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For a different development policy!

Beitrag vom 06.06.2021

F.A.S.

Landwirtschaft

Wie helfen Sie Afrika, Herr Fyrwald?

Der Chef des Saatgut-Konzerns Syngenta, Erik Fyrwald, über die Grenzen der Ökolandwirtschaft, Klimaschutz mit Pestiziden und die Gründe für die jüngste Hungersnot.

Herr Fyrwald, in Madagaskar wütet eine Hungersnot, in vielen Teilen der Welt sind Nahrungsmittel knapp. Sie sind der Chef von Syngenta, einem der größten Hersteller von Saatgut und Pflanzenschutzmitteln auf der Welt. Was tun Sie gegen die Misere?

Wir helfen Landwirten dabei, mehr Nahrungsmittel auf weniger Fläche zu ernten, damit die Weltbevölkerung genug zu essen hat. Da geht es einerseits darum, die Ernte gegen Wetterextreme wie Hitze, Trockenheit und Überflutungen zu schützen; andererseits soll möglichst viel CO2 im Boden bleiben, damit der Klimawandel gebremst wird. Wir geben im Jahr 1,8 Milliarden Dollar für die Forschung an Produkten aus, die das möglich machen sollen.

Wie sollen teure neue Produkte in bitterarmen Ländern etwas gegen den Hunger ausrichten?

Fakt ist, dass die Landwirtschaft heute mit viel weniger Pestiziden zuverlässig höhere Erträge erreichen kann als früher. Wir bringen den Landwirten in den Entwicklungsländern bei, wie das geht. Wir nehmen dafür Bodenproben und helfen dann, genau das passende Saatgut zu finden und die richtigen Mittel zur Schädlingsbekämpfung auszuwählen. Dafür haben wir in China als Teil unseres „Modern Agricultural Program“ vor vier Jahren das erste örtliche Landwirtschaftszentrum aufgebaut, heute betreiben wir knapp 400 davon, das ist unser am schnellsten wachsendes Geschäft. Es ermöglicht Kleinbauern mit veralteter Technik den Sprung in die Moderne. Diesen Ansatz bringen wir auch nach Afrika und Indien.

Syngenta gehört seit vier Jahren einem chinesischen Staatskonzern. Soll deshalb ein Modell aus China zum Vorbild für den Rest der Welt werden?

Die chinesische Regierung will die Landwirtschaft modernisieren, und zwar nicht in kleinen Schritten. In China leben 20 Prozent der Weltbevölkerung, das Land verfügt aber nur über sieben Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Das heißt, China wird auf absehbare Zeit auf den Import von Nahrungsmitteln angewiesen sein. Unser Geschäftsführer in China ist 53 Jahre alt. Als Kind hat er Hunger und Unterernährung am eigenen Leib erfahren. Wer so etwas erlebt hat, will es nicht noch einmal durchmachen. Deshalb geht es den Chinesen so sehr darum, dass es genug Lebensmittel auf der Welt gibt. Und deshalb unterstützen sie uns auch, wenn wir etwa Landwirten in Afrika oder Indien helfen. Dafür investieren wir mit unserer Forschung, und unsere Unternehmensstiftung gibt rund 20 Millionen Dollar im Jahr aus. In Indien haben wir schon 6000 Landwirte so ausgebildet, dass sie jetzt mit weniger Pestiziden mehr ernten können.

Das klingt gut. Aber brauchen arme Länder nicht vor allem Spenden und Hilfslieferungen aus dem Westen?

Vor allem Afrika sollte sich selbst ernähren können. Dort gibt es Gegenden mit den besten Böden und dem besten Wetter der Welt. Afrika braucht eigentlich keine Lebensmittelspenden und erst recht keine teuren Lebensmittelimporte, sondern Ausbildung, damit die Menschen dort selbst genug Lebensmittel herstellen können. Stattdessen steigen die Lebensmittelimporte, genauso wie die Bevölkerungszahl. Und als wir in der letzten Heuschreckenplage mit einigen unserer Produkte helfen wollten, scheiterte das daran, dass sie in Afrika nicht zugelassen werden konnten. Wir müssen ihnen also helfen, das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel zu modernisieren.

Die Zahl der Menschen, die nicht genug zu essen haben auf der Welt, ging jahrelang zurück. Jetzt nimmt sie wieder zu. Wie erklären Sie sich das?

