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For a different development policy!

Beitrag vom 13.09.2017

DIE Deutsches Institut für Entwicklungspolitik

Arbeitsplatzoffensive für Afrika

Tilman Altenburg

mit Beiträgen von Michael Brüntrup, Christine Hackenesch, Christian von Haldenwang, Merran Hulse,
Niels Keijzer, Julia Leininger, Markus Loewe, Dirk Messner, Imme Scholz und Peter Wolff

Vorbemerkung

Der vorliegende Bericht ist eine Stellungnahme des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik zu einer
Anfrage des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller,
wie die in Afrika jährlich benötigten 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden könnten und
was Deutschland dazu beitragen könne.

Die Zahl 20 Millionen stammt aus dem Joint AfDB, IMF and WBG Report „The G-20 Compact with Africa“,
welcher für das G20-Treffen der Finanzminister und Notenbankgouverneure am 17.- 18. März
2017 verfasst wurde. Es heißt dort mit Bezug auf den Regional Economic Outlook Sub-Saharan Africa
des IWF vom April 2015: “Some 20 million jobs need to be created in Africa every year until 2035 just
to absorb new entrants into the labor force”. Der IWF selbst spricht von jährlich 18 Millionen Arbeitsplätzen, die geschaffen werden müssten (IMF 2015, 39).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen hängt, angebots- wie nachfrageseitig, von vielfältigen Faktoren ab.
Zudem stellen sich die Bedingungen in den Ländern Afrikas zum Teil sehr unterschiedlich dar. Es ist
daher nicht leicht, auf eine so komplexe Frage auf weniger als 20 Seiten Antworten zu geben, die über
das allgemein Bekannte hinausgehen und für die Politik des BMZ einen praktischen Nutzen haben. Wir
haben auf den folgenden Seiten versucht, das Gesamtpanorama zu skizzieren und dabei Dinge zu priorisieren,
die aus unserer Sicht in der beschäftigungspolitischen Debatte und in der Praxis der (deutschen)
Entwicklungspolitik stärker berücksichtigt werden sollten. Auch konnten wir im Rahmen der
vorliegenden Stellungnahme nicht im Detail auf das „Wie“ der praktischen Implementierung eingehen,
haben aber viele Verweise auf entsprechende weiterführende Quellen eingefügt.

Außerdem sollten Regierungen sich Gedanken machen, wie die Versorgung derjenigen Haushalte gewährleistet
werden kann, die über keinerlei Einkommen verfügen und für die realistisch in mittlerer
Frist keine marktbasierten Jobs entstehen werden. Wir diskutieren dazu sehr knapp die Optionen öffentlicher
Beschäftigungs- und Geldtransfer Programme.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass angesichts der Heterogenität der Region selbstverständlich
eine subregionale Differenzierung der hier aggregierten Aussagen notwendig wäre; auch dies kann
die hier vorgelegte Überblicksstudie allerdings nicht leisten.

Wir hoffen, mit unserer Stellungnahme zu einer verbesserten Positionierung der deutschen Entwicklungspolitik in der kommenden Legislaturperiode beizutragen.

Bonn, 5. September 2017

Zusammenfassung

In Afrika fehlen produktive Arbeitsplätze. Das Hauptproblem ist dabei nicht Arbeitslosigkeit, sondern
es sind Unterbeschäftigung, mangelnde Produktivität und prekäre Arbeitsbedingungen. In Ländern, in
denen es keine nennenswerte Sozialhilfe gibt, können es sich nur wenige Menschen leisten, wirklich
arbeitslos sein. 84% der Erwerbsbevölkerung Subsahara-Afrikas ist informell und unregelmäßig beschäftigt,
die meisten sind selbstbeschäftigt. Was fehlt sind produktive und stabile Jobs.

