger in Mali (Ostrich-like strategies in sahelian sands? Land and water grabbing in the Office du Niger, Mali In Water alternatives www.wateralternatives.org Vol. 5(2): 304-321 download 1.5.2018)
-------------------------------------

9
substantielle Verbesserung des Zustandes der Landwirtschaft in Subsahara-Afrika gegenüber heute. Kennzeichen der Situation ist der Druck auf das Land durch die rasch wachsende Bevölkerung, abnehmende Bodenfruchtbarkeit, häufige Dürren, niedrige Erträge, Schädlingsbefall, Tier- und Pflanzenkrankheiten, Nach-Ernte-Verluste und mangelhafte Bewirtschaftungspraktiken“
28.

Die Modernisierung der Landwirtschaft kann zwar einen wenn auch weiterhin begrenzten positiven Beitrag zur weiteren Entwicklung Subsahara Afrikas leisten, aber sie wird kaum zu mehr Arbeitsplätzen beitragen. Es ist sogar eher ein Rückgang der Zahl der Beschäftigten zu befürchten. Einen gewissen Ausgleich könnten allenfalls die mit der Modernisierung verbundene Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und der Handel bringen. Auch Infrastrukturmaßnahmen schaffen Arbeitsplätze zum Teil in der Form staatlicher Beschäftigungsprogramme (cash-for-work), aber hier setzten die Kosten und der Einsatz von Maschinen Grenzen. Alle diese Maßnahmen werden angesichts der Größe des Arbeitsangebots nur ein Teil des Problems lösen.

Mehr Jobs in der Industrie

Die Millionen junger Leute in den Städten verdienen ihren Lebensunterhalt zwar im Kleinhandel, in einfachen Dienstleistungen und im Kleinhandwerk, aber ihre Arbeit ist nicht produktiver als die Subsistenzlandwirtschaft. In den andern Kontinenten stärkten und stärken Städte das wirtschaftliche Potenzial eines Landes, in Subsahara-Afrika sind sie dagegen durch die Slumbildung und erforderliche Infrastruktur eine Belastung. Dass es in Afrika ohne verarbeitende Industrie entscheidend voran gehen könnte, glaubt die Mehrheit der Ökonomen heute nicht mehr29. Auch die Vereinten Nationen haben trotz aller Vorbehalte und Kautelen in den neuen SDGs die Arbeitsbeschaffung durch Industrialisierung als Ziel 9.3. deklariert30:

Das Fehlen von Jobs in der Industrie wurde in den Rohstoffe produzierenden Ländern durch die Beschäftigung im Bergbau kompensiert. Aber auch hier ist in den letzten Jahren die Zahl der Bergarbeiter infolge wirtschaftlicher und politischer Schwierigkeiten stark zurückgegangen. Selbst wenn diese in absehbarer Zeit gelöst werden könnten, ist mit einer Vermehrung der Jobs kaum zu rechnen, da moderne Technik und Mechanisierung den Arbeitskräftebedarf im Bergbau mindern wird.

Dass für das rapide Bevölkerungswachstum in vielen Regionen nicht genügend neue produktive und dauerhafte Arbeitsplätze vorhanden sein werden, war seit Jahrzehnten vorherzusehen. Man kann natürlich fragen, warum die afrikanischen Regierungen, die regionalen und internationalen Organisationen und die in der OECD zusammenarbeitenden Geberländer dagegen nichts unternommen haben? Die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Akteure führten hier zu

---------------------------------
28 International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD) Hrsg. Stephan Albrecht: Weltagrarbericht. Bericht zu Afrika südlich der Sahara (S