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Beitrag vom 17.02.2018

FAZ

Migration aus Westafrika : Wie Deutschland Fluchtursachen bekämpft

Von Martin Franke

Mustapha wollte nach Deutschland. Doch schon in Libyen wurde der Mann aus Gambia festgenommen und als Sklave verkauft. Dann kam er frei. Jetzt kämpft er dagegen, dass Landsleute gen Europa flüchten – mit deutscher Hilfe.

Geschlagen, getreten, missbraucht – und dann verkauft. Mustapha Sallah hat auf seiner Odyssee durch Afrika viele Grausamkeiten erlebt. Doch nirgends war es so schlimm wie im Gefängnis von Tripolis, erzählt er. „Tripolis ist eine Hölle.“ Der 26 Jahre alte Gambier träumte von einem Leben in Deutschland, wollte Informatik studieren und seiner Familie in Westafrika durch Geldsendungen helfen. Schätzungsweise 22 Prozent des Staatshaushaltes in Gambia setzen sich aus Rücküberweisungen zusammen. An der „lächelnden Küste Afrikas“, wie Gambier ihr Land nennen, gab es bisher wenig Arbeit. Daher verließ Mustapha seine Heimat im Juli 2016.

In der Hauptstadt Banjul stieg Mustapha in ein Flugzeug nach Nigeria und schlug sich nach Niger durch. „Du schaffst das, du bist ein starker Mann“, sagte man ihm. Er passierte das Drehkreuz Agadez in dem Binnenstaat – wie die meisten auf dem Weg nach Norden. Eingepfercht auf einem Pick-up, mit dreißig anderen Personen, durchkreuzte er die Sahara. Nicht alle überlebten die zehntägige Fahrt, erinnert er sich.

In Tripolis angekommen, nahmen Männer ihm sein Handy und Geld weg – selbst die Armbanduhr rissen sie ihm vom Leib. Wer die Diebe waren, weiß er nicht, irgendwelche Milizen oder Schlepper, vermutet er. Libyen sei ein Staat ohne Ordnung, sagt Mustapha. Und weil er noch nicht genug gestraft war, steckten sie ihn in ein Gefängnis.

Traum von Europa ein Albtraum

„Ich wurde geschlagen, ich wurde gequält – wie fast alle. Einmal verprügelten sie mich so sehr, dass ich zehn Tage lang nicht gehen konnte.“ Er sollte das Gefängnis verlassen, jedoch nicht als freier Mensch, sondern als Sklave. Mustapha wurde verkauft – Preis unbekannt – und zu Feldarbeit gezwungen. Drei Tage hielt er es aus, dann rannte er mit vier anderen versklavten Gambiern einfach weg. Sieben Stunden in Richtung Süden, erzählt er. Doch den Traum von Europa wollte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgeben. Also suchte Mustapha wieder nach Schleppern, die ihn in das gelobte Land bringen sollten.

Es kam aber nicht dazu. Der junge Gambier wurde abermals festgenommen. Vier Monate hinter Gittern veränderten schließlich seine Einstellung und das Leben in seinem Land: Gambia wählte einen neuen Präsidenten, schickte den Diktator Yahya Jammeh ins Exil nach Äquatorialguinea – und Mustapha begrub seinen Mythos von Europa im Gefängnis. Dort begann er auch zu überlegen, wie man Gleichgesinnte aus Gambia von der todesmutigen Reise nach Norden abhalten könnte.
Selbst der Präsident war Flüchtling

Mit der „Internationalen Organisation für Migration“ (IOM) wurde er als einer von 2500 Personen nach Gambia zurückgeflogen und gründete eine eigene Organisation zur Bekämpfung von Fluchtursachen: „Youth Against Irregular Migration“. Mit anderen Freiwilligen tourt er seitdem durch das Land, spricht mit Jugendlichen auf den Straßen und in Schulen. Das Ziel sei es, schon Kinder zu sensibilisieren – mit seinen eigenen Erlebnissen, aber auch Musik oder Sport, sagt Mustapha. „Wir wollen nachhaltige Jobs schaffen, strategische Programme entwickeln und umsetzen, dazu gehören Anreize für Landwirtschaft oder den Privatsektor. Unsere Mission ist es, Jugendliche zu entmutigen zu fliehen.“

Laut dem Gambier käme die Initiative gut bei der Bevölkerung an, nicht zuletzt, weil fast jeder Freunde oder Familienangehörige habe, die das Land „backway“, also über den Hintereingang durch die Wüste und nicht per Flug, verlassen haben. Mit seinem zivilgesellschaftlichen Engagement verdient Mustapha zwar kein Geld, immerhin wird das Projekt von der Deutschen Botschaft in Banjul unterstützt.

