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Tue, 18 Jan 2011 - 01:05

Falco Riemer, Bonn
Posting

zu Kurt Gerhardt, Köln, vom 10.01.
zum Beitrag von Falco Riemer vom 6.1.

... Afrika produziert Güter, die auf dem internationalen Markt stark nachgefragt werden.

>KG: "Aber so gut wie keine, die mit Hilfe afrikanischer Intelligenz und
Qualifikation so hergestellt und verarbeitet sind, dass sie auf dem
Weltmarkt gewinnbringend verkauft werden können."

>>FR: "Das Problem der Gewinnerzielung zeigt sich in der Wettbewerbsverzerrung auf dem Weltmarkt, dem afrikanische Exporteure, wie dargestellt, häufig ausgesetzt sind. Hinzu kommen Agglomerationsdefizite in den Ländern, die eine Bildung von genügend wettbewerbsfähigen (und damit gewinnbringenden) Industrie- oder Handelsclustern behindern. Ein Unternehmen, krass gesprochen: 'im Busch', macht noch kein Industriegebiet. Gegeben, dass genügend 'afrikanische Intelligenz und Qualifikation' vorhanden ist, wovon ausgegangen werden kann, nützt diese wenig, wenn die Produkte, gegeben dass sie die Marktreife erreichen, geringe Chancen auf dem heimischen Markt und beinahe keine Chancen auf dem internationalen Markt haben."

So ist beispielsweise Burkina Faso mit 185 Tsd. Tonnen der dreizehnt-größte Baumwollproduzent weltweit. Baumwolle ist ein Produkt, das entlang der Wertschöpfungskette nicht unbedingt, wie auch von Ihnen gefordert, eine umfassend qualifizierte Arbeiterschaft benötigt.

Wesentliche Produktionssteigerungen können z. B. durch industrielles Pflücken, hohen manuellen Einsatz, gesteuerte Agrarkulturen und eine optimierte Logistik erreicht werden. Nicht zuletzt muss der weltweite Absatz sichergestellt sein. Insbesondere bei letzterem hat Burkina Faso große Probleme, da z. B. durch subventionierte Baumwolle der USA die Preise verzerrt werden, während ein Großteil der chinesischen und indischen Baumwolle in der Textilindustrie dieser Länder selbst verwertet wird. Diese Textilindustrie fehlt in Burkina Faso,

>KG: "Warum? Wer hat sie verhindert?"

>>FR: "Siehe oben. In Asien wurden unter anderem durch den kontinuierlichen Nachzug von ausländischen Direktinvestitionen, einen relative politische Stabilität und Konstanz sowie nicht zuletzt durch eine weitestgehende staatlich-kulturelle Homogenität die Bildung von wirtschaftlicher Agglomeration begünstigt. In Afrika wird das Problem schon fast ersichtlich, blickt man auf eine Landkarte: Staats- und Verwaltungsgrenzen, die ohne Rücksicht gezogen wurden; Benachteiligungen durch mangelden Seezugang; klimatische Grenzen. Nicht zu vergessen, dass Afrika bevorzugter Spielplatz der ehemaligen politischen Blöcke war, mit allen unappetitlichen Nebenerscheinungen, und heute beliebter Tummelplatz der sogenannten Entwicklungshilfe ist. Angesichts dessen eine funktionierende Textilindustrie, wie in diesem Beispiel, implizit zu fordern, ist fern jeder Realität."

...dem internationalen Absatz kann sich das Land nur über ruinöse Preise stellen - zu Lasten des einheimischen Lohnanteils, der kaum einen ausreichenden Lebensstandard garantiert. Die Logistik im Land ist abenteuerlich, eine Steuerung der Agrarkulturen findet kaum statt, eine industriell optimierte Wertschöpfungskette lohnt sich, aus betriebswirtschaftlicher Sicht, kaum.

>KG: "Wer ist für diese Mängel verantwortlich - die Länder des Nordens oder
die Afrikaner selbst?"

