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Beitrag vom 07.09.2013

Neue Zürcher Zeitung

Scheinheilige Empörung

Afrikanische Kritik am ICC

Volker Pabst

Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) stammt nicht zufällig aus Afrika. Mit der Wahl der ehemaligen gambischen Justizministerin Fatou Bensouda zur Nachfolgerin des Argentiniers Luís Moreno Ocampo sollte der Vorwurf entkräftet werden, der ICC ermittle aus Voreingenommenheit nur auf dem Schwarzen Kontinent. Denn nahezu alle in Den Haag behandelten Fälle haben einen afrikanischen Hintergrund. Insbesondere die Afrikanische Union (AU) hatte stets mit Nachdruck einen Chefankläger aus einem ihrer Mitgliedsländer gefordert.

Die Wahl Bensoudas 2012 hat allerdings nichts an der afrikanischen Kritik am ICC geändert. An ihrem diesjährigen Gipfel in Addis Abeba bezichtigte die AU den Internationalen Strafgerichtshof in einer fast einstimmig angenommenen Erklärung sogar offen des Rassismus. Dass Kenyas Parlament nun wegen des Prozesses gegen Präsident Uhuru Kenyatta und seinen Stellvertreter William Ruto einen Rückzug vom Römer Statut in die Wege geleitet hat, stellt den vorläufigen Tiefpunkt des Verhältnisses zwischen Afrika und dem ICC dar. Dieses ist angespannt, seit Den Haag mit dem Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zum ersten Mal gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt vorging.

Denn mehr als die Häufung afrikanischer Fälle am ICC stört viele Potentaten die Tatsache, dass auch Personen in Amt und Würden vor dem Gerichtshof für ihre Taten verantwortlich gemacht werden können. Gegen die Verurteilung des kongolesischen Rebellenführers Lubanga, den ersten rechtsgültigen Urteilsspruch des ICC, gab es bezeichnenderweise kaum Einspruch.

Doch im Kampf gegen die Straflosigkeit ist die Aufhebung der völkerrechtlich anerkannten Immunität von Amtsträgern durch eine Anklage des ICC zentral. Nicht nur entmachtete Diktatoren und Kriegsfürsten, sondern auch amtierende Staats- und Regierungschefs müssen für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden können.

Dies gilt aber freilich auf der ganzen Welt. Dass sich in Den Haag die Fälle aus Afrika häufen, hängt auch damit zusammen, dass auf dem Schwarzen Kontinent relativ viele Staaten das Römer Statut ratifiziert haben. In der arabischen Welt, in Süd- und Südostasien haben nur wenige Regierungen diesen Schritt getan, auch China, Russland und die USA sind dem Statut nie beigetreten. So muss der syrische Machthaber Asad keine Anklage des ICC fürchten. Damaskus hat das Abkommen nicht ratifiziert, und der Sicherheitsrat, der als einzige Institution den ICC zu Ermittlungen gegen ein Nichtmitgliedsland ermächtigen dürfte, ist aus bekannten Gründen zu einem solchen Schritt nicht in der Lage. So scheinheilig die afrikanische Empörung über ein fehlendes Engagement des ICC ausserhalb Afrikas ist, im Fall Syrien ist sie angebracht.