Beitrag vom 14.08.2019
NZZ
Uganda/China
Ein leerer Highway für 450 Millionen Dollar – ein Symbol für Chinas Afrika-Expansion?
Peking finanziert und baut in Afrika Brücken, Strassen, Eisenbahnen – und diktiert dabei die Bedingungen. Das solle die lokale Entwicklung ankurbeln, heisst es. Manchmal ist das Gegenteil der Fall. Ein Beispiel aus Uganda.
Fabian Urech, Kampala
Der Verkehrskollaps gehört zum Alltag in Kampala. Wie eine zähe Flüssigkeit kämpft sich die Blechlawine morgens und abends durch die ugandische Hauptstadt. An den Kreuzungen stehen Polizisten und versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen. Doch ihre Trillerpfeifen gehen unter im Dauergedröhn der Autohupen. Wenn es regnet, steht der Verkehr manchmal während Stunden komplett still.
Eine Ausnahme aber gibt es. Auf dem neuen Highway, der vom Stadtrand zum Flughafen führt, herrscht gähnende Leere. Auf der zweispurigen Autobahn, der ersten überhaupt in dem ostafrikanischen Land, können die Fahrzeuge an diesem Freitag an einer Hand abgezählt werden. «Das ist immer so», sagt der Taxifahrer. «Manchmal kreuze ich hier fünf Minuten lang kein Auto.» Das sei eine Strasse für VIP, an den Staus habe sie nichts geändert. «Keine Ahnung, wie die Chinesen uns die andrehen konnten», bemerkt der Mann. Er ist nicht der Einzige, der sich das fragt.
«Die teuerste Strasse Afrikas»
Nie zuvor hat eine Strasse in Uganda eine ähnlich grosse Kontroverse ausgelöst wie der Bau des 51 Kilometer langen «Kampala-Entebbe-Expressways». Für die Regierung ist die Autobahn das wichtigste Infrastrukturprojekt der letzten Jahre. Seit sie vergangenen Sommer eröffnet wurde, hat sich die Reisezeit zwischen Kampala und dem Vorort Entebbe, in dem der internationale Flughafen steht, etwa halbiert. Präsident Museveni, der die Geschicke des ostafrikanischen Landes seit 33 Jahren lenkt, spricht vom «Juwel in der Krone» seines Infrastrukturprogramms und von einem Projekt, das Wachstum und Wohlstand generiere.
Für die zahlreichen Kritiker ist das Augenwischerei. Sie verweisen zum einen auf den zweifelhaften Nutzen des Riesenprojekts: Zum Flughafen oder nach Entebbe, dem lauschigen Vorort am Victoriasee mit lediglich 60 000 Einwohnern, wollen nur wenige. Fliegen ist für die meisten Ugander viel zu teuer. «Dass diese Strasse meist leer sein würde, war von Anfang an klar», sagt Fred Muhumuza, ein Ökonom der Makerere University, der die Regierung bei der Planung der Strasse beriet. «Der Vorschlag, die alte Strasse auszubauen, wurde verworfen. Dabei hätte das viel mehr gebracht – und viel weniger gekostet.»
Die Kosten sind der andere Streitpunkt, der die Gemüter in Uganda erhitzt. Auf 450 Millionen Dollar beläuft sich der Preis der Strasse – einiges mehr, als Uganda sonst jährlich für den Strassenbau im gesamten Land ausgibt. Auch der umgerechnete Preis pro Kilometer sorgt für heftige Kritik. Der sei, sagt Muhumuza, mit fast 10 Millionen Dollar extrem hoch, auch im internationalen Vergleich. Ähnlich sieht das der staatliche Rechnungsprüfer Ugandas. In einer Studie bezeichnete dieser den Preis pro Kilometer als «sehr exorbitant» und verwies darauf, dass in Äthiopien ein vergleichbarer Highway zur Hälfte des Preises gebaut wurde. Ein ugandischer Oppositioneller sprach jüngst gar von der «teuersten Strasse Afrikas».