Ehemals arme Länder in anderen Regionen, insbesondere in Asien, haben einen Strukturwandel durchlaufen,
in dem Arbeitskräfte aus der Subsistenzlandwirtschaft und dem Kleinsthandel in arbeitsteilig
organisierte und diversifizierte Tätigkeiten in Industrie und produktionsorientierten Dienstleistungen
wechselten, so dass Produktivität und Einkommen auf breiter Basis stiegen. Ein solcher produktivitätssteigernder

Strukturwandel findet in Afrika nicht oder allenfalls äußerst langsam statt.
Benötigt werden daher Strategien für eine massive Beschleunigung des derzeit stockenden Strukturwandels.
Dabei ist zweierlei zu beachten. Erstens ist das Segment der modernen Privatwirtschaft mit
stabilen Regelarbeitsbeziehungen derzeit so verschwindend klein, dass selbst mehrere Jahrzehnte mit
BIP-Wachstumsraten zwischen 5 und 10% nicht ausreichen würden, um die große Zahl der prekär Beschäftigten
und Arbeitslosen zu integrieren. Benötigt wird daher eine zweigleisige Strategie, die neben
der Förderung des modernen Unternehmenssektors zugleich die Produktivität und Einkommen in bäuerlichen
und informellen Kleinstunternehmen steigert. Letzteres wird bislang stark vernachlässigt.

Zweitens ändern sich die Rahmenbedingungen für den Strukturwandel derzeit radikal – Stichworte u.a.
Urbanisierung, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Abwanderung leichtindustrieller Exportbranchen
aus China – sodass bisherige Entwicklungswege nicht einfach weiter beschritten werden können; neue
Optionen ergeben sich und einige alte werden verschwinden.

Um gute Arbeitsplätze im erforderlichen Umfang zu schaffen, ist also ein die Produktivität in der breite
erhöhender Strukturwandel nötig, der gleichzeitig die radikalen Umbrüche in der Weltwirtschaft berücksichtigt.

Was kann die Politik dafür tun und was kann die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) beitragen?

Wir stellen vier Bereiche heraus, in denen sich die deutsche EZ stärker oder mit verändertem
Fokus engagieren sollte:

(1) Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, wobei wir der Akzente setzen: politische
Reformen auf Länderebene; deren Unterstützung durch internationale Prozesse wie die Addis Tax Initiative;
und die Unterstützung regionaler Integration.

(2) Verstärkte Förderung bestimmter Wirtschaftssektoren, in denen wir angesichts globaler Trends Potenzial
für massive Arbeitsplatzzuwächse sehen. Dazu zählen wir angesichts rascher Urbanisierung den
ökologischen Umbau der Stadtentwicklung; die Diversifizierung der Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsangebote für wachsende urbane Mittelschichten; außerdem die steigende lokale Nachfrage nach
Baustoffen und Energie aus dem Agrarsektor; steigende Agrarexporte aufgrund der weltweiten Verknappung
von Agrarland; neue direkte und indirekte Arbeitsplätze durch den Ausbau dezentraler Energiesysteme;
sowie die Ansiedlung arbeitsintensiver Leichtindustrien, die aufgrund massiver Lohnsteigerungen
aus China weg verlagert werden;

(3) Förderung der Produktivität in bäuerlichen und informellen Kleinunternehmen – jenes Teiles der
Wirtschaft, von dem das Gros der Erwerbsbevölkerung lebt. Hier geht es um die Stärkung unternehmerischer
und technischer Kompetenzen, um die Nutzung neuer digitaler Technologien für Informations-,
Markt- und Kreditzugang, außerdem um die Intensivierung der Lieferbeziehungen und des Wissenstransfers
zwischen moderner und informeller Wirtschaft und den Aufbau sozialer Sicherungssysteme,
die sich erfahrungsgemäß positiv auf das Investitionsverhalten auswirken.

(4) Öffentliche Beschäftigungsprogramme dienen der Unterstützung von Haushalten, in denen niemand
Arbeit findet. Sie haben positive Sekundäreffekte, indem sie lokale Infrastruktur u.dgl. bereitstellen,
die wiederum Erwerbsmöglichkeiten und Produktivität der lokalen Wirtschaft erhöhen, indem
sie Kaufkraft und Nachfrage in der jeweiligen Region steigern und indem sie Menschen eine Grundsicherung
geben, aufgrund derer diese ihre Ressourcen produktiver verwenden können.

