Beitrag vom 09.06.2022
Weltneuvermessung
Macky Sall – oder Afrikas willfährige Helfer Russlands
Robert Kappel
Senegals Präsident Macky Sall reiste nach Moskau, um Russland zu überzeugen, die Blockade der ukrainischen Häfen aufzugeben. Der Grund: Afrika leide unter Hunger, weil die Weizen- und Maispreise so stark angestiegen seien und Afrika deshalb Nahrungsmittellieferungen von Russland und der Ukraine benötige.
Sall sagte, er sei „beruhigt“ aus seinem Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Sotschi gegangen. Er habe ihn als engagiert erlebt und habe ihm gegenüber betont, „dass die Krise und die Sanktionen für schwache Volkswirtschaften, wie die afrikanischen, ernsthafte Probleme schaffen…Die Sanktionen gegen Russland haben zu großen Problemen geführt, da wir keinen Zugang mehr zu Getreide aus Russland haben, insbesondere zu Weizen, aber vor allem zu Düngemitteln. Und das führt zu ernsthaften Bedrohungen für die Ernährungssicherheit des Kontinents.“ Die Afrikaner seien die Opfer des “Ukraine-Konflikts”.[1] Macky Sall sagte auch: „Ich habe ihm mitgeteilt, dass wir in erster Linie gekommen sind, um ihn um Deeskalation zu bitten und für den Frieden zu arbeiten“. Macky Sall rief „alle Partner dazu auf, die Sanktionen für Weizen und Düngemittel aufzuheben“. Was für eine Verkehrung der wirklichen Aktivitäten Russlands, das den Export ukrainischen Getreides durch seine Militäraktionen unterbindet. Sall flehte Putin geradezu an: Der Senegal habe im Krieg Russlands gegen die Ukraine eine „neutrale Position“ eingenommen. „Sie haben die verschiedenen Abstimmungen in den Vereinten Nationen verfolgt. Trotz enormen Drucks hat die Mehrheit der afrikanischen Länder es vermieden, Russland zu verurteilen.“ Putin hatte also leichtes Spiel.
Macky Sall ist Vorsitzender der Afrikanischen Union (AU), repräsentiert 55 afrikanische Länder und ist mithin ein bedeutender politischer Akteur. Zuletzt beriet er mit der EU, mit China, mit Präsident Macron und auch mit Bundeskanzler Scholz über Kooperationsfelder. Präsident Sall wie auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa brachten es nicht über die Lippen, Russlands Aggression zu verurteilen, sondern erklärten trotz des Angriffskrieges ihre Partnerschaft mit Russlands, mit dem man gemeinsame Interessen vertrete. Inzwischen haben etliche Länder, die Sanktionen gegen Russland mittrugen, sogar wieder Wirtschaftsbeziehungen aufgenommen.
Viele afrikanische Länder verstehen sich zunehmend als Alliierte Russlands. Man muss es sehen, wie es ist: es gibt eine unheilig–opportunistische Allianz aus vielen afrikanischen Ländern mit Russland. Sie vereinen sich mit der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) in einer antiwestlichen Allianz und sie spielen das Spiel der Geostrategie. Sie kooperieren wirtschaftlich und militärisch mit Russland, seien es Algerien, Angola oder Mosambik und Simbabwe. Sozusagen Freunde im Aggressionskrieg. Was man ihnen nicht vorwerfen kann, ist Doppelzüngigkeit. Stattdessen vereint als Antipoden gegen das Völkerrecht und gegen die USA und Europa.
Die Europäische Union (EU) und die USA tragen für dieses Verhalten auch eine Mitverantwortung – durch ihr paternalistisches und neokoloniales Agieren, durch oberlehrerhaftes Verhalten („Ihr habt Probleme – wir haben die Lösungen“) und durch eine ziemlich verfehlte Kooperationspolitik während der vergangenen Jahrzehnte seit der Unabhängigkeit Afrikas. Dazu gehören die weiterhin asymmetrischen Wirtschaftsbeziehungen und die handelspolitischen Maßnahmen, die es Afrika erschwert haben, ihre endogenen Wirtschaftspotentiale zu entwickeln. Kein Wunder, dass es zu einer großen Entfremdung zwischen Europa und Afrika gekommen ist und sich viele Länder von Europa abkehren. Russland versucht daraus Nutzen zu ziehen.
Hunger als Waffe
Macky Sall ist ein Rädchen in dieser antiwestlichen Strategie. Das perfide ist, dass er sich als Repräsentant der AU von Russland einspannen lässt und Hunger als Waffe gegen den Westen benutzt. Darin ist er einig mit vielen afrikanischen Ländern, deren neo-patrimoniale Regierungen von zwei Aspekten ablenken wollen:
1. Russland ist für die sich verschärfende Nahrungsmittelkrise Afrikas durch seine Blockade der ukrainischen Transportwege verantwortlich.
2. Die Hungerkatastrophe auf dem Kontinent ist vor allem hausgemacht ist. Denn die neo-patrimonialen Eliten Afrikas an der Macht interessieren sich nicht für die Bauern. Das ländliche Afrika wurde seit vielen Jahrzehnten vernachlässigt. Deshalb sind viele Länder in eine extreme Nahrungsmittelkrise geraten und immer mehr auf Nahrungsmittelimporte angewiesen.
