Skip to main content
For a different development policy!

Beitrag vom 19.06.2014

FAZ

Strategielos in Afrika

Die neue Afrika-Strategie der Bundesregierung enthält alles Mögliche - nur keine Strategie. Die "Leitlinien" zeigen, wie gleichgültig uns Afrika noch immer ist, während sich andere dort strategisch engagieren.

von Jochen Stahnke

Als Bundespräsident Gauck und die Minister Steinmeier und von der Leyen Anfang des Jahres eine neue Außenpolitik proklamierten, schloss das unseren Nachbarkontinent Afrika ausdrücklich ein und militärisches Engagement nicht aus. Das ließ einiges erwarten. Tatsächlich findet sich in der neuen Afrika-Strategie der Bundesregierung alles - alles jedoch, was die vergangenen Jahrzehnte an Afrika-Jargon schon hergaben. Nur keine Strategie.

Die neuen "Leitlinien" zeigen, wie gleichgültig uns Afrika im Grunde noch immer ist, während sich dort China und die Türkei strategisch engagieren, und zwar nicht auf dem Feld der Entwicklungshilfe, deren Bedeutung abnimmt, sondern bei Rohstoffen, Land, Öl, Gas und Zugang zu Märkten. Deutschland scheint daran wenig interessiert zu sein. In gewohnter Zurückhaltung benennt die Regierung die Bedeutung der neuen Kräfte in Afrika. Was Chinas Präsenz aber strategisch bedeutet, ob und wie man dem begegnen möchte, darüber wird kein Wort verloren.

Jedes Ministerium macht, was es will

Nicht mal eine Koordinierungsfunktion bekommt das Auswärtige Amt offenbar mehr zugesprochen. Gemäß "eigenständiger Wahrnehmung der Vorhaben der einzelnen Ressorts" soll das Außenministerium agieren, heißt es. Anders ausgedrückt: Jedes Ministerium kann machen, was es will. Dies betrifft vor allem das Entwicklungsressort, das sich wie eh und je als "Afrika-Ministerium" versteht. Es hat die weitaus größten Mittel und verfolgt über die Entwicklungsagentur GIZ eine Vielzahl wechselnder "Strategien". Wenige Wochen vor der Regierung veröffentlichte es schnell noch ein eigenes Afrika-Konzept - um Territorium zu markieren. Nach innen.

Nach außen herrscht Ruhe. Die herrscht außen aber gar nicht. Es lässt sich nicht vermeiden, eigene Positionen zu finden: zum einen, weil Afrika nicht Priorität deutscher Politik ist und die Mittel begrenzt sind; zum anderen, weil Interessen einander widersprechen können, zumal wenn sie wie in den "Leitlinien" ungewichtet im Dutzend vorgetragen werden. Etwa so: Wer in Afrika starke Grenzregime will, um Einwanderung in Europa zu verhindern, muss innerstaatliche Repression hinnehmen. Wer Sicherheit durch wirtschaftlichen Aufschwung erreichen will, sollte als stärkste Wirtschaftsmacht Europas auch deutsche Unternehmen besser unterstützen. Wer ugandische Truppen bezahlt, damit sie in Somalia patrouillieren, kann Homosexuellenverfolgung in Uganda schwerlich sanktionieren. Wer Natur erhalten will, müsste Industrialisierung eindämmen. Wer Interesse an Gas in Nigeria hat, konkurriert mit Staaten, die ihrer Politik andere Werte zugrunde legen. Und so weiter.

Nach solchen Abwägungsprozessen bliebe die Frage, wie und wo daraus Schwerpunkte deutscher Politik werden: Afrikanische Staaten haben Interessen; jeder einzelne für sich und oft in Konkurrenz zu Nachbarn, was "Regionalstrategien" erschwert. Dass trotz des Redens vom "aufstrebenden Afrika" die meisten Staaten allenfalls Scheindemokratien sind, hemmt Nähe und Verlass. Vom islamistischen Terror, der jüngst wieder Nigeria und Kenia heimgesucht hat, ganz abgesehen.

Symbolpolitik mit der Bundeswehr

Den Handlungsrahmen für die eigene Politik gegenüber Afrika sieht Deutschland offiziell in der Außenpolitik der EU. Aber so gut der Auswärtige Dienst in Brüssel auch koordinieren mag, letztlich entscheidet doch die Außenpolitik der Mitgliedstaaten. So oder so sollte unter gemeinsamen Überschriften auch ein eigener Text stehen. Von außen betrachtet, folgt Deutschland indes eher der Afrika-Politik Frankreichs. Paris hat sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen, die es, wenn möglich, im Rahmen der EU-Außenpolitik durchsetzt - wenn das nicht möglich ist, dann eben allein, wie in Mali, wo die Franzosen zunächst ohne große Absprachen interveniert hatten. Dabei arbeiten in Afrika gegenwärtig mehr als zweitausend deutsche Entwicklungshelfer im Auftrag der Bundesregierung. Ihnen stehen vier Milliarden Euro zur Verfügung. Ein strategischer Nutzen für Deutschland (oder für die EU) ergibt sich daraus ebenso wenig wie aus der zurückhaltenden Beteiligung deutscher Soldaten an Militäreinsätzen. Daran soll sich nach dem Willen des Kabinetts auch wenig ändern.

Noch verkörpern die rund fünfhundert Bundeswehrangehörigen, die an einigen Missionen jenseits von Kampfeinsätzen beteiligt sind, Symbolpolitik. Diese gilt der politischen Unterstützung Frankreichs, das nicht nur in Mali das Oberkommando innehat. Doch Paris zu folgen kann auf Dauer nicht deutsche Strategie sein. Ohne Konzept lohnt es auch nicht, stetig mehr Bundeswehrsoldaten nach Afrika zu schicken - den Terrorismus könnten sie ohnehin nicht besiegen und auch nicht eindämmen.

Deutschland sollte endlich den Mut aufbringen, eine echte Afrika-Strategie zu formulieren. Dies setzt Entscheidungen und eine ehrliche Debatte voraus: Wo soll was erreicht werden? Wo liegen die Grenzen eigener Leistungsfähigkeit? Wer verbietet, Interessen auch nur zu benennen, und glaubt, Demokratie oder Menschenrechte ließen sich mit Vorträgen und Almosen kontinentweit erreichen, der folgt jener weltfernen Überheblichkeit, die er anderen oft vorwirft.