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Beitrag vom 09.10.2018

Weltneuvermessung https://weltneuvermessung.wordpress.com/

Afrikastudien an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen bedürfen der Stärkung und Neuausrichtung

Robert Kappel

Die deutschen Afrikawissenschaften (Afrikanistik im engeren Sinne und die modernen Afrikastudien) sind seit längerer Zeit durch eine Schwächephase gekennzeichnet. Regionalwissenschaften/-studien haben keinen sehr guten Ruf (gehabt). Dies gilt auch für Afrikastudien an deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Afrikastudien und Afrikanistik gelten als Orchideenfächer. An nur wenigen Universitäten gibt es Afrikastudienschwerpunkte, die Zahl der Studenten ist gering. Da die Karrieremöglichkeiten aufgrund der sehr geringen Zahl von Lehrstühlen begrenzt sind, wählen immer weniger Wissenschaftler in ihrer Forschung einen Afrikaschwerpunkt.

Grundlegend hat sich die Lage seit vielen Jahren deutlich verschlechtert. Afrika ist trotz der umfangreichen Diskussion in der Öffentlichkeit an den Universitäten und Forschungseinrichtungen weniger denn je präsent. Von einigen Ausnahmen abgesehen lässt sich sogar von einem grundlegenden Aderlass der Wirtschafts- und Politikwissenschaften mit Afrikabezug sprechen. Dies führt dazu, dass immer weniger Studenten der Afrikastudien über politologische und ökonomische Kenntnisse verfügen.

Universitäten

An den deutschen Universitäten mit Afrikastudien/Afrikanistik gibt es fast durchgängig Studienschwerpunkte aus einer Mischung von Sprachenerwerb (Haussa, Swahili u.a.), Ausbildung in Ethnologie, Kulturen, Literatur und Geschichte mit teilweise achtbarer Forschung, zu der u.a. auch die Förderschwerpunkte der Volkswagenstiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) beigetragen haben. Wirtschafts-, Agrar- und Politikwissenschaften spielen an den Afrikastudiengängen kaum noch eine Rolle. Soziologie Afrikas wurde zeitweilig an verschiedenen Universitäten gelehrt (Bielefeld, FU Berlin). Jenseits der reinen Afrikastudiengänge forschen und lehren zahlreiche Entwicklungsökonomen auch gelegentlich zu Afrika (Jena, Göttingen, Heidelberg). Dies gilt auch für einige Fachhochschulen.

Dass die heutigen Afrikastudiengänge immer noch von der Lehre der Sprachen, Kultur, Geschichte und Ethnologie dominiert werden, hat vor allem mit der Tradition der deutschen Afrikanistik zu tun, die davon ausging, dass man zu Afrika nur forschen könne, wenn man auch lokale Sprachen spreche und die Geschichte und Kultur Afrikas kenne. Aus dieser Tradition heraus entwickelten die meisten westdeutschen Afrikastudiengänge ihre eigene typische Dynamik, die in der Verfestigung dieser Strukturen auf die Afrikanistik im engeren Sinne bestand. Eine Öffnung der Afrikanistikstudiengänge begann sehr zögerlich und war auch kaum erfolgreich. Eine Ausnahme ist die Universität Bayreuth, die ein umfangreiches Lehr- und Studienprogramm zu Afrika entwickelt hat, allerdings ohne die Wirtschaftswissenschaften systematisch einzubeziehen. Eine Ausnahme war auch die Afrikanistik der Universität Leipzig, die nach der Wende ihre DDR-Konzeption der Integration von Sprachen, Kultur, Ethnologie, Geschichte mit Jura und Wirtschafts- und Politikwissenschaften usw. in eine neue Form der integrierten Afrikastudien überführte.

Politik- und Wirtschaftswissenschaften spielen in den Afrikawissenschaften kaum eine Rolle mehr. So wurden u.a. der Lehrstuhl für Afrikapolitik an der Freien Universität Berlin (Professor Dr. Franz Ansprenger) und die Wirtschaftswissenschaften am Institut für Afrikastudien der Universität Leipzig (besetzt vorher durch Professor Dr. Helmut Asche und Professor Dr. Robert Kappel) nach der Emeritierung der Lehrstuhlinhaber abgeschafft und entweder vollständig gestrichen – wie an der FU, bzw. durch eine Ethnologieprofessur (Leipzig) ersetzt. Bereits seit Ende der 1990er Jahre wurden die Wirtschaftswissenschaften mit Afrikabezug an der Universität Bremen vollkommen runtergefahren. Hier gab es zeitweilig bis zu sechs Wirtschaftswissenschaftler.