Das ist ein sehr ernstes Problem, um das wir uns als Weltgemeinschaft kümmern müssen. Der Maispreis hat sich vergangenes Jahr mehr als verdoppelt. Auch Soja und Weizen sind viel teurer geworden. Zum Teil ist das eine Folge der Corona-Pandemie, zum Teil liegt es an Ernteausfällen wegen zunehmender Wetterextreme. Diese Entwicklung zeigt: Wir brauchen die moderne Landwirtschaft, um genug Nahrungsmittel zu erzeugen, aber auch, um mehr CO2 im Boden zu speichern und um die Zerstörung großer Waldflächen aufzuhalten. In Europa ist diese Einsicht leider nicht weit verbreitet.

Was meinen Sie damit?

Die Landwirtschaft gilt in Europa vielen als das Problem, dabei muss sie die Lösung des Problems sein. Ein Beispiel: Der Plan der EU, bis 2050 CO2-neutral zu werden, ist fantastisch. Klar ist aber, dass man dafür mehr Ertrag je Hektar braucht, nicht weniger. In der sogenannten Farm-to-Fork-Strategie der EU steht jedoch: 25 Prozent der Fläche sollen auf Biolandwirtschaft umgestellt werden, wo die Erträge im Durchschnitt 40 Prozent niedriger sind. Und der Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln soll um 50 Prozent sinken. Gleichzeitig haben neue Produkte, die mit weniger Menge eine höhere Wirkung erzielen, in der EU oft keine Chance auf Zulassung. Am liebsten wäre es manch einem offenbar, wenn wir in der Landwirtschaft alles genauso machen würden wie unsere Vorfahren vor 100 Jahren. Das kann man so wollen. Aber so wird es nicht gelingen, bald 9 Milliarden Menschen zu ernähren.

Sie müssen so reden, Sie wollen schließlich Chemie verkaufen.

Wir haben überhaupt nichts dagegen, wenn die Menge der eingesetzten Pestizide sinkt. Sie hat in den vergangenen 60 Jahren auf der Welt ja schon um mehr als 95 Prozent abgenommen. Wir wollen, dass sie noch einmal um 90 Prozent sinkt. Aber dafür brauchen die Landwirte moderne Mittel, die auch in kleineren Mengen wirken. In Europa dagegen müssen sie ältere Pestizide einsetzen, die mit größeren Mengen eine geringere Wirkung haben. Wir haben ein neues Mittel entwickelt, das Weizen vor Pilzerkrankungen schützt. Es ist seit vier Jahren in Argentinien und Brasilien, in Amerika und China erfolgreich im Einsatz. Man braucht davon 20 Prozent weniger als von dem Vorgänger, und man muss seltener damit auf den Acker gehen. Aber in Europa ist es noch nicht erlaubt, weil bei diesem neuen Produkt nur ein bestimmtes Risiko gesehen wird und nicht der Nutzen. Das gilt übrigens genauso für neue Züchtungsmethoden beim Saatgut.

Sie denken an die sogenannte Gen-schere CRISPR-Cas?

Genau. Es geht darum, vorteilhafte genetische Veränderungen, die in der herkömmlichen Züchtung nach dem Zufallsprinzip vorkommen, schneller zu erreichen. Damit können wir zum Beispiel Tomaten länger haltbar, nährstoffreicher und schmackhafter machen, damit weniger Lebensmittel verschwendet werden und die Menschen sich gesünder ernähren. Wir entwickeln eine Reihe von solchen Produkten, die in den nächsten fünf Jahren auf den Markt kommen sollen. Die Haltung der EU hat aber dafür gesorgt, dass diese Technik noch nicht ihr volles Potential entfalten konnte.

Biolandwirte kommen auch ohne Gentechnik, ohne Insekten- und Unkrautvernichter über die Runden.

Das ist ein Trugschluss. Wir haben in Frankreich eine Fabrik, die Pestizide herstellt, die in der Biolandwirtschaft eingesetzt werden dürfen. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist enorm, die Fabrik läuft rund um die Uhr. Es stimmt auch nicht, dass Biolandwirte nur ungefährliche Substanzen für den Pflanzenschutz einsetzen. Die am weitesten verbreiteten Biofungizide sind Kupfersalze, die giftig für Bodenorganismen sind und sich über die Jahre im Boden anreichern. Erlaubt sind sie trotzdem, sogar in der EU.

Kann es sein, dass Sie die Biolandwirte generell auf dem Kieker haben?