Es ist ein schweres Unterfangen – und Mustapha nicht der einzige Rückkehrer. Gambia ist der kleinste Staat auf dem afrikanischen Kontinent. Gemessen an den rund zwei Millionen Einwohner ist das Land jedoch afrikanischer Spitzenreiter an Flüchtlingen, die sich in Richtung Europa aufmachen. Selbst der Präsident, Adama Barrow, der seit rund einem Jahr im Amt ist, floh als 22-Jähriger. Bei einer Pressekonferenz mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Dezember gestand er ein: Er dachte früher einmal, dass in Deutschland das Geld an Bäumen wachse.
Elf Millionen Euro gegen Fluchtursachen

Barrows Wahl zum Präsidenten hat das Land euphorisiert, erklärt Judith Altrogge, die über die Rückkehrmigration nach Gambia forscht. Die Pressefreiheit ist zwar wiederhergestellt, Oppositionelle werden nicht mehr verfolgt und im April soll das Land in den Commonwealth zurückkehren. Doch die Ungeduld „hinsichtlich weiterer Fortschritte“ wachse, meint Altrogge. Abhilfe schaffe daher der in Valletta 2015 beschlossene EU-Nothilfefonds für Afrika, dem das „Youth Empowerment Project“ (YEP) untersteht. Elf Millionen Euro sind in dem Topf, mit dem die Fluchtursachen in Gambia an der Wurzel gepackt werden sollen. Ein kleiner Betrag im Vergleich zu den insgesamt 1,8 Milliarden Euro des Nothilfefonds. Dennoch: „Es werden potentiellen Migranten und Rückkehrern gleichermaßen Ausbildungsprogramme vermittelt, die relativ schnell ins Leben gerufen wurden mit Partnerinstitutionen, an denen diese Ausbildungen durchgeführt werden.“ Unkomplizierte Minikredite, für die Gambier sich bewerben können, um ihr eigenes Geschäft aufzumachen, seien positiv; ebenso die Rückkehr internationaler Organisationen in das Land.

Das EU-Programm, das auf vier Jahre angesetzt ist, setze laut Altrogge „Anstöße, Impulse“. Die Regierungskapazitäten aber müssten mitwachsen, mahnt Altrogge. Dies reiche aber nicht aus, um strukturelle Probleme wie fehlender Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, Unterbezahlung oder die oft problematische, da saisonal bedingte Arbeitsplatzsicherheit gelöst werden. Dafür fehle es an Anpassung der staatlichen Strukturen durch solche extern gesteuerten Hilfsprogrammen. Nach einer intensiven Marktanalyse durch das Programm stand fest, dass die Schwerpunkte auf Landwirtschaft, Tourismus und Informations- und Kommunikationstechnik liegen. „Die schaffen es zum Beispiel innerhalb eines halben Jahres mehrere Hundert Leute in Trainingsprogramme unterzubringen. Dann ist das zwar echt viel, aber im Verhältnis zu dem, was an Bedarf da ist, ist das zu wenig.“ Zudem ist sich Altrogge nicht sicher, ob die von Europa gewollte kompetitive Marktsituation von den Jugendlichen so angenommen wird.
Unsicherheitsfaktor Libyen

Der Erfolg der Migrationspolitik in Gambia hängt jedoch noch an einem anderen seidenen Faden: Sollte sich Libyen stabilisieren oder eine andere Fluchtroute beliebter werden, könnte die Situation im Land wieder kippen. „Ich glaube, dass viele der Rückkehrer bereit sind es wieder zu versuchen“, sagt Altrogge. Der gambische Diskurs um Rückkehrer beschränke sich derzeit vor allem auf das Kriegsland Libyen, so die Wissenschaftlerin. Aber selbst der Markt für gefälschte Visa blüht in Gambia anscheinend derzeit auf.

Die Migration seiner Landsleute gen Europa will Mustapha Sallah vermeiden – und setzt sich weiter gegen die Flucht von der lächelnden Küste ein. „Die jungen Leute kennen die Realität nicht. Wenn ich sie gekannt hätte, wäre ich nicht gegangen. Wenn ich also zur Jugend spreche, selbst wenn ich nicht jeden retten kann, macht es einen Unterschied“, sagt Mustapha. Auch wenn es für den jungen Mann aus Gambia nicht immer ganz leichtfällt, ohne festen Job und vage Perspektiven daran zu glauben.