Wurden die Gesetze eingehalten?
Weil die aufgeschlüsselten Baukosten pro Abschnitt bis heute unter Verschluss bleiben, ist der Vorwurf schwer nachzuweisen. Klar aber ist: Führt man sich die Geschichte des Projekts vor Augen, hätte aus ugandischer Sicht vieles gegen den Bau der Strasse gesprochen.
Da ist einerseits der 350-Millionen-Dollar-Kredit, den die ugandische Regierung im Jahr 2011 für das Projekt aufnahm. Dieser wurde von der chinesischen Staatsbank China Exim Bank ausgegeben und war an die Bedingung geknüpft, eine chinesische Firma mit dem Bau zu beauftragen. Eine öffentliche Ausschreibung, wie sie das ugandische Gesetz eigentlich vorschreibt, gab es nicht. Den Auftrag erhielt die China Communications Construction Company (CCCC), eine grosse Pekinger Baufirma, die noch vor einigen Jahren wegen Korruptionsverdachts auf der schwarzen Liste der Weltbank stand.
Andererseits sieht das ugandische Gesetz für ein Projekt dieser Grösse eine vorgängige Prüfung des Nutzens und des potenziellen Umweltschadens vor. Ob dies gemacht wurde, ist höchst zweifelhaft. «Ich glaube nicht, dass es solche Studien gibt», sagt Muhumuza. Dabei gäbe es auch aus ökologischer Sicht berechtigte Fragen zur Strasse, die über ein grosses Sumpfgebiet führt.
Der Kampala-Entebbe-Highway in Uganda, gebaut und finanziert von China. (Bild: Fabian Urech)
Der Kampala-Entebbe-Highway in Uganda, gebaut und finanziert von China. (Bild: Fabian Urech)
«Sie sind sich nicht so daran gewöhnt»
Zweifelhafter Nutzen, überrissene Kosten, missachtete Gesetze – das wirft die Frage auf: Wieso wurde diese Strasse überhaupt gebaut? Die schriftliche Anfrage an das ugandische Amt für Strassen, das den Bau des Highways verantwortete, bleibt unbeantwortet. Vor Ort aber – das Amt hat seinen Sitz in einem gläsernen Geschäftshaus unweit des Zentrums von Kampala – ist nach einigem Hin und Her ein junger Pressesprecher bereit, Auskunft zu geben.
Das Gespräch nimmt bald skurrile Züge an. «Es gibt deutlich weniger Staus, seit der Highway offen ist», sagt der Mann auf die Frage nach dem Nutzen. Ist das Mutmassung, oder gibt es Zahlen? «Ja, es gibt Studien. Ich schicke sie Ihnen später.» Was ist mit der Umweltprüfung? «Unter den Brückenpfeilern schwimmen im Wasser heute bereits wieder Fische.» Doch gab es vorab eine Prüfung? «Ja, ja. Ich schicke sie nach.» Und die hohen Kosten? «Die Strasse hat viele Eigenheiten, die andere nicht haben.» Welche sind das? «Sie erhalten das per Mail.»
Zum Schluss die Frage zur Zusammenarbeit mit den Chinesen: Wie läuft es? Uganda dränge die Partner dazu, die internationalen Standards einzuhalten. Wie gut klappt das? «Sie sind sich nicht so daran gewöhnt», sagt der junge Pressesprecher lachend und geleitet den Journalisten zum Ausgang. Die versprochenen Dokumente sind trotz mehrmaliger Nachfrage nie eingetroffen.
Wurden Schmiergelder bezahlt?
In Kampala glauben viele, dass der eigentliche Grund dafür, dass die politische Elite Ugandas den Bedingungen der Chinesen zustimmte, anderswo liegt. Ohne Schmiergeld sei ein solches Projekt nicht denkbar, sagt ein Journalist. «Vielleicht hat die Regierung ein Handgeld erhalten, vielleicht das Parlament, das den Kredit bewilligte, vielleicht das Strassenamt – oder vielleicht alle von ihnen.» Ugandische Medien berichteten voriges Jahr von einem Whistleblower, der angeblich um Bestechungsgelder in der Höhe von 10 Millionen Dollar wusste. Beweise dafür wurden indes keine vorgelegt.