Überhaupt nicht. Es gibt sehr effektive Techniken in der Biolandwirtschaft, die wir nutzen, zum Beispiel den Fruchtwechsel. Hülsenfrüchte lagern Stickstoff im Boden ein; baut man im nächsten Jahr an der gleichen Stelle Getreide an, braucht man weniger Dünger. Aber wenn wir ausschließlich Biomethoden nutzen, kommen wir nicht weit. Mir hat einmal ein Landwirt in Neuseeland seine Apfelplantage gezeigt. Er war ein überzeugter Biobauer, bis er merkte, dass er mit der Zeit immer mehr Biopestizide spritzen musste, um die Ernte zu sichern. Irgendwann hielt er das nicht mehr für sinnvoll und ist umgestiegen. Jetzt spritzt er nicht mehr, sondern weniger als früher. Es gibt auch immer mehr Biobauern, die Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz chemischer Pestizide beantragen, um einer Krankheit oder eines Schädlingsbefalls Herr zu werden. Und wenn man es erst mit einer Katastrophe wie der Heuschreckenplage in Afrika zu tun hat, dann helfen Bioprodukte nicht mehr weiter. Wer dagegen keinen modernen chemischen Insektenschutz einsetzt, verliert die ganze Ernte.

Und mit Chemie wird alles gut?

Ich bin dafür, die besten Elemente von Bio und konventioneller Landwirtschaft miteinander zu verbinden. Dabei gibt es zwei Ziele: genug Nahrungsmittel zu ernten und das Klima zu schonen. Die Fruchtfolge ist eine dieser Techniken. Eine weitere ist, dass wir mit dem Boden schonend umgehen und aufs Pflügen weitestgehend verzichten, weil dabei sehr viel CO2 freigesetzt wird. Nur braucht man dann Herbizide, um den Acker vor der Aussaat vorzubereiten. Nach der Ernte sollten wir schließlich darauf achten, den Boden bedeckt zu halten, um etwas gegen die Erosion zu tun. In weiten Teilen der Welt werden die Pflanzen, die dafür genutzt werden, nach dem Winter jedoch verbrannt. Das ist schlecht fürs Klima. Es gibt moderne Herbizide, das ist dafür die bessere Wahl. Es ist übrigens auch keine gute Idee, nach der Ernte die Stoppeln stehen zu lassen und später zu verbrennen, wie es in Indien und China häufig noch getan wird. Wir haben Saatgut entwickelt, das man über die Stoppeln wachsen lassen kann, das ist die klimafreundliche Methode. Die Landwirtschaft verursacht 12 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes. Dagegen müssen wir etwas tun.

Jetzt klingen Sie fast so wie die Klimakämpferin Greta Thunberg. Würden Sie ihr einen Platz im Aufsichtsrat anbieten? Siemens-Chef Joe Kaeser wollte ja die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer für so einen Posten haben.

Mit ihrer Art zu leben ist Greta Thunberg ein großes Vorbild für uns alle. Und wie sie Jugendliche dazu bringt, sich für ihre Sache, für ihre Zukunft einzusetzen, ist großartig. Ich stimme nicht mit allem überein, was sie sagt. Aber ich habe drei Töchter, die finden sie alle wunderbar. Ich würde mich freuen, wenn Greta einmal bei uns in der Firma auftreten würde. Dass sie Interesse an einem Sitz in unserem Aufsichtsrat hat, glaube ich zwar nicht – aber wir würden ihre Anliegen gerne mit ihr besprechen.

Ein Hindernis dürfte sein, wie sehr die Glaubwürdigkeit Ihrer Branche gelitten hat. Das liegt vor allem am Glyphosat, das nach der Überzeugung amerikanischer Gerichte Krebs erregt. Ihren deutschen Wettbewerber Bayer kostet das Milliarden von Dollar, der Börsenkurs ist ruiniert. Wann nehmen Sie diese Substanz aus dem Sortiment?

Wir verkaufen davon nur sehr geringe Men­gen, nur in einigen unserer Mischungen. Ich bin der Meinung, dass es sich da­bei um eine Substanz handelt, die man durchaus verantwortungsvoll einsetzen kann.

Und wie sieht es mit den Neonikotinoiden aus, dem Insektengift, das Bienenfreunde verdammen?

Wir sind der drittgrößte Saatguthersteller auf der Welt, für unser Geschäft brauchen wir Bienen. Und auch Landwirte brauchen Bienen. Wir verkaufen Neonikotinoide deshalb fast nur zur Behandlung von Saatgut, kaum für die Blattbehandlung. Wir beobachten die Bienenpopulation in den Gebieten, in denen dieses Saatgut genutzt wird. Es gibt da keine Verschlechterung. Und wenn doch einmal Neonikotinoide gespritzt werden, kann man das auf Kulturen und zeitlich so einschränken, dass es den Bienen nicht schadet. Glauben Sie mir: Wir lieben Bienen, genauso wie jeder andere auf der Welt.

Als Syngenta 2017 übernommen wurde, hieß es: In spätestens fünf Jahren kommt die Firma wieder an die Börse. Bald läuft die Frist ab.

Wir haben den Prozess jetzt gestartet. Ich hoffe, wir schaffen es bis Ende 2021.

Das Gespräch führte Sebastian Balzter.