Nur wenige relevante politikwissenschaftliche Lehrstühle mit Afrikaschwerpunkt existieren (Freiburg, Bayreuth, Leipzig mit jeweils einer Professur). Bayreuth hat den größten Schwerpunkt für Afrikastudien einer deutschen Hochschule. Er verbindet Grundlagenforschung mit Anwendung und kooperiert eng mit afrikanischen Partnern. Untersucht werden Antworten Afrikas auf globale Herausforderungen wie Mobilität, Sicherheit, Klimawandel oder Entwicklung. Die Universität Bayreuth hat zudem die International Graduate School African Studies (BIGSAS) gegründet. Es gibt einen Afrika-Politologen (Juniorprofessur) aber keinen Wirtschaftswissenschaftler.

An den Universitäten Leipzig und Freiburg gibt es jeweils einen Politologen mit Afrikaschwerpunkt und an der Universität Mainz einen emeritierten Wirtschaftswissenschaftler. Am Zentrum für interdisziplinäre Afrikaforschung der Goethe-Universität Frankfurt – ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern aus sieben verschiedenen Fachbereichen werden wirtschaftswissenschaftliche Fragen nicht behandelt. Ebenso wenig an der Humboldt-Universität zu Berlin (Geschichte) und den Universität Hamburg (Äthiopistik), Köln (Ethnologie, Archäologie). Eine im Jahr 2018 gemeinsam ausgeschriebene Professur für Politik Afrikas der FU Berlin mit dem GIGA German Institute of Global and Area Studie in Hamburg wurde nicht besetzt.

Wirtschaftswissenschaftliche Kompetenz zu Afrika existiert fast gar nicht mehr an deutschen Universitäten, obwohl es ein großes Interesse bei Studenten und Doktoranden gibt. Zahlreiche Promotionen zu wirtschaftlichen Fragen Afrikas werden jenseits der Afrikastudiengänge zumeist im Rahmen von Lehrstühlen der Entwicklungsökonomie verfasst. Diesen fehlen aber oft die afrikaspezifischen Kompetenzen und Felderfahrungen in afrikanischen Ländern.

Forschungsinstitute

Die Zahl der deutschen Forschungsinstitute, die sich mit afrikanischen Entwicklungen aus politologischer wie aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht befassen, ist überschaubar. Was die Präsenz der Ökonomie betrifft, ist die Lage eher auf der Skala von unbedeutend anzusiedeln, was dazu geführt hat, das Politologen, Historiker oder Soziologen sich auch zu wirtschaftlichen Entwicklungen äußern, ohne wirklich kompetent zu sein. Die bekannten deutschen wirtschaftswissenschaftlichen Institute (wie bspw. Institut für Weltwirtschaft in Kiel, Ifo-Institut in München, DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin) haben mit Ausnahme des IfW kaum noch Afrikaexpertise, auch wenn gelegentlich Studien zur Entwicklung Afrikas vorgelegt werden (bspw. zum deutschen Handel mit Afrika vom Ifo).