>>FR: "Simpel: der Norden. Auch wenn es nicht gefällt. Und zwar über verfehlte Anreizpolitik, Entwicklunghilfe, wohlmeinenden Ansätzen, viel Geld und einer Haltung, die das Anspruchsdenken eines jeden, nicht nur der Afrikaner, geradezu befeuern muss. Angefangen bei großen Millionen der Budgethilfe und aufgehört bei einem gradezu im putzigen Idealismus beheimateten Programm wie 'Weltwärts'. Der Ansatz ist richtig: Was müssen wir angesichts der Misere in Afrika tun? - 'Nichts'. Und das wird zunehmend auch von Afrikaner gefordert. Es ist bestechend gut und richtig, was auch der Bonner Aufruf fordert: 'Der Norden kann Afrika nicht entwickeln'. Dann sollte man auch die Finger davon lassen."

Auch Ihr Hinweis auf die EBA-Regel geht fehl. So behält sich die EU vor, im Fall einer vermuteten Schädigung der europäischen Landwirte, von Protektion Gebrauch zu machen.

>KG: "Das ist aber nicht geschehen."

>>FR: "Allein die Tatsache, dass so eine Regelung besteht, belegt die Wirkungslosigkeit der EBA-Regel - und dass diese Regelung genutzt wurde, zeigt der Zuckermarkt. Wie pervers ist eigentlich eine Export-/Importregel, die im Zuge einer 'Entwicklungsperspektive' entwickelt wurde, aber gleichzeitig das Damoklesschwert der Intervention bei Eigeninteressen beinhaltet? So eine Regel kann man gleich vergessen und unterstützt eine fatalistische Haltung der Akteure in Afrika - nach dem Motto: 'Was soll man da schon erwarten?'. Und das zu recht. Desweiteren: ein weiteres großes Problem ist der Import:

'Ruinöse Konkurrenz
[...] In den Regalen der Supermarktkette Uchumi in Kampala, Uganda, herrscht kein Mangel an Milchprodukten: Mascarpone und Parmesan aus Italien, Gouda aus Holland, Milchpulver aus Irland und Südafrika. Markt-Manager Eric Korir ist stolz auf das internationale Sortiment. "Die nationale Produktion kann die Nachfrage ja längst nicht befriedigen."
Das ist wahr und falsch zugleich. Denn Ugandas Bauern liefern ausreichend Milch - viele haben schon vor Jahren Friesen-Kühe eingekreuzt, um die Erträge zu steigern. Doch der Großteil der Milch findet nicht den Weg in Molkereien. Die Vermarktung, die die staatliche Milchgesellschaft bis Anfang der 90er organisierte, funktioniert nicht mehr.
"GBK Dairy Products" ist eine der wenigen Molkereien, die den Niedergang der Milchwirtschaft nach der Liberalisierungseuphorie überlebt haben. Am einzigen Standort in Mbarara verarbeitet GBK heute gerade mal bis zu 35 000 Liter Milch am Tag - auch zu Butter und Yoghurt. "Wir würden die Kapazität gerne steigern, die Nachfrage ist da, aber uns fehlen die Mittel", sagt Betriebsleiter Godwin Tumwebaze.
[...] Gegen die Dumpingimporte aus Europa haben heimische Produzenten so gut wie keine Chance. Nach Berechnungen von Oxfam liegen die Exportpreise in Deutschland im Schnitt 41 Prozent und in der EU 31 Prozent unter den Produktionskosten in Europa. "Dumping findet nach wie vor im großen Stil statt", sagt Oxfam-Agrarreferentin Marita Wiggerthale. Ein Großteil sei auf die EU-Exportsubventionen von 1,43 Milliarden Euro zurückzuführen, die auf das Konto großer Milchkonzerne gingen. [...] "Es gibt viele Milchbauern, die ihre Familien nicht mehr richtig ernähren können", weiß Farmer Patrick Bharunhanga, der rund 70 Kühe auf der Weide hat. [...] "Keiner von uns bekommt Subventionen, wie sollen wir da mit den Importen konkurrieren können?"
Für Armin Paasch, Handelsexperte des Food First Informations- und Aktions-Netzwerks (Fian), ist die Situation der Kleinbauern eine direkte Folge der europäischen Handelspolitik. "Europäische Agrarexporte zu Dumpingpreisen gefährden das Menschenrecht auf Nahrung", sagt Paasch. [...]Wehren können sich afrikanische Staaten wie Uganda gegen Importe aus der EU nicht. Dafür sorgen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), denen bereits zahlreiche Länder zugestimmt haben. Auch Uganda hat sich darin verpflichtet, seine Importzölle für 80 Prozent der EU-Einfuhren in den nächsten Jahren abzuschaffen und die restlichen Zölle auf niedrigem Niveau einzufrieren.[...]

