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Beitrag vom 24.03.2021

FAZ

„Die EU ist eine Enttäuschung gewesen“

Tansanias Oppositionsführer Tundu Lissu über die Zukunft des Landes nach Magufuli

Herr Lissu, die Magufuli-Ära in Tansania ist mit dem Tod des Präsidenten abrupt zu Ende gegangen. Planen Sie schon eine Rückkehr?

Wenn meine Sicherheit garantiert ist, werde ich zurückkehren. Aber mündliche Zusicherungen reichen mir nicht. Ich möchte auch sehen, dass die Täter, die mich vor vier Jahren töten wollten, angeklagt werden. Dieser Fall wurde nie aufgeklärt. Magufuli wollte es nicht, weil er das Attentat angeordnet hatte.

Gemäß der Verfassung hat Vizepräsidentin Samia Suluhu Hassan die Staatsführung übernommen. Wird sich unter ihrer Regierung etwas ändern?

Samia Suluhu Hassan befindet sich aus zwei Gründen in einer geschwächten Position: Sie ist eine Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft, und sie kommt aus Sansibar. Sie wird sehr viel Überzeugungsarbeit bei den Festländern leisten müssen. Ihr größtes Problem wird das Erbe Magufulis sein. Er war eine kontroverse Figur, er hat nicht nur die Opposition unterdrückt, sondern fast jeden, auch in der eigenen Partei, der Wirtschaft, den Medien. Sie muss entscheiden, ob sie ein solches Erbe weiterführen oder den Kurs ändern will.

Was ist wahrscheinlicher?

Wenn sie das Richtige tut, wird sie eine Menge Wohlwollen außerhalb der Regierung und außerhalb ihrer Partei ernten. Wenn sie so weitermacht wie Magufuli, wird sie in eine Sackgasse geraten, sie wird sogar mehr Widerstand erfahren als er. Wie gesagt, sie ist aus Sansibar, und sie tritt die Präsidentschaft in einer Zeit an, in der viele die Union zwischen Insel und Festland in Frage stellen.

Glauben Sie, dass sie bis zu den nächsten Wahlen 2025 im Amt bleibt?

Sie wird die Amtszeit beenden. Sie ist als Präsidentin automatisch auch die Parteichefin, und das gibt ihr enorme Macht. Die Regierungspartei CCM wird nie etwas gegen den Präsidenten und Parteichef unternehmen.

Sie waren im Oktober in der Wahl gegen John Magufuli angetreten. Sein Wahlsieg mit einem Stimmengewinn von 84 Prozent war höchst umstritten, doch der Protest insbesondere im Ausland blieb verhalten. Ärgert Sie das?

Ich denke, dass vor allem die EU und die einzelnen Mitgliedstaaten zu lasch mit Magufuli umgegangen sind. Er hat die Wahl gestohlen, das weiß jeder. Er war tyrannisch in seinem Regime, in seinem Umgang mit den Bürgerrechten, hat versucht, die Demokratie zu zerstören. Und Europa, das vorgibt, für die Ideen der liberalen Demokratie zu stehen, hat in diesem speziellen Fall versagt. Wenn es darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen, ist die EU eine große Enttäuschung gewesen. Die amerikanische Regierung unter Donald Trump hat im speziellen Fall von Tansania übrigens viel klarer Kritik geäußert.

Haben Sie vor, 2025 wieder zu kandidieren?

Das hängt von mehreren Faktoren ab. Ich werde sicher nicht antreten, wenn das Wahlsystem so ist wie heute. Wir müssen die Verfassung überarbeiten, damit wir den Weg zu sinnvollen Wahlen ebnen. Vor sieben Jahren hat Suluhu Hassan als Vorsitzende der Verfassunggebenden Versammlung daran gearbeitet. Wir werden ihr sagen, sie muss den Job von damals beenden.

Sie haben in zahlreichen Tweets geschrieben, dass Magufuli an Covid-19 erkrankt und auch daran gestorben sei. Wie können Sie sich so sicher sein, weit entfernt in Belgien?

Magufuli verhielt sich rücksichtslos inmitten einer Pandemie. Er trug keine Maske, er hielt keinen Abstand, er lehnte alle Vorkehrungen ab, suchte stattdessen den engen Kontakt zu den Menschen. Drei seiner engsten Mitarbeiter sind an Corona gestorben.

Hatten Sie Quellen aus seinem direkten Umfeld?

Meine Quellen in Washington, in Johannesburg und in Daressalam haben mir unabhängig voneinander diese Information gegeben. Nach meinem ersten Tweet mit der Aufforderung, die Bevölkerung über den Gesundheitszustand zu informieren, äußerte sich die Regierung eine Woche lang gar nicht. Als alle internationalen Medien über seinen Zustand spekulierten, sagte der Premierminister, dem Präsidenten gehe es gut, er arbeite. Und ein paar Tage später sagt die Vizepräsidentin, der Präsident sei an einer Herzattacke gestorben. Man muss wirklich gutgläubig sein, um das zu glauben.

Sie haben auch geschrieben, dass er in einem Krankenhaus in Kenia behandelt wurde. Die Regierung hat das dementiert.

Er war in Kenia. Meine Quellen haben mir dies vor seinem Abflug, bei seiner Ankunft und bei seiner Abreise bestätigt. Und meine Quellen in Tansania haben mir gesagt, dass er am 10. März gestorben ist, eine Woche vor dem offiziellen Todesdatum. Eine Woche lang wurde seine Beerdigung vorbereitet, die Militärkapelle hat geübt. Glauben diese Leute, wir seien dumm?

Viele Menschen in Tansania müssten davon eigentlich wissen.

Niemand traut sich, so etwas zu sagen. Das Geringste, was einem passieren kann, ist, den Job zu verlieren. Diese Menschen sind gefährlich. Ich glaube nicht, dass er in Kenia starb, aber ich weiß aus meinen Quellen, dass er am 10. März starb.

Die Fragen an den tansanischen Oppositionspolitiker Tundu Lissu stellte Claudia Bröll.