Ein redliches Motiv für den Bau der Strasse – zumal zu diesen Bedingungen – ist jedenfalls schwer zu finden. Unnütze Prestigeprojekte, die auf Kredit finanziert werden, kann sich das Land eigentlich nicht leisten. In den letzten Jahren sind die Schulden Ugandas markant gestiegen. Mittlerweile fliesst ein Viertel des Staatsbudgets in den Schuldendienst – dreimal so viel wie in die Bildung. Ein wichtiger Grund dafür sind die chinesischen Kredite, die in den letzten Jahren auf über 3 Milliarden Dollar angewachsen sind. Im Rahmen der Belt-and-Road-Initiative investierte Peking nicht nur in den Bau von Strassen, sondern auch in den ugandischen Energie- und Agrarsektor sowie beispielsweise in eine Zementfabrik.
Der Ökonom Muhumuza nennt es «aberwitzig», dass Uganda in einer solchen Situation weiterhin kommerzielle Kredite von chinesischen Banken aufnehme. Der 350-Millionen-Kredit für den Highway, dessen erste Tranche bereits diesen Sommer fällig wird, werde das Wachstum des Landes und den Handlungsspielraum der Regierung weiter einschränken. Ähnlich sieht das Erias Lukwago, der Bürgermeister von Kampala. Die Rendite der neuen Strasse werde die Kosten niemals aufwiegen. «Noch unsere Kinder und Grosskinder werden die Bürde dieser sehr bedauerlichen Verschuldung zu tragen haben», sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Es droht die Schuldenfalle
Ist das «Infrastruktur-Juwel», das das Wachstum ankurbeln soll, letztlich gar eine Wachstumsbremse? Und besteht in Uganda die Gefahr, in eine gefährliche Abhängigkeit von China zu geraten? Obwohl die Regierung um Präsident Museveni jegliche Kritik an der Autobahn entschieden zurückweist, scheint ihr inzwischen nicht mehr ganz wohl mit der Sache. Nachdem in ugandischen Medien vermehrt die Befürchtung geäussert worden war, China könnte im Falle von ausbleibenden Kreditrückzahlungen wichtige staatliche Besitztümer – beispielsweise Flughäfen oder Dämme – übernehmen, trat der ugandische Finanzminister im Januar vor die Presse. «Wenn es keine Katastrophe gibt, wird das nicht passieren», versuchte er zu beruhigen. «Anderswo gibt es das, hier nicht, glaube ich.»
Überzeugen konnte er damit die wenigsten. Ugandische Oppositionelle und NGO-Vertreter fürchten ein ähnliches Szenario wie in Sri Lanka. Dort hatte die Regierung mithilfe grosszügiger chinesischer Kredite die Infrastruktur ausgebaut. Weil dazu auch Prestigeobjekte mit fragwürdiger Wirtschaftlichkeit gehörten, konnte das Land irgendwann die Schulden nicht mehr bedienen. Die Konsequenz: Colombo sah sich gezwungen, den grössten Hafen des Landes sowie ein Industriegebiet für 99 Jahre an ein chinesisches Unternehmen zu verleasen.
Um dieser Schuldenfalle zu entkommen, scheint man in Kampala vor allem aufs Öl zu setzen. 2006 wurden in Ugandas Boden erhebliche Vorkommen entdeckt, 2020 soll die Förderung beginnen und hernach erhebliche Gelder in den Staatshaushalt spülen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist ungewiss. Die Vorzeichen nähren jedoch die Zweifel: Uganda wäre nicht das erste Land, in dem sich der Rohstoffreichtum nicht als die erhoffte Lösung der Probleme herausstellt, sondern neues Ungemach mit sich bringt.