aus: Tobias Schwab, "Was Moses von der Milch bleibt"

...Wie gesehen bei den (auslaufenden) Zuckermarktregelungen: Seit Einführung der EBA im Jahr 2001 waren z. B. für Äthiopien die Einbußen beim Zuckererxport so hoch, wie die gesamten nationalen Ausgaben für die Bekämpfung von AIDS. Die relative Wirkungslosigkeit der EBA-Regel wird deutlich, betrachtet man die Exporte der least developed countries in die EU: diese nahmen seit 2001 um rund 10% zu, während der Anteil der EBA-Exporte an den Gesamtexporten nur rund 3% betrug.

>KG: "Nachdem in den letzten Jahren die Einschränkungen bei Zucker,
Bananen und Reis ausgelaufen sind, kann alles frei in die EU exportiert
werden. Warum gibt es in den afrikanischen LDC's keine Unternehmen, die
dieses Privileg zu nutzen wissen?"

>>FR: "Einmal weil kaum Unternehmen da sind (siehe oben), einmal aufgrund der geschilderten Import-Problematik. Wo nichts ist, kann man auch nicht viel fördern oder fordern."

...Hinzu kommen volkswirtschaftliche Realitäten wie z. B. die "Holländische Krankheit" bei rohstoffreichen Ländern, die die einheimischen Märkte und Mechanismen zusätzlich belasten: insbesondere durch den umfangreichen Export von Rohstoffen entstehen Aussenhandelsüberschüsse, die die einheimische Währung aufwerten und damit Absatzprobleme bei den übrigen exportierenden Industrien verursachen. Eine weitere Barriere sind die hohen Zölle im Süd-Süd-Handel der afrikanischen Länder untereinander, wobei die SSA-Länder meist auf diese Zölle als eine der größten Einnahmequellen angewiesen sind.

>KG: "Wer ist dafür verantwortlich, dass so viele afrikanische Regierungen
nicht in der Lage sind, ein effektives Steuersystem einzuführen - die
Länder des Nordens oder die Afrikaner selbst?"

>>FR: "Siehe oben: Wo nichts ist, kann auch nichts wachsen. Geschweige denn, dass ein effektives Steuersystem zu entwickeln wäre, dass eben nicht auf Importzöllen basiert."

...Eine volkswirtschaftliche Realität ist auch, dass die Entwicklungshilfe selbst kontraproduktiv wirkt, da sie in der Regel 8% der Einnahmen der Länder in Afrika überschreitet.

>KG: "Niemand verpflichtet die Afrikaner, so viel Entwicklungshilfe
anzunehmen."

>>FR: "Entschulding, Herr Gerhard, aber das meinen Sie doch nicht ernst? Ein System, dass zum Mißbrauch gradezu einlädt, an mangelnder Kontrolle und gutmenschelnder Inkompetenz krankt, soll plötzlich grade von denen abgelehnt werden, die aus himmelschreienden persönlichen und staatlichen Defiziten heraus nach allem greifen, was schnell und einfach zur Verfügung steht bzw. einem gradezu hinterhergeworfen wird? Wir bekommen es in Deutschland grade einmal mit 'Ach und Krach' hin, ein Sozialsystem ein bischen umzubauen, das über Jahrzehnte unkontrolliert und im ausufernden Schwachsinn mit viel Geld hausieren ging. Jetzt übertragen Sie einmal Ihren Kommentar auf das deutsche Sozialsystem..."