Das Arnold-Bergstresser Institut (ABI) in Freiburg ist eine der kleineren Forschungsinstitute mit politikwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten. Themen sind Machtteilung nach Friedensabkommen, Konflikte, Krisenprävention, deutsche und französische Afrikapolitik, Entwicklungspolitik, Transition und Demokratisierung, Entwicklungszusammenarbeit, Flucht und Migration. Eine Besonderheit ist, dass sich das ABI im Rahmen des Maria Sybilla Merian Institute for Advanced Studies in Africa (MIASA) gemeinsam mit afrikanischen Partnern dem Thema Sustainable Governance in Afrika widmet. Es gibt sieben zu Afrika forschende Mitarbeiter aber keinen Wirtschaftswissenschaftler.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn ist in der deutschen Afrikaforschung führend. Es hat seine Forschungsagenda in den letzten Jahren stetig erweitert und ist auch in der Politikberatung sehr präsent. Die Themen sind u.a. inklusives Wachstum, afrikanische Demokratien oder Autokratien, Landwirtschaft Afrikas, technologische und institutionelle Kompetenzen zur Bewältigung umweltpolitischer Herausforderungen, Entwicklungszusammenarbeit in Afrika, China in Afrika, afrikanische Finanzsysteme. Einige Mitarbeiter des DIE befassen sich auch mit gegenwärtig sehr zentralen Fragen Afrikas, wie Jugendarbeitslosigkeit, Industrialisierung, Nachhaltigkeit und green economy. Durch politikrelevante Publikationsreihen wie Discussion Papers, Kommentare und Blogs ist das DIE in Deutschland Marktführer und auch weltweit präsent. Dazu trägt u.a. die Teilnahme und führende Rolle in der T20 Africa Standing Group bei. Das Netzwerk umfasst über 30 führende Think Tanks aus Afrika und den G20 Ländern. Es gibt knapp 30 zu Afrika forschende Mitarbeiter.

GIGA German Institute of Global and Area Studies in Hamburg war einst das führende deutsche Forschungsinstitut mit Afrikabezug und beschäftigte auch Wissenschaftler, die sich den Fragen der Wirtschaftsentwicklung Afrikas widmeten. Das Institut für Afrikastudien am GIGA befasst sich in Forschungsprojekten gegenwärtig mit den folgenden Themen: Persistenz authoritärer Systeme, Konflikte, Terrorismus; soziale Sicherungssysteme, Landgrabbing, Umwelt, Migration, wirtschaftliche Transformation. Als politik-relevante Publikation gilt der GIGA Focus Afrika, der ca. 6-mal im Jahr veröffentlicht wird. Das GIGA gibt zusammen mit der VAD (Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland) auch die international angesehene Zeitschrift Afrika Spectrum heraus. Die wirtschafts- und politikrelevante Forschung am GIGA zu Afrika ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Zahl der zu Afrika forschenden Mitarbeiter beträgt 11.

Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin befasst sich in ihrer Forschung u.a. mit maritimer Sicherheit, der Afrikanischen Union, Piraterie, Entwicklungen der Sahelzone, Migration, deutsche und französische Afrikapolitik sowie Handel. Es gibt jeweils eine Wirtschafts- und Agrarwissenschaftlerin, die vor allem Handelsfragen und Landwirtschaftspolitik analysieren und dabei auch afrikanische Entwicklungen einbeziehen. Zahlreiche politikrelevante Publikationsreihen werden veröffentlicht, wie SWP aktuell und SWP Studien.

Das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) an der Universität Bonn widmet sich der Forschung zu Landwirtschaft und Umweltfragen in Afrika und ist eher auf Doktorandenausbildung ausgerichtet.

Es gibt zahlreiche weitere wissenschaftliche Einrichtungen (wie das HfSK in Frankfurt), Think Tanks oder Stiftungen (wie die Bertelsmann- oder Bosch-Stiftung), die gelegentlich zu Afrika publizieren. Diese führen jedoch kaum eigene Afrika-Forschung durch.

Von Belang ist auch die VAD als Zusammenschluss von Afrikawissenschaftlern und Instituten. Zahlreiche Institute sind auch Mitglied in AEGIS (Africa-Europe Group for Interdisciplinary Studies; europäischer Zusammenschluss von Universitäten mit Afrikabezug, gegründet 1991). Auf deutscher Seite gehören Leipzig, Bayreuth, Frankfurt, Hamburg, Mainz und Freiburg dazu.

Zusammenfassung

Deutsche Afrikawissenschaft ist extrem klein und in den letzten zehn Jahren eher noch kleiner geworden, es gibt nur wenige herausragende Einrichtungen und Einzelwissenschaftler auch von internationalem Rang. Die Wissenschaftler der Universitäten publizieren meist in Nischen, referierten Zeitschriften und veröffentlichen zunehmend in internationalen Verlagen (wichtig für Anträge bei der DFG).

Die Bereitschaft Politikberatung zu machen, ist eher gering, da für die Karriere an den Universitäten und Forschungseinrichtungen eher die wissenschaftliche Expertise (ausgewiesen durch peer-reviewed journals und erfolgreiche Anträge bei der DFG) entscheidend ist als Politiberatungserfahrungen.

