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Beitrag vom 13.06.2022

FAZ

Afrikas Verständnis für Putin

Von Claudia Bröll

Der Ukrainekrieg schürt die Sorgen vor einer Hungersnot in Afrika. Viele afrikanische Länder stehen trotzdem auf der Seite Russlands.

Zwanzig Millionen Tonnen Ge­treide stecken im Hafen von Odessa am Schwarzen Meer fest. Tausende Kilometer südlich, auf dem afrikanischen Kontinent, verschärft sich derweil eine Hungersnot. Weizen aus Russland und der Ukraine deckt mehr als 40 Prozent des Bedarfs in Afrika. Zwar gibt es in Afrika insgesamt genügend fruchtbare Flächen, um die Bevölkerung zu versorgen. Doch aus vielen Gründen – von schlechter Infrastruktur über geringe Produktivität und Dürren bis hin zu bewaffneten Konflikten – sind zahlreiche Länder auf Agrar- und Lebensmittelimporte angewiesen.

Wer glaubt, dass die Blockade jetzt die Wut auf den Aggressor Russland schürte, irrt. Wie sich während eines Putin-Besuchs des Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU), Macky Sall, zeigte, sind die afrikanisch-russischen Beziehungen weiterhin in­takt. Begriffe wie „freundschaftlich“ und „brüderlich“ fielen. Wie Wla­dimir Putin forderte Sall den Wegfall westlicher Sanktionen. Die Be­schränkungen für Banken und der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-Zahlungssystem machten es fast unmöglich, Weizen und Dünger von dort zu beziehen.

Europa und Amerika sehen das anders. Aus ihrer Sicht trägt allein Russland die Schuld an der drohenden Hungersnot in Afrika – wegen des Einmarschs in die Ukraine, der Zerstörung von Produktionskapazitäten und der Blockade der Schwarzmeerhäfen. Es gebe keine Sanktionen auf Lebensmittelexporte.

Der Streit um Schuld und Weizen treibt den Keil zwischen Afrika und seinen bisherigen westlichen Partner tiefer. Dass der Kontinent mit Blick auf den Ukrainekrieg nicht ge­schlossen hinter dem Westen steht, zeigte sich schon bei der Abstimmung in der UN-Vollversammlung im März. Manche erinnerten sich an die berühmte Antwort von Nelson Mandela 1990 in einem Interview in Amerika: Auf die Frage, weshalb er Yassir Arafat, Fidel Castro und Muammar al-Gaddafi treffe, sagte er: „Einige politische Analysten machen den Fehler, zu glauben, dass ihre Feinde auch unsere Feinde sein sollen.“

Zwar hatten in der UN mehr als die Hälfte afrikanischer Staaten die russische Invasion verurteilt, doch 17 Staaten enthielten sich, acht wa­ren nicht anwesend, ein Land stimmte gegen die Resolution. Überraschend war, dass auch westlich orientierte Staaten wie Südafrika und Se­negal „neutral“ blieben. Doch selbst Regierungen von Ländern wie Kenia und Nigeria, die für die Resolution gestimmt hatten, scheuen seitdem Kri­tik an Russland. Verfolgt man die lokalen Debatten, ist ohnehin fraglich, ob sie mit ihrem Votum die Volksmeinung repräsentierten.

Afrika besteht aus 54 Staaten. Bis auf zwei – Liberia und Äthiopien – sehen sie sich alle als Opfer der kolonialen Vergangenheit. Die Wut und das tiefe Misstrauen gegenüber dem Westen zeigen sich bis heute. Alte Bündnisse aus Zeiten des Kalten Krieges und des Widerstandskampfs erweisen sich als robust. Darüber hinaus gibt es handfeste wirtschaft­liche Interessen. Russland spielt verglichen mit Europa zwar eine kleine Rolle in Afrika. Doch punktuell hat Russland die politischen Eliten in der Hand: mit Söldnern in Mali, Waffenlieferungen an Angola oder aktuell einem angeblichen Energiedeal mit Südafrika.

Die AU freilich hat die Interessen ih­rer Mitglieder im Blick, nicht die Souveränität der Ukraine. Ob richtig oder nicht, die Argumentation Russlands findet in Afrika viel Widerhall. Westliche Sanktionen werden von Sall und Südafrikas Cyril Ramaphosa in einem Atemzug mit dem Krieg als Ur­sache für die Versorgungskrise ge­nannt. Russlands Mitteilung, es sei be­reit, wieder Getreide nach Afrika zu exportieren, verstärkt den Eindruck.

Die Zeit drängt. Schon vorher herrschte in vielen Regionen eine Hungersnot. Das Problem ist nicht nur fehlender Weizen aus der Ukraine. Seit Kriegsausbruch klettern auch die Weltmarktpreise für eine breite Palette an Lebensmitteln und für Treibstoffe in die Höhe. Künftig könnten auch noch die eigenen Ernten ge­fährdet sein, weil Dünger für Millionen Kleinbauern knapp und teuer geworden ist. Russland ist einer der führenden Exporteure von Stickstoff-, Kali- und Phosphordünger auf der Welt.

Der AU-Vorsitzende Sall umgarnt nicht nur Russland. Geschickt navigiert er auch zwischen den verfeindeten Blöcken, sucht auf beiden Seiten Unterstützung. Europa und die Vereinigten Staaten haben bereits Not­hilfen und umfangreiche Förder- und Investitionsprogramme für Afrikas Landwirtschaft in Aussicht gestellt. Ih­nen geht es nicht nur darum, eine hu­manitäre Katastrophe, sondern auch ein Erstarken Russlands in Afrika und damit in internationalen Institutionen zu verhindern. Putin will seit vielen Jahren Allianzen in Afrika schmieden, den Einfluss wie einst in Sowjetzeiten ausbauen. Das scheint ihm weiter zu gelingen.