...Sie bewirkt damit direkt eine Zementierung der bemängelten "verpassten Exportchancen Afrikas".

Es ist richtig, dass die Afrikaner, wenn man es pauschal sagen will, eine Mitschuld an der relativen Unattraktivität Ihrer Märkte tragen. Die mangelnde Motivation der Akteure vor Ort, daran etwas zu ändern, ist jedoch angesichts der Fülle der Herausforderungen und einer verfehlten Entwicklungspolitik, bei der sich "jeder mal versuchen darf" - angefangen beim einzelnen kleinen Entwicklungshelfer bis zum staatstragenden Millionenprogramm - mehr als verständlich.

>KG: "Mit einer solchen Haltung zementiert man Unterentwicklung."

>>FR: "Eben. Deswegen unterstütze ich auch den Bonner Aufruf."

...Unternehmen haben durchaus die Attraktivität des afrikanischen Kontinents erkannt. Südafrika, Namibia, Botswana sind hier seit langem, und Ruanda seit kürzerem, interessante Beispiele. Der Rest des Kontinents bleibt jedoch, nicht nur aufgrund der oben genannten Hindernisse, aufgrund von mangelnder Infrastruktur, einem mangelnden Mittelstand als Absatzkanal und mittelständischen Unternehmen als Absatzmittler, relativ uninteressant und zu risikoreich. Allein Unternehmen, die sich mit lohnenden und robusten Produkten auf den Märkten behaupten können, haben einen vergleichbaren Wettbewerbsvorteil. Die Telekommunikationsbranche ist dabei besonders und gewinnbringend aktiv. Es wird jedoch noch bestimmt 50 bis 100 Jahre dauern, bis sich z. B. deutsche Maschinenbauer mit hochspezialisierten Drehmaschinen oder Bearbeitungszentren im großen Umfang, wie in Asien, in Afrika engagieren können oder wollen

KG: "Aber nicht, weil sie etwas gegen Afrika hätten. Unternehmer
investieren da, wo sie unter akzeptablen Bedingungen profitabel
wirtschaften können. In den meisten afrikanischen Ländern sind diese
Bedingungen nicht gegeben. Für deren Schaffung sind nicht die
ausländischen Unternehmer zuständig."

FR: "Das ist korrekt. Nichts anderes habe ich gesagt."

...- das deutsche Idealverständnis von "Exportchance" wird in absehbarer Zeit niemals in Afrika greifen. Es gehören sowohl "die Afrikaner", die Bevölkerung und ihre politischen Führer, als auch Unternehmen, die direkt investieren oder exportieren wollen, zu den Leidtragenden einer verfehlten Entwicklungspolitik mit ihren falschen Anreizen und damit strukturellen Problemen: keiner kann wie er möchte und so suchen Unternehmen woanders Märkte, während Afrika weiterhin von einer Entwicklungshilfe profitiert, mit deren Hilfe sich jeder gut eingerichtet hat - auf Seite der Hilfeempfänger und der Helfenden. Der Aufbau vielfältiger und gewinnbringender Industrien wird so weder gefordert noch gefördert.

In diesem Zusammenhang nur darauf zu schimpfen, dass keine qualifizierte Arbeiterschaft vorhanden sei und die Afrikaner eine große, wenn nicht die größte, Mitschuld daran tragen, dass Exportchancen verpasst werden, greift zu kurz.

>>FR: "Mein Beitrag soll nicht dahingehend mißverstanden werden, dass ich 'den Afrikanern' sämtliche Eigenverantwortung abspreche. Zumal immer wieder erstaunlich ist, auch für die Entwicklungshelfer vor Ort, wie genau die Akteure vor Ort wissen, wie hoch Ihr Eigenanteil an Fehlentwicklungen ist und dass sie diesen gerne minimieren möchten. Es macht aber keinen Sinn, realtitätsferne Ansprüche und kurzfristige Schlußfolgerungen zu treffen."