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Pour une autre politique de développement!

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sam, 2 Jan 2010 - 00:00

Christian Wilmsen, Bonn
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Dem Omnipotenzproblem zum Opfer gefallen.

Der Appell an die zukünftige Bundesregierung richtet sich an die breite deutsche Öffentlichkeit. Er muss daher mit der didaktischen Elle gemessen werden, die an die Vermittlung entwicklungspolitischer Sachverhalte anzulegen ist.

Entwicklungspolitische Zusammenhänge sind von extremer Komplexität. Außer dem Ressort Verteidigung sind alle Bereiche zu berücksichtigen, für die es auf der staatlichen Ebene Ministerien gibt. Zusätzlich sind unter regionalen Gesichtspunkten alle Staaten in den Blick zu nehmen.

Dieser hohe Komplexitätsgrad hat zur Folge, dass selbst ein enormes Detailwissen auf einzelnen Gebieten - etwa einem einzelnen Land - nicht immer vor Fehlurteilen bewahrt. Die Autoren des "Bonner Aufrufs" vom September 2008 und der "10 Vorschläge für eine bessere Entwicklungspolitik - Appell an die zukünftige Bundesregierung" stellen - bei einer Reihe richtiger Einzelaussagen - eine falsche Gleichung in den Raum.

Die falsche Gleichung lässt sich bereits mit Hilfe der beiden ersten Sätze des 2009er Appells darstellen. Zunächst deren kurzer Text wörtlich: "1. Wir rufen dazu auf, angesichts der enttäuschenden Bilanz der bisherigen Entwicklungspolitik deren Kurs grundlegend zu ändern. 2. Geben Sie die Vorstellung auf, mehr Geld bedeute mehr Entwicklung. Lassen Sie ab vom 0,7 Prozent-Geberziel, weil es auf dieser irrigen Vorstellung beruht."

Der Fehler liegt in der unzureichenden Füllung einer der beiden Seiten der Gleichung. Mit den Worten "enttäuschende Bilanz" sprechen die Autoren die Gesamtsituation der Entwicklungsländer an. Dieser Lagebeurteilung hätten sie auf der anderen Seite die wichtigsten Elemente der Überwindung von Not und Armut oder der Ursachen von Stagnation gegenüberstellen müssen. Stattdessen beschränken sie sich im zweiten Teil des ersten Satzes allein auf die "bisherige Entwicklungspolitik", und zwar in einer Form, die dem unbefangenen Leser eine Kausalbeziehung suggeriert. Dem Empfänger der Nachricht wird hierdurch der Eindruck vermittelt, eine grundlegend andere Entwicklungspolitik - die Autoren meinen offensichtlich die Entwicklungszusammenarbeit bzw. Entwicklungshilfe - hätte die enttäuschende Bilanz abwenden oder mindestens stark abschwächen können.

Damit lassen die Verfasser des Appells ein Problem außer Acht, das schon vor geraumer Zeit mit dem Begriff "Omnipotenzfalle" belegt wurde. Hiermit ist die unzulässige monokausale Verknüpfung zwischen der beklagenswerten Situation vieler Entwicklungsländer und der EZ gemeint. Analog gilt dies für den Fall, der EZ eine dominante Rolle im Entwicklungsprozess einzuräumen.

In keiner substanziellen wissenschaftlichen Studie findet sich eine solche Kausalbeziehung. Entscheidend für die Frage, ob sich ein Land entwickelt oder nicht, sind die internen Rahmenbedingungen ("Good Governance" oder "Good Economic Governance") sowie die ökonomischen Austauschbeziehungen global und regional. Zumindest die bisherige EZ kann nur Pilotvorhaben beisteuern oder einer regional oder sektoral eng begrenzten Personengruppe im Entwicklungsland einen statistisch messbaren Fortschritt eröffnen.

Der zweite Satz des Appells an die zukünftige Bundesregierung erhebt vollmundige Ausrutscher von staatlichen oder nichtstaatlichen EZ-Vertretern/-innen zum vermeintlich offiziell erklärten Programm. Ernsthafte Aussagen staatlicher oder nichtstaatlicher EZ-Vertreter/-innen haben nie zum Ausdruck gebracht, die Erfüllung des 0,7 Prozent-Ziels könne monokausal oder in erster Linie die Überwindung von Not und Armut im Süden bewirken. Wäre dies jemals ernsthaft behauptet worden, würde es sich ohne Frage um eine "irrige Vorstellung" handeln.

Die Autoren der o.g. Aufrufe der Jahre 2008 und 2009 wären gut beraten gewesen, auf das didaktische Material zurückzugreifen, das im staatlichen und nichtstaatlichen Bereich für die Entwicklungspolitische Bildung erarbeitet wurde. Ein primär graphisch gestaltetes Beispiel ist die Folienmappe des BMZ, die erstmals 1982/83 vorgelegt wurde. In ihr wird der EZ auch graphisch der Stellenwert eingeräumt, den sie bis heute verdient. (Die Internet-Fundstelle für die jüngste Version der Schaubildmappe aus dem Jahr 2002 lautet: "www.bmz.de/Service/Publikationen/Bildungsmaterialien/Unterrichtsmateria…
Entwicklungspolitik - Folien für Tageslichtschreiber")

Die BMZ-Schaubilder sollen der Notwendigkeit Rechnung tragen, zunächst aus der Vogelschauperspektive den Gesamtzusammenhang aufzuzeigen und sich einzelnen Fragen immer nur unter Wahrung einer ganzheitlichen Sichtweise zu nähern. Auf der obersten Abstraktionsstufe leisten dies insbesondere das BMZ-Schaubild Nr. 16 und auf der Abstraktionsstufe darunter die BMZ-Schaubilder 17, 18 und 19. Sie können als Raster dienen, Einzelinformationen in einen Gesamtzusammenhang einzubetten. Dabei weist das Schaubild Nr. 16 mit dem grünen Bereich des Tortendiagramms der Gesamtpolitik des jeweiligen Entwicklungslandes den Hauptbeitrag für die Frage zu, ob Entwicklung stattfindet oder nicht. Zweitwichtigster Faktor ist der blaue Schaubildbereich, d.h. die Politik der Industrieländer außerhalb des Segments EZ. Den bescheidensten Beitrag erbringt die EZ. Bereits im Lichte dieses Schaubilds, dessen Gestaltung eine intensive wissenschaftliche Beratung vorausging, ist die im ersten Satz des Appells angelegte Gleichung höchst unvollkommen und insofern fehlerhaft.