Was Europa anders macht
Fährt man von Entebbe nach Kampala, trifft man am östlichen Ende der neuen Autobahn auf eine symbolische Kreuzung: Hier, bei der Zufahrt Busega, führt der von China finanzierte Highway auf die Ringstrasse um Kampala, die zurzeit mit finanzieller Unterstützung der EU um zwei Spuren erweitert wird. Anhand der beiden Strassenprojekte lässt sich veranschaulichen, was anders ist, wenn nicht Peking, sondern Brüssel ein Infrastrukturprojekt in Afrika finanziert.
Da ist zum einen die Finanzierung: Im Unterschied zum 350-Millionen-Kredit aus China, den Uganda innert 15 Jahren vollumfänglich (zuzüglich 2 Prozent Zins) zurückzahlen muss, bucht die EU einen Teil der Projektzuwendung als A-fonds-perdu-Beitrag ab. Diesen Zuschuss aus der öffentlichen Entwicklungshilfe in Höhe von 16,6 Millionen Euro muss Uganda nicht erstatten. Hinzu kommt ein Kredit der Europäischen Investmentbank (EIB) in der Höhe von 55 Millionen Euro mit einer Laufzeit von 20 Jahren (den Zinssatz gibt die EIB nicht bekannt; dieser sei «aus kommerziellen Gründen vertraulich», heisst es auf Anfrage).
Deutliche Unterschiede gibt es auch bei den Bedingungen, die an die Kredite geknüpft sind: Während China auf eine chinesische Baufirma pochte und deshalb eine internationale Ausschreibung a priori ausschloss, ist eine solche bei den Europäern Pflicht. Dabei wurden die Firmen, die sich um den Auftrag bewarben, beispielsweise auch auf ihre Einhaltung von Umwelt- und Arbeitsvorschriften geprüft.
Voraussetzung für eine Unterstützung der EU ist zugleich die vorgängige Abklärung der Risiken, die mit dem Projekt verbunden sind. Dabei stehen insbesondere die Auswirkungen auf die Umwelt sowie auf die betroffene Bevölkerung im Fokus. Bei der Ringstrasse in Kampala befasste sich die unabhängige, öffentlich einsehbare Studie unter anderem mit Fragen der Entschädigung von Landbesitzern sowie mit Massnahmen zur Eindämmung von Gewässer- und Grundwasserverschmutzung. Bei dem von China finanzierten Highway fehlt jeder Hinweis darauf, dass entsprechende Abklärungen jemals durchgeführt worden sind.
Ein letzter Unterschied: Beim Engagement der EU sei das oberste Ziel stets die Armutsbekämpfung, erklärt Pavlos Evangelidis von der EU-Delegation in Uganda. Will heissen: Die Finanzierung eines sehr teuren Prestigeprojekts wie des Entebbe-Expressways stünde für die Europäer wohl gar nicht zur Diskussion.
Ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis, eine höhere Umwelt- und Sozialverträglichkeit, ein Fokus auf den Nutzen breiter Bevölkerungsschichten: In vielem scheint eine Partnerschaft mit Brüssel attraktiver als mit Peking. Wieso also haben chinesische Firmen in den letzten Jahren dennoch mehr als die Hälfte der neuen Strassen in Uganda gebaut? Für die Regierung sei die Konditionalität der Europäer oft eher eine Last, meint ein NGO-Vertreter. «Europa arbeitet sorgfältig, China schnell.» Tatsächlich dauert der Ausbau der Ringstrasse um einiges länger als der Neubau des Expressways.
Andere sehen indes noch einen anderen Grund für Chinas Erfolg. «Wer hier nicht bereit ist, Schmiergelder zu zahlen, kommt kaum je zum Zug», sagt ein ugandischer Politologe. Die Europäer würden sich an die Regeln halten. «Aber genau deshalb ziehen sie oft den Kürzeren – besseres Angebot hin oder her.»