Weizen als Waffe – schon in den 1960-er Jahren war dies eine wichtige Diskussion. Nahrungsmittel wurden damals bereits instrumentalisiert. Man denke daran, wie Nigeria in den 1960er Jahren zu einem Weizenimportland wurde und die lokale Produktion durch Billigimporte aus den USA geschwächt und Nigeria damit abhängig von Nahrungsmittelimporten wurde.
Nun aber gibt es eine andere Dimension. Nahrungsmittel werden als Waffe im imperialen Krieg Russlands eingesetzt. Macky Sall wird von Putin eingeladen. Er macht seinen Hofknicks und bittet um russische Unterstützung im Kampf gegen die Nahrungsmittelkrise. Doch Putin will durch die Kooperation mit afrikanischen Ländern die Allianz des Westens erpressen und schwächen. Ein leicht durchschaubares Manöver, denn Sall wusste, dass Putin der Ukraine niemals gestatten würde, Weizen über Odessa oder andere Häfen ohne Vorleistungen des Westens zu exportieren.
Macky Sall setzt die Versorgungskrise auf dem Kontinent gegen den Westen ein, aber morgen wird er nach Paris, Brüssel und Washington reisen und um mehr Hilfe bitten. Er kennt die Verhältnisse. Die EU und die USA sind die größten Weizenproduzenten und –exporteure. Nur von ihnen können die Lieferungen kommen. Und so spielt er sein Spiel und schadet langfristig den Interessen Afrikas. Es ist schon ein Los, dass Afrika von Führern wie Ramaphosa und Sall vertreten wird. Sie wollen die geo-strategische Kontroverse nutzen und machen sich mitschuldig.
Und was macht die Europäische Union?
Der Westen kann sich bislang nicht zu einer deutlich pro-aktiveren Politik entscheiden, um Nahrungsmittelhilfe einzusetzen und damit die Macky Salls und Cyril Ramaphosas einzuhegen. Die EU sollte aus der Handlungsstarre rauskommen und sich angesichts der neuen Allianz Russlands mit den afrikanischen Staaten in der Versorgungskrise des Kontinents neu aufstellen. Es gibt drei Möglichkeiten.
1. Europa und auch die USA liefern über die Vereinten Nationen oder das Welternährungsprogramm kostenlose oder stark subventionierte Mengen an Nahrungsmitteln, um die sich ausdehnende Ernährungskrise zu beseitigen. Dadurch würde der Westen zeigen, wie Solidarität gestaltet werden kann. Ziel dieses Agierens müsste es sein, zu helfen und zugleich die Bande zwischen Russland und wenigstens einigen afrikanischen Ländern zu lockern.
2. Die EU könnte versuchen, China, Kanada, Australien u.a. Überschussländer in eine Nahrungsmittel-Allianz einzubinden. Dadurch könnte es gelingen, Russland zu isolieren. Einerseits könnte sich durch dieses gemeinsame Agieren die Hilfe für die afrikanischen Krisenländer erhöhen und andererseits würde sich der Druck auf Russland eindeutig vergrößern. Doch in so einen Deal wird China sich gegenwärtig nicht einspannen lassen. Zudem hat China aus geo-strategischen Gründen kaum Interesse an der weiteren Schwächung Russlands.
3. Die dritte Möglichkeit wären konditionierte europäische Angebote an afrikanische Länder. Die EU unterstützt die Länder mit Nahrungsmittelhilfen, die sich an die Seite Europas gegen Russland stellen. Nach dem Motto: Es geht nicht, dass afrikanische Länder Russlands Krieg dulden und zugleich Hilfe aus Europa erwarten. Dies geo-strategische Agieren würde zeigen, dass Europa sich nicht erpressen lässt.
Die drei Optionen sollten diskutiert und ihre Vor- und Nachteile ausgearbeitet werden. Es scheint jedoch klar zu sein, dass eine Positionierung Afrikas gegen Russland nur dann gelingen kann, wenn China und Indien sich eindeutig gegen Russlands Krieg wenden , aber das ist angesichts des bisherigen Verhaltens und der macht-strategischen Optionen der BRICS-Gruppe eher unwahrscheinlich. Daher entfällt Möglichkeit 2, obwohl diese den größtmöglichen Effekt haben könnte.
Das G7-Treffen in Elmau vom 26.-28. Juni, an dem Südafrika und Senegal als Gäste teilnehmen, könnte genutzt werden, um den afrikanischen Ländern klar zu machen, dass die Anbiederung an Russland einen Preis hat und einer gedeihlichen Kooperation mit Europa im Wege steht. Macky Sall hat sich mit den afrikanischen Staaten öffentlich gegen die EU gestellt – eine ziemlich klare Ansage. Er hat sich zum willfährigen Diener Russlands gemacht. Europa sollte daraus Schlüsse und klar definieren, worum es ihr geht. Deutliche Worte und vor allem eindeutiges Agieren könnten zur Klärung beitragen. Und auch Deutschland könnte klare Zeichen im Rahmen des „Compact with Africa“ setzen. In Dakar und Pretoria würde das eher wirksames Nachdenken hervorrufen als wohlmeinende Beratungen über Entwicklungskooperation.