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For a different development policy!

Beitrag vom 02.10.2009

Im Gespräch: Bärbel Dieckmann, Welthungerhilfe
"Wir werden die Armut nicht bis 2015 halbieren"
CDU/CSU und FDP ringen um die Ausrichtung der Entwicklungspolitik. Die Sozialdemokratin Dieckmann warnt vor einer Zusammenlegung der Entwicklungs- mit der Außenpolitik.

FRAGE: Frau Dieckmann, sollte das Entwicklungsressort im Auswärtigen Amt aufgehen, wie es die FDP fordert?
ANTWORT: Eine solche Zusammenlegung halte ich für falsch. Die Entwicklungszusammenarbeit muss die Bedürfnisse der Armen in den Mittelpunkt stellen, nicht die Interessen von Regierungen. Das Auswärtige Amt hat andere staatliche Aufgaben als Armutsbekämpfung. Das darf man nicht vermengen.
FRAGE: Werden Sie als Vorsitzende der Welthungerhilfe aus dem SPD-Präsidium ausscheiden?
ANTWORT: Ja, ich werde auf dem Parteitag im November nicht mehr antreten. Ich habe mich entschlossen, nach 15 Jahren etwas ganz Neues zu machen. Als Oberbürgermeisterin habe ich entwicklungspolitische Projekte verantwortet. Dabei habe ich auch mit der Welthungerhilfe zusammengearbeitet, die ich als sehr kompetent erlebt habe. Da will ich mitwirken. Als Präsidentin der Welthungerhilfe werde ich aber auch versuchen, Einfluss auf die Entwicklungspolitik zu nehmen.
FRAGE: Was können Sie erreichen?
ANTWORT: Die Welthungerhilfe ist da aktiv, wo es brennt. Unsere Schwerpunkte sind Armutsbekämpfung und ländliche Entwicklung. Wir beobachten und kommentieren deutsche und europäische Entwicklungspolitik, geben kritische Berichte heraus. Und wir unterstützen Organisationen in den Entwicklungsländern selbst darin, Einfluss auf ihre eigenen Regierungen zu nehmen.
FRAGE: Es gibt einen Aufruf, in dem die Unterzeichner, die lange in Afrika lebten und den Kontinent kennen, einen grundlegenden Wandel in der Entwicklungspolitik fordern. Warum haben Sie nicht unterschrieben?
ANTWORT: Ich bin vorsichtig mit dem Ruf nach einem grundlegenden Wandel, auch wenn man einzelne Instrumente immer wieder hinterfragen muss. Nehmen Sie das neue Instrument der Budgethilfe ...
FRAGE: ... in dem Fall gehen die Mittel direkt in den Haushalt des Landes.
ANTWORT: Das funktioniert, wenn es eine effektive parlamentarische Kontrolle gibt. In Ländern mit schlechter Regierungsführung ist es besser, Projekte von Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen. FRAGE:
Gehört zur ehrlichen Bestandsaufnahme nicht auch die Tatsache, dass die eine Billion Dollar, die in den vergangenen fünfzig Jahren geflossen ist, nur bedingt Erfolge produziert hat?
ANTWORT: Es gibt ja auch unbestreitbare Erfolge, die Kindersterblichkeit ist seit 1990 um 28 Prozent gesunken, 34 Millionen afrikanischer Kinder besuchten zwischen 1999 und 2006 erstmals eine Schule. Die staatliche Entwicklungshilfe der Industrieländer beträgt rund 100 Milliarden Euro pro Jahr. Für das Militär wird weltweit in einem einzigen Jahr mehr als eine Billion Dollar ausgegeben.
FRAGE: Sind die großen Ziele noch zu erreichen, Armut und Hunger bis 2015 zu halbieren?
ANTWORT: Wir werden dieses wichtigste Millenniumsziel wahrscheinlich nicht erreichen. Es ist gelungen, dass die Zahl der Hungernden seit 1970 zumindest in etwa gleich geblieben ist, obwohl sich die Weltbevölkerung fast verdoppelt hat. Und bis 1995 konnte die Zahl um mehr als 100 Millionen gesenkt werden. Seit Anfang des neuen Jahrtausends gibt es jedoch einen besorgniserregenden Anstieg.

Das Gespräch führte Manfred Schäfers