Beitrag vom 15.11.2015
ka-news.de
Karlsruher Reggae-Musiker warnt Afrikaner vor Flucht
Karlsruhe (Moritz Damm) - Urbain Pagna Ngatcha, Künstlername Dr. Billy Mussango, ist Reggae-Musiker. Der Regimekritiker flüchtete vor fast zehn Jahren aus seinem Heimatland Kamerun. Seit 2010 lebt er in Karlsruhe und ist mittlerweile deutscher Staatsbürger. Aktuell berät er Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe (LEA). Mit seiner Musik will er aufklären, damit junge Menschen nicht die lebensgefährliche Flucht von Afrika nach Europa antreten. Im Interview mit ka-news spricht er über seine Beweggründe.
Herr Mussango, Sie machen Reggae-Musik in Karlsruhe. Sie kommen ursprünglich aus Kamerun. Warum sind Sie aus Ihrem Heimatland geflohen?
Ich bin anerkannter Asylbewerber aus Kamerun und war in meiner Heimat ein über die Landesgrenzen hinaus bekannter Musiker. Ich habe als Liedermacher immer wieder auf die Missstände in Kamerun aufmerksam gemacht. In meinen Songs habe ich die Regierung kritisiert und die allgegenwärtige Korruption angeprangert. Dadurch habe ich den Zorn des Regimes auf mich gezogen und wurde zwei Jahre inhaftiert.
Wie war die Zeit im Gefängnis?
Das war keine schöne Zeit. Ich lebte mit bis zu sechs anderen Männer in einer kleinen Zelle auf engstem Raum: Hochbetten, nur ein Klo, keine Sanitäranlagen. Nach meinem Gefängnisaufenthalt konnte ich mich im Jahr 2006 schließlich nach Deutschland absetzen. Seit 2010 lebe ich in Karlsruhe. Mittlerweile bin ich deutscher Staatsbürger und mache weiterhin Musik. Ich habe hier eine eigene Band gegründet. Sie heißt "Dr. Billy Mussango and K'naris". Mein aktuelles Album heißt "Undercover". Die Songs handeln von Flüchtlingen und setzen sich insbesondere mit der Situation in Afrika und Lampedusa auseinander.
Sie beraten in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe (LEA) Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Viele Afrikaner haben ein völlig falsches Bild von Europa. Viele glauben, dass sie hier das schnelle Geld machen können und im Wohlstand leben werden. Sie wollen als reiche Männer nach Afrika zurückkehren und dann dort ihren Familien helfen. Die Hoffnung der ganzen Familie lastet daher auf ihren Schulter. Diese hat häufig die gesamte Existenz für die teure Reise geopfert und viel Geld investiert - in der Hoffnung auf ein besseres Lebens. Die Erwartungen sind daher verdammt hoch. Die jungen Männer stehen enorm unter Druck. Und dann merken sie schnell, dass eben nicht alles so schnell und einfach funktioniert, wie sie es sich vorgestellt haben.
Wie drückt sich das aus?
Die Familien erwarten, dass sie mit viel Geld zurückkehren. Doch sie können nicht zurück. Sie trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen - aus Scham und falschen Stolz. Sie schämen sich. Daher posen sie vor teuren Autos, die ihnen nicht gehören. Sie posten diese Bilder dann auf Facebook, um daheim anzugeben und das falsche Bild aufrecht zu erhalten. Dabei ist alles nur Fassade, alles Schein. Die Realität sieht ganz anders aus. Sie haben kaum Geld, keinen Job. Eigentlich sind sie traurig und verzweifelt. Doch ihre beschönigten Nachrichten in die Heimat wecken erneut Hoffnungen bei den Daheimgebliebenen, sie schüren die dort vorherrschenden Illusionen. Daraufhin machen sich weitere junge Afrikaner auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa. Das ist ein Teufelskreis.
Aber flüchten sie nicht vor Krieg, Not und Elend?
Sicherlich flüchten viele Menschen, weil sie verfolgt werden. Man sollte sich aber die Frage stellen, ob alle Flüchtlinge wirklich unmittelbarer Verfolgung für Leib und Leben ausgesetzt waren - wie beispielsweise die Opfer des syrischen Bürgerkriegs - oder ob sie nur von einem großartigen Leben in Europa geträumt haben und dieser Irrglaube erst durch eine straffe Schlepperpropaganda unterstützt beziehungsweise ausgelöst wurde. Ich möchte nicht übertreiben, aber wenn jemand 3.000 bis 5.000 Euro bezahlen kann, um sich nach Europa schleppen zu lassen, dann könnte er damit in Afrika ein gutes Leben führen. Der Grund an dieser Flucht liegt wohl eher an den nur wenig vorhandenen Chancen einen Beruf zu erlernen oder sozial aufzusteigen.
Was machen die Flüchtlinge in ihrer verzweifelten Situation?
Ja, sie sind verzweifelt und damit anfällig für falsche Versprechungen. Sie sind leichte Beute für kriminell organisierten Banden. Diese nutzen die ausweglose Situation der Flüchtlinge schamlos aus. Einige der Flüchtlinge geraten in die Fänge von kriminellen Banden und verkaufen Drogen, um an das schnelle Geld zu kommen. Aber sie waren keine Kriminelle in Afrika. Das waren nette Jungs. Sie werden kriminell gemacht. Erst Ihre Verzweiflung macht sie dazu. Eigentlich müssen einem diese jungen Kerle leidtun.
Wird in Kamerun über die wahre Lage der Flüchtlinge in Europa aufgeklärt?
Die lokalen Medien in Afrika berichten viel zu wenig darüber, wie das Leben in Europa wirklich ist und welche Last Flüchtlinge auf sich nehmen müssen, um das vermeintliche Traumland zu erreichen und dort zu bestehen. Gerade hier sehe ich einen wichtigen Ansatzpunkt für die EU-Staaten, vor Ort in den Heimatländern der afrikanischen Flüchtlinge für eine bessere Aufklärung zu sorgen.
Was wollen Sie mir Ihrer Musik erreichen?
Ich möchte über die Gefahren der Flucht und die wahre Situation in europäische Ländern informieren. Ich werde meine CD daher auch in Kamerun und anderen afrikanischen Staaten veröffentlichen. Ich will diese jungen Menschen mit meiner Musik wachrütteln. Ich will sie ermutigen, ihr Leben in Afrika zu meistern. Dafür müssen sie an sich und ihr Land glauben und dürfen sich nicht von falschen Versprechen blenden lassen und sich dadurch ins Unglück stürzen.
Das Gespräch führte Moritz Damm