Unsere Analyse führt zu 12 zentralen Handlungsempfehlungen für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit,
die in Abstimmung mit Partnern und anderen Gebern sowie unter Nutzung bilateraler
und multilateraler Einflusskanäle ausgebaut werden sollten (s. S. 18 ff.):

1. Ein „Zukunftsprogramm afrikanischer Strukturwandel“, mit starken Rollen afrikanischer Think
Tanks, der politischen Stiftungen, des DAAD, der Universitätspartnerschaften zur evidenzbasierten
Suche nach zukunftsfähigen Entwicklungspfaden in einer sich radikal ändernden Weltwirtschaft.
2. Mehr Angebote zur Steigerung der Produktivität in Kleinstunternehmen durch eine Kombination
von Unternehmensförderung, Ausbildungs- und Kreditangeboten, Vernetzung mit modernen
Unternehmen und komplementären Programmen zur sozialen Sicherung.
3. Analog stärkere Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft, insbesondere indem die neuen
Marktchancen durch Urbanisierung und Diversifizierung der Nahrungsmittelnachfrage genutzt
werden, ggf. durch Public-Private Partnerships mit Unternehmen.
4. Mehr Gewicht auf politische Reformen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliches
Engagement und konsequente Unterstützung entsprechender internationaler
Initiativen.
5. Investitionsförderung stärken und auf nachhaltige Entwicklung im Sinne der SDG-Agenda ausrichten.
Die enge Verknüpfung von wirtschaftspolitischen Reformen mit anderen Entwicklungszielen
ist im Marshallplan vorgesehen. Diesen umfassenden und integrativen Ansatz zur
Förderung von politischer und sozio-ökonomischer Transformation sollte das BMZ auch in Diskussionen
mit europäischen und anderen Partnern einbringen.
6. Unterstützung nationaler und regionaler Kapitalmärkte. Mit der Afrikanischen Entwicklungsbank
als Ankerinstitution und ausgewählten afrikanischen Zentralbanken sollte ein gemeinsames,
länderübergreifendes Programm für den Ausbau nationaler/regionaler Anleihemärkte
sowie der Unternehmensfinanzierung in Angriff genommen werden.
7. Differenzierte Positionierung zur europäischen Handelspolitik. EPAs sollten nicht neu verhandelt,
aber Anreize zur Ratifizierung gegeben werden, indem die Umsetzung flexibel gehandhabt
und noch besser durch Aid for Trade flankiert wird. DIE EU muss ihre langfristige handelspolitische
Strategie klären (z.B. Haltung zu EBA, GSP-Abkommen und AU Continental Free
Trade Area) um Planungssicherheit zu schaffen.
8. Begleitung der Urbanisierung, insbesondere Nutzung der Beschäftigungspotenziale ökologischer
Stadtentwicklung (energieeffizientes Bauen, Kreislaufwirtschaft usw.) sowie eine Unternehmensgründungsoffensive, welche die Diversifizierung der Nachfrage urbaner Mittelschichten
nutzt.
9. Massiver Ausbau beschäftigungsintensiver nachhaltiger Energiesysteme. Zugang zu Energie
leistet einen der wirkungsvollsten Beiträge zur Armutsbekämpfung. Dezentrale, auf erneuerbaren
Energien basierende Versorgung ist zugleich sehr beschäftigungswirksam.
10. Förderung leichtindustrieller Exportindustrien, die derzeit in großer Zahl von China in andere
Niedriglohnländer verlagert werden. Hierzu zählen Unterstützung bei der Ansiedlung, Strategien
zum Upgrading und Hilfe bei der Erfüllung internationaler Standards.
11. Öffentliche Beschäftigungsprogramme stärker fördern, die ergänzend zu strukturellen Wirtschaftsreformen
schnell in großer Zahl Menschen in Arbeit bringen können.
12. Wirkungsmonitoring verbessern, insbesondere um die Interdependenzen zwischen formalisierten,
arbeitsteilig für den Markt produzierenden und informellen Kleinstunternehmen in
den Blick zu nehmen.

Volltext der Studie:

http://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/Presse/die-studie_arbeits…