Beitrag vom 16.05.2020
F.A.Z.
Epidemische Entwicklungsdefizite
Von Manfred Schäfers
Akuthilfe und BMZ 2030: Minister Müller verteilt Milliarden – was hilft Afrika auf lange Sicht?
Aus Afrika hört man in Corona-Zeiten relativ wenig. Die Pandemie startete in China, beschleunigte in Europa, griff erst auf Nordamerika über, dann auf Südamerika mit Brasilien in unrühmlicher Sonderstellung. Auf diese Regionen blickte und blickt die Welt. In Afrika ist die Bevölkerung sehr jung, gleichzeitig fehlen Krankenhäuser, Intensivstationen und Beatmungsmöglichkeiten. Wenn das Virus auf dem Nachbarkontinent einen ähnlichen Weg nehmen sollte wie auf der Nordhalbkugel, ist nach Einschätzung von Entwicklungsminister Gerd Müller mit Hunderttausenden Toten zu rechnen. Ein beliebtes Beispiel von ihm ist wahrlich bedrückend: In Äthiopien kommen auf 110 Millionen Menschen ganze 150 Intensivbetten.
Die fragile Lage in Afrika geht gleichwohl im alltäglichen Nachrichtentrubel weitgehend unter. Dabei hat die Corona-Krise schon heute enorme Folgen für die heterogene Gruppe der Entwicklungsländer. Wo Menschen ihre Häuser oder immer noch allzu oft Hütten nicht verlassen dürfen, fehlen Einkommen. Wo Lieferketten reißen, stehen Maschinen still. Wo es keine Sozialsysteme gibt, müssen die Betroffenen sehen, wie sie überleben, große Reserven haben die wenigsten – so wenig wie ihre Regierungen. Dann regieren dort Hunger und Not.
Die Weltgemeinschaft ist in dieser wahrlich existenzbedrohenden Lage gefordert zu helfen, und sie tut es: Internationaler Währungsfonds und Weltbank stehen dabei in vorderster Front. Hinzu kommen andere internationale Organisationen und nationale Geber. Der deutsche Politiker dringt auf weitere Hilfen, aus Berlin, aber auch aus Brüssel. Von der EU-Kommission verlangt Müller stolze 50 Milliarden Euro. Von Bundesfinanzminister Olaf Scholz erhofft er sich beachtliche drei Milliarden Euro zusätzlich für sein Corona-Sofortprogramm. Sein Einsatz ist verständlich, eine außergewöhnlich ernste Zeit erfordert außergewöhnliches Engagement. Aber wenn in der globalen Rezession überall Geld fehlt, fällt die Finanzierung umso schwerer.
Am selben Tag, an dem der Minister sein Corona-Konzept vorstellte, legte er auch sein Reformkonzept für die langfristige Ausrichtung der Entwicklungsarbeit vor – nicht ganz freiwillig, weil er ahnte, dass der Zeitpunkt nicht ideal war. Aber nachdem die F.A.Z. über seine Pläne berichtet hatte, die zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit 25 von derzeit 85 Staaten einzustellen, blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als selbst in die Öffentlichkeit zu gehen. Sein Konzept mit dem Kürzel „BMZ 2030“ stieß sofort auf einige Kritik. Die einen sagen, Müller lasse die Armen im Stich, die anderen bemängeln, er lasse die Chance verstreichen, die deutschen Unternehmen stärker einzubinden und mitzunehmen.
Welche Seite hat recht? Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, die Entwicklungspolitik neu aufzustellen. In den wenigsten Ländern war sie in den vergangenen Jahrzehnten so erfolgreich, dass sie sich selbst überflüssig gemacht hat. Vielmehr schien es genau andersherum zu sein. Länder, die besonders stark unterstützt wurden, haben erstaunlich geringe Fortschritte gemacht. Mit Bodenschätzen ist es nicht anders. Potentiell reiche Staaten sind viel zu oft arme Länder, wenn man von der jeweils regierenden Clique einmal absieht.
Abstrakt ist die Sache schnell klar. In der Praxis kann man über viele Fälle streiten. Im Fall von Burma war der Minister konsequent; die zwischenstaatliche Zusammenarbeit läuft aus, der CSU-Politiker verweist auf das staatliche Verbrechen an den Rohingyas. Ägypten, wo Präsident Abd al Fattah al Sisi autoritär herrscht und Kritiker leicht in Gefängnissen verschwinden können, bleibt jedoch Partnerland. Immerhin hat das Land die mit dem Internationalen Währungsfonds verabredeten Reformen durchgezogen. Ob die Zusammenarbeit mit Kairo fortgesetzt würde, wenn das arabische Land strategisch nicht so bedeutsam wäre? Zweifel sind erlaubt.
Der Ansatz ist nicht falsch, die staatliche Zusammenarbeit zu konzentrieren. Überall ein bisschen mit Fachleuten und ein paar Millionen Euro vertreten zu sein, bringt wenig. Und wo die Korruption blüht, haben Deutsche nichts verloren. Auch nicht, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Im Gegenzug sollte man Regierungen helfen, die mit ihren Reformen, einem verlässlichen Rechtssystem und Investitionen in Bildung und Infrastruktur die Grundlage dafür schaffen, dass ihre Bürger etwas erwirtschaften können, dass Unternehmen entstehen, dass der Handel blüht. Die Strategie, vor allem mit den Staaten verstärkt oder neu zusammenzuarbeiten, die sich einem solchen Kurs verschrieben haben, ist sicherlich unterstützenswert.