Die Anzahl der politik-relevanten Publikationen ist überschaubar. Von den o.g. Universitäten werden keine wirtschaftswissenschaftlichen Studien mehr publiziert. An den Forschungseinrichtungen sind nur wenige Wirtschaftswissenschaftler tätig. Gelegentlich nur habe einige der Forschungsergebnisse der genannten Einrichtungen im öffentlichen Diskurs und in der Politikberatung eine Rolle gespielt.

Es gibt zahlreiche Stärken in der deutschen Afrikaforschung, was sich an den vielen Forschungsprojekten von Relevanz zu einzelnen Fragen festmachen lässt (Migration, sustainable development, land grabbing). So sind bspw. Bayreuth und das DIE sehr erfolgreich bei der Einwerbung von Drittmitteln. Durch Forschungsförderung (bspw. Programm der DFG zu Afrika) und Graduate Schools gibt es zahlreiche interessante Forschungsprojekte und -verbünde mit afrikanischen Einrichtungen und Wissenschaftlern. Vor allem ist hier der DAAD mit seinen Programmen zur Kooperation deutscher mit afrikanischen Universitäten und auch das Programm der DFG zu Point Sud zu erwähnen. Jedoch sind die Wirtschaftswissenschaften eher wenig beteiligt. Geradezu auffällig ist, wie sehr substantielle empirische Forschung zu allen wichtigen gegenwärtigen wirtschaftlichen Fragen Afrikas fehlt: Migration, Ursachen von Flucht, Transformation der afrikanischen Ökonomien, Mittelschichten und Dynamik des Mittelstandes, Auslandsdirektinvestitionen, Handel, Landwirtschaft, EU-Afrikakooperation, technologische Kooperation usw. Darin unterscheidet sich die deutsche Forschung grundlegend von den hochrangigen und empirisch ausgewiesenen Einrichtungen in Großbritannien und den USA, u.a. der von Chatham House, ODI, Brookings, Centre for Global Development.

Die Folge dieser Schwächen der deutschen Afrikaforschung ist auch, dass in den deutschsprachigen Medien und der Öffentlichkeit ein wenig differenziertes Bild von Afrika rezipiert – manchmal geradezu gepflegt – wird. Die grundlegende Transformation des Kontinents, die neuen Entwicklungen und die afrikanischen Aktivitäten sind weitgehend unbekannt, so dass sich Vorurteile vom Kriege-Katastrophen-Krisen-Kontinent immer wieder neu zu bestätigen scheinen. Wissenschaft hätte hier eine wichtige Aufgabe mit ihrer Expertise in die Öffentlichkeit (Medien, Wirtschaft, Politik, Schulen usw.) hineinzuwirken und Mythen zu dechiffrieren.

Nur durch eine starke Afrikaforschung und exzellente moderne Afrika-Lehre kann es auch einen wirklichen Dialog und kontroverse Auseinandersetzungen, eine ausreichende Expertise für Regierungsentscheidungen, für den Diskurs in politischen Stiftungen, Parteien und NGOs und mit der Öffentlichkeit geben. Davon ist Deutschland leider weit entfernt.

Um dahin zu gelangen bedarf es der Stärkung der afrikabezogenen Wissenschaften, des Aufbaus neuer Think Tanks und des Umdenkens in den Forschungsfördereinrichtungen (wie der DFG), die der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Forschung deutlich mehr Raum verschaffen muss, als dies bisher der Fall ist. Dazu bedarf es auch eines Umdenkens in den und des Drucks auf die Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dazu bedarf es auch der Wahrnehmung in den großen Forschungsverbünden, wie der Leibniz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft, dass die deutsche Afrikawissenschaft nur durch eine Neuausrichtung auf moderne Afrikastudien international wieder anschlussfähig werden kann. Dazu bedarf es auch des Engagements der deutschen Wirtschaft für die Errichtung wirtschaftswissenschaftlicher afrikabezogener Lehrstühle.

Der Verfasser lehrte an den Universitäten Bremen, Leipzig, Hamburg und war von 2004-2011 Präsident des GIGA in Hamburg. Er ist Professor em. an der Universität Leipzig, Institut für Afrikastudien.

email: robert.kappel@uni-leipzig.de